Der Kanzler zieht nach einem Jahr Zeitenwende ein positives Fazit: Man habe mehr erreicht, als viele dachten. Die Opposition findet, Scholz werde seinem eigenen Anspruch nicht gerecht.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Scholz warnt vor Friedensverhandlungen mit Russland. Einen „Friedensschluss über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg“ dürfe es nicht geben.
Bild: Reuters
Berlin „Wir erleben eine Zeitenwende. Das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.“ Diese historischen Sätze sprach Olaf Scholz (SPD) drei Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in seiner Rede im Bundestag. Fast auf den Tag genau ein Jahr danach zog der Bundeskanzler im Bundestag nun eine Bilanz der Zeitenwende.
„Wir haben mehr erreicht, als viele uns zugetraut haben“, sagte Scholz. Die Ukraine könne sich weiterhin verteidigen, die Einigkeit von Europäischer Union (EU) und Nato sei gewahrt, Deutschland habe die Energiekrise gut bewältigt und investiere stärker als je zuvor in Verteidigung und Energiesicherheit.
So habe Deutschland beim Aufbau klimaneutraler Energie den „Turbo gezündet“. Von einem heißen Winter sei die Rede gewesen oder von einem Wutwinter. „Nichts davon ist eingetreten.“
Stattdessen habe Deutschland in Rekordgeschwindigkeit neue Terminals für die Anlieferung von Flüssiggas (LNG) gebaut. Diese neue Deutschland-Geschwindigkeit müsse das Land „als Fortschritt aus der Zeitenwende“ beibehalten. Hierfür bekam Scholz viel Beifall. Lacher aus der Opposition erntete er allerdings, als er auf die Bundeswehr zu sprechen kam.
Deutschland sei „widerstandfähiger“ geworden, vor allem durch das milliardenschwere Sondervermögen für die Bundeswehr, sagte Scholz. Er habe eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt zugesagt. „Und diese Zusage gilt.“
Zusammen mit Verteidigungsminister Bors Pistorius (SPD) rede er über „einen echten Spurwechsel“ in der Beschaffung von Material für die Bundeswehr. Die Bundeswehr leiste zudem „Meisterliches“ bei der Ausbildung von mehr als 3000 ukrainischen Soldaten, so Scholz.
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Der Bundeskanzler zählte zudem die vielen Waffen auf, die Deutschland gemeinsam mit Bündnispartnern an die Ukraine liefere. Waffengattung für Waffengattung ging er durch, und bei allen, die Scholz aufzählte, ist ein Land immer beteiligt: Deutschland.
Der Kanzler versuchte aber auch, seine Kritiker zu beruhigen. Er verstehe die Sorgen der Bürger. „Ihnen versichere ich, die von mir geführte Regierung macht sich Entscheidungen über Waffenlieferungen niemals leicht.“
Nicht nachvollziehen kann der Bundeskanzler dagegen Forderungen, schnell in Friedensverhandlungen mit Russland einzutreten. Am Wochenende hatten auf einer Kundgebung, die von Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und Frauenrechtsaktivistin Alice Schwarzer organisiert wurde, Demonstranten auf rasche Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gedrängt.
Einen „Friedensschluss über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg“ dürfe es nicht geben. „Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln – außer über die eigene Unterwerfung“, sagte Scholz.
„Ein Diktatfrieden gegen den Willen der Opfer“ verbiete sich aber auch aus dem eigenen Sicherheitsinteresse Deutschlands. „Was für eine fatale Ermutigung des Angreifers wäre es, wenn der Bruch des Völkerrechts und der europäischen Friedensordnung belohnt würde“, sagte der Kanzler.
Scholz wandte sich deshalb auch eindringlich an China. Es sei gut, dass sich China gegen den Einsatz von Atomwaffen ausgesprochen habe. Aber das reiche nicht. „Liefern Sie keine Waffen an den Aggressor Russland“, sagte Scholz. Peking müsse vielmehr seinen Einfluss auf Moskau nutzen, „um auf den Rückzug russischer Truppen zu drängen“.
Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) knöpfte sich in seiner Gegenrede zunächst AfD und Linkspartei vor, die auf der von Wagenknecht und Schwarzer organisierten Demonstration teils mitgelaufen waren.
Vorsätzlich Opfer und Täter zu verwechseln sei „zynisch, menschenverachtend, niederträchtig und beschämend für das ganze Land“, so Merz. „Wenn Russland heute die Waffen schweigen lässt, dann ist der Krieg morgen zu Ende. Wenn die Ukraine die Waffen schweigen lässt, dann ist morgen das ukrainische Volk und die Ukraine als Staat am Ende. Das ist der Unterschied.“
Erst dann widmete sich Merz dem Bundeskanzler. „Sie bleiben weit hinter den selbst gesetzten Ansprüchen der Zeitenwende zurück. Das muss in den nächsten Wochen und Monaten besser werden, sonst wird die Zeitenwende nicht gelingen“, sagte Merz.
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So sei der reguläre Verteidigungsetat nicht gestiegen, sondern gesunken. Vom 100-Milliarden-Euro-Sondertopf für die Bundeswehr seien erst 600 Millionen ausgegeben.
Man werde für „Jahre, wenn nicht Jahrzehnte“ Sicherheit in Europa nicht mehr mit, sondern gegen Russland organisieren müssen, so Merz. „Und dazu, Herr Bundeskanzler, müssen Entscheidungen getroffen werden und nicht nur Regierungserklärungen abgegeben werden.“
Der CDU-Chef kritisierte auch Scholz’ Zögerlichkeit beim Thema Waffenlieferungen. „Ohne Hilfe der USA wäre die Ukraine längst in russischer Hand.“ Die Europäer allein könnten nicht und seien „auch nicht willens genug, der Ukraine zu helfen“.
CDU-Chef Friedrich Merz
Merz kritisierte in seiner Rede unter anderem die ständigen Streitereien der Ampelkoalition.
Bild: dpa
Merz zog dafür die Aussagen von US-Präsident Joe Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan vor einigen Tagen heran. Sullivan hatte erklärt, dass die USA nur deshalb Abrams-Panzer in die Ukraine geschickt hätten, weil Scholz sonst keine Leopard-Panzer geliefert hätte.
Sullivan habe damit kurz vor dem Besuch von Scholz bei Biden an diesem Freitag offensichtlich zwei Botschaften senden wollen, so Merz. „Die erste: Er will uns deutlich sagen, dass nicht Abrams-, sondern die Leopard-Panzer sinnvoll sind. Und die zweite: Das machen die Deutschen kein zweites Mal mit uns.“
Merz forderte den Kanzler auch auf, stärker gegen China vorzugehen. Das chinesische Seidenstraßenprojekt sei wie zuvor Nord Stream 2 ein Projekt zur Durchsetzung geostrategischer Interessen eines autokratischen Regimes.
Ein Kernproblem sei jedoch, dass Scholz einer „zutiefst zerstrittenen Koalition“ vorsitze, sagte Merz. Immer wenn die Regierung mit einer Idee komme, erkläre kurz danach der FDP-Generalsekretär vor den Mikrofonen, warum das alles nicht gehe.
Auf der Regierungsbank führt dies zumindest bei FDP-Chef Christian Lindner zu einem kurzen Moment der Erheiterung. Scholz hingegen verzieht keine Miene.
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