Der Ukraine-Krieg und Menschenrechtsverletzungen in China zwingen Unternehmen, ihre Entscheidungen moralisch zu begründen. Doch die Frage nach richtig und falsch ist nicht trivial.
Demonstrationen gegen Uiguren-Unterdrückung
Können deutsche Unternehmen noch guten Gewissens Handel mit China treiben?
Bild: imago images/ZUMA Wire
Berlin Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk ist kein Mann der zaghaften Worte. Das bekommt seit einiger Zeit der Ritter-Sport Geschäftsführer Andreas Ronken zu spüren. „Quadratisch, Praktisch, Blut“ und „Rittermord“ nannte Melnyk das Produkt auf Twitter. Am Mittwoch schrieb er an Ronken gerichtet: „Viel Glück mit dem Aggressor“.
Ritter Sport befindet sich seit Monaten mitten in einem Shitstorm. Grund war die Entscheidung des Unternehmens, trotz des Angriffskriegs weiter an Russland zu liefern. Eine Entscheidung, die Ronken in einem moralischen Dilemma traf.
Das Land des Kriegstreibers Wladimir Putin zu verlassen hätte bedeutet, Haltung zu zeigen – gleichzeitig aber Hunderte Arbeitsplätze in Russland und Deutschland aufs Spiel zu setzen. Ronkens Unternehmen generiert rund 15 Prozent seines Umsatzes in Russland und beschäftigt vor Ort mehr als 100 Mitarbeiter. Zu bleiben, auch das war Ronken von Anfang an klar, würde den Vorwurf mit sich bringen, das Geschäft sei ihm wichtiger als das Leben ukrainischer Menschen.
Vor einer ähnlichen Abwägung stehen viele Unternehmen. Der Ukrainekrieg stärkt die öffentliche Erwartungshaltung, unternehmerische Entscheidungen nicht nur geschäftlich, sondern auch moralisch zu prüfen. Neben Russland ist vor allem China mit seiner enormen wirtschaftlichen Bedeutung und prekären Menschenrechtslage die größte moralische Herausforderung.
Und der Druck ist immens, denn wie bei Ritter Sport droht den Unternehmen öffentlicher Protest. Dabei lässt sich die Frage, was richtig und was falsch ist, gar nicht so leicht beantworten.
Viele deutsche Unternehmen handeln anders als Ritter Sport. Tengelmann-Eigentümer Christian Haub begründete den Verkauf der russischen Filialen der Baumarktkette Obi gegenüber dem „Manager Magazin“ mit den Worten: „Ich könnte mir einfach aus moralischen Gründen nicht vorstellen, weiterhin Geschäfte in Russland zu betreiben und damit indirekt das dortige Regime finanziell zu unterstützen.“
Ronken sagt hingegen, dass sich für die Russen bei einem Lieferstopp sehr viel weniger geändert hätte als für die Angestellten in Deutschland und die Menschen, die den Schokoladenkonzern mit Rohstoffen versorgen – etwa Kakaobauern aus Nicaragua oder Westafrika, die vom Absatzmarkt Russland abhängig sind.
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„Wenn wir nur irgendeinen wirklichen Einfluss darauf gehabt hätten, dass Putin sich aus dem Krieg zurückzieht, hätten wir diesen Einfluss genutzt“, sagt Ronken. Doch dass der russische Präsident seinen Angriff abbricht, weil Ritter Sport keine Schokolade mehr liefert, schien ihm mehr als unrealistisch. Außerdem gibt er zu bedenken, dass es bei einem Lieferstopp wohl Grauimporte, also Einfuhren seiner Produkte über Drittländer gegeben hätte.
Ritter-Sport-Chef Andreas Ronken
Das Dilemma, vor dem viele Firmenchefs stehen: bleiben oder gehen?
Bild: Ritter Sport
Das Dilemma, in dem viele Unternehmensleiter durch den Ukrainekrieg jetzt stecken, beschrieb der Staatsphilosoph Max Weber. Er unterteilte in „Gesinnungsethik“ und „Verantwortungsethik“. Die Gesinnungsethik legt demnach eine klare Überzeugung, wie etwa die Wirtschaftsbeziehung zu Russland unbedingt abzubrechen, als einzigen moralischen Maßstab an.
Die Verantwortungsethik fragt stattdessen nach den konkreten Ergebnissen einer Entscheidung. Der Ritter-Sport-Chef orientierte sich an Letzterem.
Ludger Heidbrink, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Kiel, gibt zu bedenken: „Was moralisch richtig ist, lässt sich nicht pauschal beantworten.“ Er rät Unternehmen beim Thema Russland zu einem Abwägungsprozess, bei dem alle Faktoren berücksichtigt werden müssten, etwa Branche, Größe und Mitarbeiterzahl.
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„Wir würden gern zwischen Gut und Böse unterscheiden, aber so einfach lässt sich die Welt nicht einteilen.“ Heidbrink kritisiert, dass es schwierig geworden sei, über moralische Entscheidungen vernünftig zu diskutieren. Es sei problematisch, Unternehmen an den öffentlichen Pranger zu stellen und zu einer bestimmten Entscheidung zu drängen.
Die Universität Yale hat eine Liste veröffentlicht, in der das Verhalten von Firmen mit Russlandgeschäft öffentlich bewertet wird. Über 1200 Unternehmen weltweit sind dort aufgeführt, darunter 127 aus Deutschland. Die Firmen sind eingeteilt nach amerikanischen Schulnoten von A (kompletter Rückzug) bis F (keinerlei Rückzug).
Über die Noten dazwischen entscheidet unter anderem, ob die Unternehmen neue Investitionen in Russland planen oder dort Werbung schalten. Ritter Sport hat beides erst mal eingestellt und bekommt deshalb ein „D“ – ins deutsche System übertragen also ein „ausreichend“. Dass der Konzern seinen Gewinn aus dem Russlandgeschäft laut eigenen Angaben an Organisationen spenden will, über die das Geld der Ukraine zugutekommt, fließt in die Bewertung nicht ein.
Das Ziel solcher Listen: den öffentlichen Druck erhöhen, um die Firmen zum Abbruch ihrer Geschäftsbeziehungen zu bewegen. Ritter Sport allerdings kritisiert, dass sich die Bewertungen nur aus Medienberichten und Zuschriften zusammensetzten. Die Firma selbst sei von der Universität nicht um eine Stellungnahme angefragt worden.
Dabei wäre Russland nicht das einzige Land, bei dem sich die Frage nach der moralischen Grundlage von Handelsbeziehungen stellen ließe. Katar etwa, wo Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) um Flüssiggas für Deutschland warb, wird von der Nichtregierungsorganisation Freedom House wegen der Missachtung von Pressefreiheit und fehlender Rechtsstaatlichkeit als unfreies Land eingestuft – grundlegende Freiheitsrechte fehlen.
Ein der größten Herausforderung für die Unternehmen dürfte der Umgang mit China werden. Am Mittwoch veröffentlichte das UN-Menschenrechtsbüro einen Bericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet über den chinesischen Umgang Chinas mit der muslimischen Volksgruppe der Uiguren. Das Fazit: In der Region Xinjiang sei es zu „ernstzunehmenden Menschenrechtsverletzungen“ durch die Regierung in Peking gekommen.
Außerdem intensiviert China die militärischen Drohgebärden gegen Taiwan. Eine gewaltsame Annektion der Insel hätte nicht nur gravierende humanitäre Auswirkungen, sondern würde auch die deutsche Wirtschaft hart treffen. Schließlich ist der asiatische Riese der wichtigste Handelspartner Deutschlands.
Wolfgang Merkel, Professor für Politikwissenschaft am Wissenschaftszentrum Berlin, warnt davor, zu hohe moralische Maximen zu predigen, die am Ende nicht eingehalten werden können. „Die Ampelkoalition trägt die wertegeleitete Außen- und Wirtschaftspolitik wie eine Monstranz vor sich her – aber so etwas ist gar nicht durchzuhalten“, kritisiert er.
Stattdessen würde Deutschland so seine Glaubwürdigkeit riskieren und müsse sich eine gewisse Scheinheiligkeit vorwerfen lassen. Schließlich lasse sich die moralische Maxime, keinen Handel mit Unrechtsstaaten zu treiben, gar nicht durchsetzen – wie die Beispiele China, Saudi-Arabien und Katar zeigten.
Wir würden gerne zwischen Gut und Böse unterscheiden, aber so einfach lässt sich die Welt nicht einteilen. Ludger Heidbrink, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Kiel
Natürlich habe auch die Wirtschaft Verantwortung, sagt Merkel. Auf eine flagrante Verletzung des Völkerrechts wie jetzt von russischer Seite müssten Konsequenzen folgen. „Aber wir müssen auch ehrlich zugeben, dass Sanktionen ambivalent sind und wir nur sehr begrenzt auf die Regimeentwicklung in großen Staaten Einfluss nehmen können.“ Dass aus Handel immer Wandel folge, sei in der Geschichte häufig widerlegt worden.
Nach den Erfahrungen mit dem Russlandgeschäft ist man in Waldenbuch bei Ritter Sport vorsichtig geworden. Bei Entscheidungen, in neue Märkte einzusteigen, will Geschäftsführer Ronken in Zukunft auch die geopolitische Lage stärker mitbewerten.
Doch welche Länder würden bei Beachtung aller moralischen Kriterien noch übrig bleiben? „Wir könnten noch in die Schweiz liefern“, sagt Andreas Ronken. Da sei der Markt aber leider nicht so groß.
Mitarbeit: Anja Müller
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