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01.12.2022

11:20

RS-Virus

Kinderkliniken schlagen Alarm aufgrund dramatischer Zustände

Von: Jürgen Klöckner

Eine Umfrage verdeutlicht die teils dramatischen Zustände in Kinderkliniken. Die von Gesundheitsminister Lauterbach geplanten Hilfen könnten verpuffen.

Laut einer aktuellen Umfrage gibt es deutschlandweit nicht genug Kinderkrankenpfleger. dpa

Zu wenig Personal in Kinderkliniken

Laut einer aktuellen Umfrage gibt es deutschlandweit nicht genug Kinderkrankenpfleger.

Berlin Zu wenige Pflegerinnen und Pfleger, eine akute Welle der Atemwegserkrankung RSV: Deutsche Intensiv- und Notfallmediziner beklagen einen dramatischen Bettenmangel in Kinderkliniken.

„Die Situation ist so prekär, dass Kinder sterben, weil wir sie nicht mehr versorgen können“, sagte der Leitende Oberarzt der Kinderintensivmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover, Michael Sasse, am Donnerstag in Hamburg. Eine Umfrage der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) zeigt, wie angespannt die Lage in der Pädiatrie ist.

  • In 43 der 110 teilnehmenden Kinderkliniken war demnach kein einziges Bett mehr auf der Normalstation frei.
  • Insgesamt gibt es 130 dieser Einrichtungen in Deutschland. Stichprobentag der Umfrage war der 24. November, also vor einer Woche.
  • Der Divi zufolge gibt es generell noch 83 freie Betten auf pädiatrischen Kinderintensivstationen in ganz Deutschland – das sind 0,75 freie Betten pro Klinik, also weniger als eines pro Standort.
  • Jede zweite Klinik berichtete, dass sie in den letzten 24 Stunden ein Kind ablehnen musste. Insgesamt wurden 116 junge Patientinnen und Patienten abgelehnt – an einem Tag.
  • In Regionen wie München waren in den vergangenen vier Wochen alle Kinderintensivstationen rund um die Uhr abgemeldet.

„Das ist eine katastrophale Situation, anders ist es nicht zu bezeichnen“, sagte der Divi-Generalsekretär und Münchner Kinder-Intensivmediziner Florian Hoffmann. „Deshalb fordern wir die sofortige Optimierung von Arbeitsbedingungen in den Kinderkliniken. „Außerdem sollen Einrichtungen besser untereinander vernetzt werden, unter anderem durch spezialisierte Kinderintensivtransport-Systeme, sagt Hoffmann.

Die Lage habe sich über die Jahre zunehmend verschlechtert. Grund sei vor allem der Personalmangel, der dazu führt, dass weniger Patienten betreut werden können.

So wiesen die 110 Häuser, die an der Umfrage teilgenommen haben, zusammengenommen 607 aufstellbare Betten aus. Das ist die Gesamtkapazität, allerdings waren davon nur 367 Betten in Betrieb.

Kinderkliniken: Pflegemangel verschärft Lage, während RS-Virus grassiert

An 79 Häusern, also bei 71,8 Prozent der Befragten, ist Pflegepersonalmangel ein konkreter Grund für die Bettensperrungen. Zudem gebe es mehr chronisch kranke Patienten. „Die RSV-Welle baut sich immer weiter auf und macht bei vielen Kindern die Behandlung mit Atemunterstützung notwendig“, sagte Sebastian Brenner, Divi-Kongresspräsident und Bereichsleiter an der Unikinderklinik Dresden. „Wir können Stand heute davon ausgehen, dass es zu dieser Behandlung nicht genügend Kinder-Intensivbetten gibt.“ Zuletzt hat in Deutschland die Zahl von Kleinkindern, die sich mit dem RS-Virus angesteckt haben, drastisch zugenommen. Das Virus kann zu Atembeschwerden und Lungenentzündung führen.

Die Divi forderte angesichts der Situation in den Krankenhäusern bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen. Unter anderem sollten Kinderkliniken verpflichtet werden, Kinderkrankenpfleger auszubilden.

Außerdem müssten die Arbeitsbedingungen durch Ausfallkonzepte verbessert werden – etwa im Krankheitsfall von Beschäftigten. Zudem müsse es bezahlte Fortbildungen in der Arbeitszeit geben.

Dramatische Lage in Kinderkliniken: Gesundheitsminister Lauterbach plant Hilfen

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant zudem, die Lage durch Zuschläge für Kinderkliniken zu entspannen, die am Freitag im Bundestag beschlossen werden sollen. Sie sehen unter anderem vor, die Pädiatrie aus dem Fallpauschalensystem herauszunehmen und die Vorhaltekosten zu finanzieren. 300 Millionen Euro sind dafür für die kommenden zwei Jahr veranschlagt.

Divi-Generalsekretär Hoffmann äußerte allerdings Zweifel daran, dass die Mittel reichen. „Wir wissen gar nicht, wie viel Defizit die Pädiatrie in der Gesamtheit macht“, sagte er.

Die Vorhaltekosten seien insgesamt sehr hoch, insbesondere im Winter. Dass die Summe ausreiche, „um die Pädiatrie wirklich zu sanieren, das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte Hoffmann.

Divi-Kongresspräsident Brenner ergänzte, dass es wegen des Personalmangels keine „kurzfristige Besserung“ geben werde. „Wir müssen uns auf einige sehr, sehr schwierige Jahre einstellen.“

Lauterbach sagte am Donnerstag darüber hinaus, „die Kinder brauchen jetzt unsere volle Aufmerksamkeit." So solle Pflegepersonal aus Erwachsenen- in Kinderstationen verlegt werden. Er habe die Krankenkassen aufgefordert, Vorgaben zur Personalbesetzung vorerst nicht zu prüfen und Sanktionen auszusetzen. Lauterbach appellierte zudem an alle Eltern und Kinderärzte, nicht unmittelbar nötige Vorsorgeuntersuchungen um wenige Wochen zu verschieben.

Zudem soll die telefonische Krankschreibungen bei Kinderärzten weiter möglich bleiben. „Somit können Eltern zu Hause bleiben, müssen nicht in die Praxis kommen, um die Krankschreibung vornehmen zu lassen, so dass dann auch Krankengeld für Kinder gezahlt werden kann“, sagte Lauterbach. Ausdrücklich werde auch telemedizinische Beratung angeboten und sei für Praxen nicht begrenzt.

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