PremiumDie SPD entscheidet die Wahl klar für sich, die CDU spielt die Niederlage herunter. Nach dem vorläufigen Endergebnis fehlen den Grünen 23 Stimmen, der FDP 1003.
Berlin Die Ausgangslage für Tobias Hans war eigentlich ziemlich gut: Seit fünf Jahren und geschlagenen 13 Landtagswahlen wurde kein amtierender Regierungschef mehr abgewählt. Durch den Amtsbonus, so schien es, war der Amtsinhaber zuletzt unschlagbar. Bis zu diesem Sonntag im Saarland. Bis SPD-Spitzenkandidatin Anke Rehlinger Amtsinhaber CDU-Ministerpräsident Tobias Hans eine derbe Niederlage zufügte. „Das Saarland hat Rot gewählt“, jubelte Rehlinger.
Laut vorläufigem amtlichen Endergebnis kam die SPD am Sonntag auf 43,5 Prozent, wie auf der Internetseite der Landeswahlleiterin nach Auszählung aller Wahlkreisergebnisse ersichtlich war. Einen Koalitionspartner benötigt die SPD nicht. Sie kommt auf 29 der 51 Landtagsmandate. Die CDU erzielte 28,5 Prozent, ebenfalls in den Landtag kam nur die AfD mit 5,7 Prozent.
An der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten die Grünen mit 4,99502 Prozent, FDP mit 4,8 Prozent und die Linke mit 2,6 Prozent. Den Grünen fehlen dem vorläufigen Endergebnis nach 23 Stimmen, der FDP 1003, um in den Landtag einzuziehen.
Die Landeswahlleiterin verwies am Sonntagabend wegen des „knappen vorläufigen amtlichen Endergebnisses“ darauf, dass beim endgültigen Ergebnis noch Abweichungen möglich seien. Dies betreffe die Zahl der Wahlberechtigten, der Wählerinnen und Wähler sowie der gültigen und ungültigen Stimmen, aber auch die Sitzverteilung im Landtag. Würden die Grünen den Einzug in den Landtag doch noch schaffen, würde dies aber aller Voraussicht nach nichts an der absoluten Mehrheit der SPD ändern.
Welche kleine Sensation der SPD gelang, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Seit 1994 ein gewisser Oskar Lafontaine die Wahl an der Saar gewann, hat die SPD im kleinsten Flächenland nicht mehr den Ministerpräsidenten gestellt.
Nun tritt Rehlinger in die Fußstapfen der einstigen, später aber fahnenflüchtigen SPD-Lichtgestalt. Und das womöglich mit absoluter Mehrheit. Auch gelang es der SPD zuletzt vor neun Jahren, ein Bundesland zurückzuerobern.
Die Wahl im kleinen Saarland war im Vorfeld zu einen größeren Stimmungstest erklärt worden. Es war sowohl die erste Landtagswahl für die neue SPD-Doppelspitze aus Saskia Esken und Lars Klingbeil als auch die erste Stimmungsprobe für den neuen CDU-Chef Friedrich Merz. Und natürlich auch der erste harte demoskopische Belastungstest für die Ampelkoalition im Bund.
Und so interpretierten Wahlsieger und Wahlverlierer den Ausgang höchst unterschiedlich. Die SPD sieht das Wahlergebnis auch als Vertrauensbeweis für die Ampel im Bund und als Signal für die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Mai.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sprach von einem „Erdrutschsieg“, der „wahnsinnigen Rückenwind“ gebe. Auch in Schleswig-Holstein wie NRW rechnet sich die SPD Chancen aus, den CDU-Ministerpräsidenten ihre Ämter streitig zu machen.
Während sich der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil über das Wahlergebnis freute, war der andere neue Parteichef bedient. Der erst im Januar gekürte CDU-Chef Friedrich Merz startet nun mit einer herben Wahlniederlage ins Wahljahr 2022.
Die CDU räumte ihre Niederlage ein. Ministerpräsident Hans sprach von einem „bitteren Ergebnis“ und kündigte an, Konsequenzen zu ziehen. Die Bundes-CDU wollte dem Ergebnis keine zu hohe Bedeutung beimessen. Bei der Wahl hätten regionale Faktoren den Ausschlag gegeben.
Tatsächlich spielten bei der Saarland-Wahl Landesthemen und vor allem der Kandidaten-Faktor eine große Rolle. Anders ist kaum zu erklären, warum sich das Bundesland so klar vom Bundes-Trend abkoppelte. Während die SPD in Umfragen bundesweit zuletzt leicht verlor und die Union zulegen konnte, war es im Saarland genau andersherum: Hier verlor die CDU stetig an Boden, während die SPD immer stärker wurde.
Natürlich werde ich persönliche Konsequenzen ziehen. Tobias Hans
Für Hans war es der erste Wahlkampf als Spitzenkandidat, er hatte erst 2018 das Amt von Annegret Kramp-Karrenbauer nach ihrem Wechsel in die Bundespolitik übernommen. Hans“ Amtszeit war maßgeblich durch die Coronakrise geprägt, in der er allerdings nicht immer eine glückliche Figur abgab. Erst forderte er harte Regeln, dann erklärte er das Saarland zum „Modellversuchsland“ für weitreichende Lockerungen.
Auch der Wahlkampf lief alles andere als nach Plan. In der heißen Wahlkampfphase fiel der 44-Jährige wegen einer Coronaerkrankung aus, seine Wahlkampfhelfer fuhren mit einem iPad durchs Land, damit Hans irgendwie präsent war. Dann musste Hans für ein Selfie-Wutvideo vor einer Tankstelle, das er wegen der hohen Spritpreise aufnahm, Kritik und Häme einstecken.
Mit den immer schlechteren Umfragewerten machte sich dann auch die Bundespartei rar, Merz sagte einen Wahlkampfauftritt im Saarland vergangenen Donnerstag ab. Begründung: Er sei in Berlin in der Haushaltswoche im Bundestag „unabkömmlich“. In der Bundes-CDU rechnete man zu diesem Zeitpunkt intern längst mit einer Niederlage im Saarland und versuchte, größtmöglichen Abstand zu Hans zu gewinnen.
Rehlinger dagegen konnte im Straßenwahlkampf an ihrem Image als volksnahe Kümmerin arbeiten. Die gesamte SPD-Spitze bis hin zu Bundeskanzler Olaf Scholz reiste ans andere Ende der Republik, um die eigene Spitzenkandidaten zu unterstützen.
Und während Hans Kritik für sein Tankstellen-Video erntete, verhandelte Rehlinger in ihrer Funktion als Vizechefin der SPD-Bundespartei das zweite Entlastungspaket der Ampel-Koalition mit aus. Die Botschaft dahinter war eindeutig: Während Hans in Selfies über hohe Spritpreise klagt, sorgt Rehlinger für Entlastung.
Doch nicht nur deshalb gelang der Wahlsieg. Rehlinger spielte auch ihre Erfahrung aus. Die 45-Jährige ist seit 2012 Ministerin, seit 2014 stellvertretende Regierungschefin, war schon 2017 als Spitzenkandidatin angetreten. Auch damals hatte Rehlinger in Umfragen schon vorn gelegen, verlor dann aber überraschend deutlich gegen Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU).
Dass es Rehlinger dieses Mal gelang, die guten Umfragen in ein herausragendes Wahlergebnis umzumünzen, liegt auch daran, dass sie immer mehr auch das Vertrauen der Wirtschaft gewonnen hat. Viele Unternehmer an der Saar trauen ihr eher als Hans zu, das strukturschwache Bundesland durch die Zeit großer wirtschaftliche Umbrüche zu steuern. So sagt Saar-IHK-Chef Carsten Meier: „Die Wirtschaftsministerin ist sehr gut in den Themen, eine sehr gute Gesprächspartnerin und nah bei den Menschen.“
Rehlingers bodenständige Art kam im gesamten Saarland an: Auf die Frage, wen sie nach der Wahl lieber in der Staatskanzlei sähen, antworteten laut ZDF-Politbarometer kurz vor der Wahl 51 Prozent mit Rehlinger, Hans kam hingegen nur auf 31 Prozent. Dass eine Herausforderin in persönlichen Umfragewerten derart klar vor dem Amtsinhaber liegt, ist äußerst ungewöhnlich und ein maßgeblicher Grund für den Wahlsieg Rehlingers.
Die SPD profitierte im Saarland allerdings nicht nur von der Schwäche Hans‘, sondern auch von der der anderen Parteien im linken politischen Lager. Die Saar-Grünen hatten es wegen interner Auseinandersetzungen im Vorjahr nicht geschafft, bei der Bundestagswahl eine Landesliste aufzustellen und gelten als zerstrittene Chaos-Truppe.
Auch die saarländische Linke fiel zuletzt nur durch interne Machtkämpfe auf, wegen der Parteigründer Oskar Lafontaine die Partei verließ. Ohne den „König von der Saar“ war die Linke für viele Saarländer nicht mehr wählbar und flog nun aus dem Landtag.
Rehlinger hatte im Wahlkampf ein Bündnis mit der Linkspartei klar ausgeschlossen und stattdessen „große Sympathien“ für eine große Koalition zu erkennen gegeben – diesmal nur unter ihrer Führung. Zu anderen möglichen Koalitionen hielt sie sich bedeckt.
>>Lesen Sie hier: Alle Entwicklungen zur Saarland-Wahl im Newsblog
Als Ministerpräsidentin hat Rehlinger versprochen, auf 400.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze kommen, den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch bis Ende 2030 auf mindestens 40 Prozent zu verdoppeln und kostenfreie Kita-Plätze zu schaffen.
Auch wenn die Umfragen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen für die CDU deutlich besser aussehen, hatten Wahlen im kleinen Saarland schon öfters bundespolitische Strahlkraft. 2017 war die verlorenere Wahl der Anfang vom Ende des Höhenflugs des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz.
Wenige Wochen später verlor dann SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft Nordrhein-Westfalen an die CDU. Kraft war die letzte Amtsinhaberin, die seitdem eine Landtagswahl verlor. Bis zu diesem Sonntag im Saarland.
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Kommentare (2)
Account gelöscht!
28.03.2022, 13:52 Uhr
Sehr interessant, dass nur 3 Partei im Landtag vertreten sind: 2 größere Parteien und eine AfD mit knappen 5,7%. Fast schon ausländische Verhältnisse dort; passt zum Saarland. Sollte man trotzdem nicht überbewerten oder gar auf das ganze Land projezieren, wenn man bedenkt, dass dort weniger Menschen, als bsp. in Köln wohnen.