Staus, Zugausfälle, Produktionsstopps in der Industrie: Das deutsche Schienennetz ist in einem schlechten Zustand. Nun greift die Bundesregierung ein.
Bauarbeiten an der Bahnstrecke
Die Bahn muss investieren: mit 13,6 Milliarden Euro ist es so viel wie nie. 1800 Kilometer Gleise, 2000 Weichen, 800 Bahnhöfe, 140 Brücken stehen auf der Liste.
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Berlin Der Bund, Vertreter der Deutschen Bahn AG sowie der Industrie und Güterbahnen haben sich zu einem Krisengespräch getroffen. Grund sind die anhaltenden Probleme auf dem deutschen Schienennetz, auf dem es nach Aussagen der Industrie Ende des vergangenen Jahres zum Kollaps kam.
Im November und Dezember hatte es auf dem deutschen Schienennetz so viele Baustellen gegeben, dass rund ein Drittel des Güterverkehrs nach Angaben der Eisenbahnunternehmen ausgefallen war – ohne dass der Netzbetreiber die Probleme erklärt hätte. Die Lage war so schlimm, dass selbst die andere Bahntochter, DB Cargo, ihre Kunden vertrösten musste: „Wir arbeiten unter Hochdruck daran, die Planbarkeit Ihrer Züge zu verbessern“, hieß es in einer Kundeninformation.
Industrievertreter hatten von Produktionsausfällen in der Stahl- und Papierindustrie berichtet, Autohersteller seien auf den LKW umgestiegen, um die Produktion sicherzustellen. Angesichts dessen hatte das Bundesverkehrsministerium für Ende Januar zum Gespräch gebeten, an dem auch DB-Netz-Chef Frank Sennhenn teilnahm.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing bezeichnet es selbst als „ein Riesenproblem, dass man zu wenig Bahninfrastruktur hat, dadurch Verspätungen, dass es aber beim Ausbau der Infrastruktur zu noch mehr Verspätungen kommt. Solche Dinge müssen wir konkret angehen.“ Er plant Kurzfristmaßnahmen und will die Bahn neu strukturieren und eine gemeinwohlorientierte „DB Infrastruktur“ gründen. Die privaten Eisenbahnunternehmen wollen „eingebunden werden“ und fordern, der Netzbetreiber müsse „Kapazitätsmanager“ werden.
Schließlich muss der Bund ambitionierte Klimaziele erreichen: Logistiker und Unternehmen sollen bis 2030 rund 50 Prozent mehr Güter mit der Bahn transportieren. Das Klima-Image steigert zwar die Nachfrage. Gleichzeitig aber brechen die Management- und Politikerfehler der letzten 20 Jahre über das System herein: Für die vielen Baustellen fehlen Ausweichstrecken, Überholgleise, Pufferbahnhöfe; Lokomotiven sind veraltet und fallen zigfach aus, selbst die neuen Flüsterbremsen zeitigen technische Probleme und somit „Schadwagen“, die knappe Kapazitäten rauben.
„Wir erleben einen Riesenstau und eine Mega-Ignoranz“, sagte Sven Flore, Chef der Cargo-Sparte der Schweizerischen Bundesbahn. Die Unternehmen wollten als Kunde behandelt werden. „Stattdessen herrscht eine Mitropa-Wartesaal-Atmosphäre wie zu besten DDR-Zeiten“, klagte er. So wolle DB Netz die für den Güterverkehr zentrale Nord-Süd-Route von Antwerpen nach Genua für mehrere Wochen bei Rastatt sperren, anstatt zumindest ein Gleis während der Arbeiten offen zu halten.
Von „unkoordinierten Baumaßnahmen“ spricht auch Wolfgang Birlin, Geschäftsführer der Rhein Cargo. Baumaßnahmen seien noch nicht abgeschlossen, da würden auf der Ausweichstrecke schon neue Baustellen eröffnet. „Unsere Kunden haben für diese Situation wenig Verständnis, insbesondere wenn sie ihre Transporte auch über die Straße abwickeln können. Diese Entwicklung läuft der angestrebten Verkehrswende komplett entgegen.“
Die Bahn hat das Netz in den vergangenen Jahren auf Verschleiß gefahren, nun muss sie investieren: Mit 13,6 Milliarden Euro ist es so viel wie nie. 1800 Kilometer Gleise, 2000 Weichen, 800 Bahnhöfe, 140 Brücken stehen auf der Liste. Die Aufholjagd führte allein 2021 zu mehr als 6000 Baustellen, davon allein 1000 im Netz der DB Cargo, die Experten zufolge allenfalls 500 händeln kann und ab 750 Baustellen eine „Annahmesperre“ bei ihren Kunden verhängt.
Zwar überweist der Bund der Bahn seit 2020 für zehn Jahre mehr als eine Milliarde Euro für sogenanntes „kundenfreundliches Bauen“, was vor allem mehr Mitarbeiter und Maschinen bedeutet. Offenkundig hat dies bislang nicht geholfen: Laut Bundesregierung war 2021 fast jeder zweite Güterzug mindestens eine Stunde zu spät am Ziel, was das gesamte internationale Cargo-Netzwerk stört.
Der Schienengüterverkehr sei „in desolatem Zustand“, berichteten die im Netzwerk Europäische Eisenbahnen organisierten Unternehmer bei dem Treffen. Das Netz habe zeitweilig nur 32 Prozent seiner Leistung gebracht, notwendig seien 80 Prozent oder mehr. Das Kernschienennetz von den Häfen hinein nach Europa sei überlastet, es fehle Personal bei DB Netz, die IT sei veraltet, Baustellen würden ohne Rücksicht auf die Kunden organisiert.
„Auch wir waren mit unserer Leistung nicht zufrieden“, erklärte eine DB-Sprecherin auf Nachfrage. Es fahre „sehr viel Verkehr auf einer knappen Infrastruktur“. Das Ziel sei ein besseres Baustellenmanagement, für das DB-Netz-Chef Sennhenn in der Runde auch Vorschläge unterbreitet hatte. Es bleibt bei den vielen Baustellen, dafür soll es im März ein weiteres Treffen mit den Kunden geben. Auch die Runde mit den Beamten des Ministeriums soll künftig alle drei Monate beraten.
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