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16.09.2020

14:52

Reformpläne

Fehlstart für die Autobahngesellschaft

Von: Daniel Delhaes

Eine zentrale Bundesgesellschaft sollte Autobahnen effizient planen und bauen. Doch daraus wird fürs Erste nichts. Das Verkehrsministerium hat die Pläne gestoppt.

Autobahngesellschaft: Möglicher Baustopp auf den Autobahnen dpa

Blick auf die zukünftige Autobahn 14 zwischen Colbitz und Dolle.

Gut 50 Autobahn- und Bundesstraßenprojekte im Wert von mehr als 20 Milliarden Euro plant und setzt die Deges für ihre Anteilseigner um.

Berlin Die schlechte Nachricht haben die Führungskräfte der Autobahngesellschaft auf der Reeperbahn erhalten. Am Montagabend hatten sich gut 100 von ihnen bei einer zweitägigen Klausur im „Hamborger Veermaster“ getroffen, um in angenehmer Atmosphäre über den Fortgang der „größten Verwaltungsreform in der Geschichte der Autobahn“ zu beraten, wie Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sie bezeichnete.

Dann aber mussten sie von Scheuers Staatssekretär Michael Güntner erfahren, dass es doch nichts wird mit dem Plan, künftig aus einer Hand die Bundesfernstraßen effizient und günstig zu planen, zu bauen und zu pflegen. Zumindest vorerst nicht.

Zwei Jahre ist es her, dass der Bund die Autobahn GmbH gründete. Sie soll ab dem 1. Januar 2021 von den Ländern Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung und Finanzierung sowie die vermögensmäßige Verwaltung der Autobahnen übernehmen. Was jahrzehntelang die Länder in Eigenregie für den Bund erledigten, sollte in Windeseile zentralisiert werden, allen Widerständen zum Trotz. Nun ist das Chaos eingetreten, dass viele zuvor befürchtet hatten.

Zwar haben sich inzwischen rund 10.000 Landesbedienstete angesichts attraktiver Gehaltslisten im Bund bereit erklärt, künftig die 13.000 Kilometer Autobahnen für den neuen Dienstherrn in Schuss halten. Doch viel mehr wird die Bundesgesellschaft nicht in Eigenregie auf den Weg bringen, zudem hatte der Bund gehofft, dass 15.000 wechseln.

Vor allem wird die Autobahn GmbH auf eine zentrale Aufgabe verzichten: zu planen und zu bauen. Die Deges, eine Projektgesellschaft, an der der Bund und zwölf Bundesländer beteiligt sind, wird nun doch nicht mit der Autobahn GmbH verschmolzen, kündigte Güntner in Hamburg an.

Gut 50 Autobahn- und Bundesstraßenprojekte im Wert von mehr als 20 Milliarden Euro plant und setzt die Deges für ihre Anteilseigner um. In der Eigentümerstruktur aber liegt genau das Problem: Weil die Deges für die Länder arbeitet und die Aufgaben zwischen Bund und Ländern klar getrennt sind, müssten alle laufenden Projekte bei einer Verschmelzung neu ausgeschrieben werden, wie der Bundesrechnungshof dem Ministerium ins Stammbuch geschrieben hat.

Es käme faktisch zum Baustopp auf den Autobahnen, Schadensersatzforderungen der Bauunternehmen inklusive. Ohne die Deges und ihre Experten aber kann die Autobahn GmbH keine Projekte auf den Weg bringen. Gutachten und andere Beschwichtigungsversuche des Bundes beim Bundesrechnungshof halfen nicht: Nur wenn die Deges eigenständig weiterarbeitet, lässt sich ein Chaos verhindern, lautet inzwischen das ernüchternde Ergebnis im Verkehrsministerium.

Anders bei den Ländern. „Wir atmen durch“, sagte Uwe Lahl, Amtsleiter beim Verkehrsministerium in Baden-Württemberg, stellvertretend für die Bundesländer dem Handelsblatt. „So wird zumindest das ohnehin schon bestehende Durcheinander nicht noch größer.“

Kooperationsverträge mit den Ländern

Die Reform führt dazu, dass die bestehenden Auftragsverwaltungen der Länder aufgelöst werden und in nur noch zehn Niederlassungen samt 41 Außenstellen aufgehen. Mitarbeiter sind verunsichert, viele sind vorsorglich zu anderen Landesverwaltungen gewechselt. Weder konnte die Autobahngesellschaft in der Kürze der Zeit für Ruhe sorgen noch ein eigenes IT-System für die gesamten Geschäftsprozesse aufbauen.

Viele andere Fragen sind ungeklärt, so dass die GmbH mit den Bundesländern individuelle Kooperationsverträge abschließen musste. Demnach werden die Länder bis Ende 2023 weiter ihre IT-Systeme einsetzen, die Lohnabrechnung übernehmen oder bei der Planung von Projekten unterstützen. „Es muss Kooperationen geben“, berichten Insider. „Die Autobahn GmbH braucht noch Zeit, bis sie in die Gänge kommt.“ Je näher der Starttermin rücke, desto größer würden die Probleme.

Auch die Deges wird nun ein langfristiger „Kooperationspartner“ – womöglich bis 2028. Erst dann werden die letzten Landesprojekte realisiert worden sind. Danach erst könnte die Deges allein im Auftrag des Bundes operieren und damit in der Autobahngesellschaft aufgehen. Über Details soll in den kommenden Wochen beraten werden. "Wir werden die Deges mit Autobahnaufträgen ausstatten", hieß es bei der Autobahn.

Die aus den 16 Bundesländern angereisten Führungskräfte der neuen Autobahn GmbH nahmen die Botschaft auf der Reeperbahn mit Fassung. Schließlich ist es nicht die erste Panne bei dem Projekt: Zunächst hing die Reform in den Mühlen des Verkehrsministeriums fest und hat inzwischen Honorare für Berater von weit mehr als 80 Millionen Euro produziert.

Es folgte im Sommer ein Skandal um Arbeitsverträge mit überzogenen Abfindungsregelungen, eine Untersuchung eines externen Revisors, an dessen Ende an diesem Freitag wohl eine Rüge des Aufsichtsrates an die Geschäftsführung stehen dürfte, wie es in Aufsichtsratskreisen hieß.

Zwar gäbe es Gründe, die Geschäftsführung für Verfehlungen in mindestens zwei Fällen zur Verantwortung zu ziehen, doch gilt eine kopflose Autobahn GmbH kurz vor ihrem Start als das schlimmste Szenario für den Bund. Nun soll ein strenges Compliance-Regelwerk für Ordnung im Betrieb sorgen.

Und die Geschäftsführung bekommt gleich noch den Auftrag, massiv Kosten einzusparen, schließlich sollte doch alles günstiger werden, im Gegensatz zum föderalen Prinzip. Hatte der Bund mit Ausgaben von weniger als 700 Millionen Euro pro Jahr gerechnet, stehen längst 1,2 Milliarden Euro im Bundeshaushalt.

Es könnten bald schon 1,4 Milliarden werden, Insider reden sogar von 1,8 bis zwei Milliarden, die die Verwaltung der Autobahnen kostet. So herrscht zumindest erstmals Transparenz, was die Veraltung eines Kilometers Autobahn kostet: gut 150.000 Euro, Pensionslasten nicht mitgerechnet.

Sorge um einen Vergabestopp

Das Geld wird aber im Investitionsetat des Verkehrsministers fehlen. In der Bauwirtschaft herrscht längst große Unruhe. Während der Etat des Bundes bisher nur fünf Milliarden Euro für Straßenprojekte vorsieht, sind schon sechs Milliarden verplant.

„Es wäre ein verheerendes Signal, wenn die Investitionen in den Bundesfernstraßenbau nicht in der vorgesehenen Höhe getätigt würden“, warnte kürzlich der Chef des Verbands der Deutschen Bauindustrie, Peter Hübner, in einem Brief an Minister Scheuer.

Sein Verband hat gemeinsam mit dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen in dieser Woche Scheuer noch einmal gebeten, klarzustellen, dass die Finanzlinie nicht gekürzt wird. Intern ist bei der Autobahn GmbH schon vom Vergabestopp die Rede.

Beruhigend hieß es aus dem Ministerium, es werde kein Vergabestopp geben. Doch steht auch fest: Mit der Coronakrise wird das Geld nicht mehr so in den Verkehrsetat fließen wie bislang. So fehlt Geld aus der LKW-Maut und der gescheiterten PKW-Maut.

Bei all den Unsicherheiten soll nun das Signal aus dem Haus beruhigen: Die Deges macht weiter wie bisher. Bloß keine Probleme auf den Autobahnen, die die Autofahrer sofort bemerken, lautet das Motto für die „Tag 1-Bereitschaft“. Sowohl der Winterdienst als auch die Baustellen müssen funktionieren. Es geht um „pragmatische Zwischenlösungen“, wie es bei der Autobahn GmbH heißt.

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