Der Rechtsstreit um den Solidaritätszuschlag läuft seit mittlerweile drei Jahren. Die Bundesregierung kann im Haushalt weiter mit den Milliardeneinnahmen planen.
Bundesfinanzhof in München
An diesem Montag gab der Bundesfinanzhof seine Entscheidung zum Solidaritätsbeitrag bekannt.
Bild: imago images/Michael Westermann
Berlin Der Bundesfinanzhof (BFH) hält den Solidaritätszuschlag in der seit 2020 geltenden Form nicht für verfassungswidrig. Das urteilte das höchste deutsche Steuergericht am Montag in München. Damit kann die Bundesregierung weiter jährliche Soli-Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe einplanen.
Die Kläger können zwar immer noch Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen, das den Soli kippen könnte. Eine solche Entscheidung ist durch das Urteil allerdings deutlich unwahrscheinlicher geworden.
Die Ampelkoalition zeigte sich allerdings weiterhin uneins bei dem Thema. 2021 fiel der Soli nach einer Reform für rund 90 Prozent aller Steuerzahler vollständig weg. Nur Spitzenverdiener und gutverdienende Unternehmer müssen den Zuschlag noch entrichten. Genau aus diesem Grund landete der Soli vor Gericht.
SPD und Grüne lehnen Entlastungen für Gut- und Spitzenverdiener allerdings strikt ab. Im Gegenteil: Sie wollen Spitzenverdiener stärker belasten. „Die heutige Entscheidung ist ein wichtiger Schritt, aber nicht das Ende der Debatte“, sagte der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch dem Handelsblatt. „Zu Recht haben die Wirtschaftsweisen gefordert, den Spitzensteuersatz zur Krisenfinanzierung anzuheben.“ Es brauche eine „ehrlichere Debatte über Verteilungsgerechtigkeit und eine gerechte Steuerpolitik“.
Auch bei der SPD ist die Freude über das Urteil groß. „Es gibt weiterhin einen großen staatlichen Finanzbedarf aus der deutschen Wiedervereinigung“, sagte der finanzpolitische Sprecher, Michael Schrodi, dem Handelsblatt. Als Beispiel nannte er mit Verweis auf das Urteil „überproportionale Investitionsausgaben in den neuen Ländern“ und Zuschüsse in die Rentenversicherung. Der Solidaritätszuschlag in seiner jetzigen Form decke diesen Bedarf.
Für die FDP hingegen ist das Urteil eine Niederlage. Die Partei fordert schon lange die komplette Abschaffung des Solis. Der finanzpolitische Sprecher der FDP, Markus Herbrand, nannte die Entscheidung aus München gegenüber dem Handelsblatt deswegen auch „eine herbe Enttäuschung für die Millionen Betroffenen, die aus Perspektive von uns Freien Demokraten seit mehr als drei Jahren unrechtmäßig zur Kasse gebeten werden“.
FDP-Chef Christian Lindner
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte beschlossen, dass sich sein Ressort nicht an dem BFH-Verfahren beteiligt.
Bild: dpa
Nach Vorlage der schriftlichen Urteilsbegründung solle daher geprüft werden, welche Möglichkeiten bestehen, um die Verfassungsmäßigkeit endgültig durch das zuständige Bundesverfassungsgericht klären zu lassen. „Es ist für jemanden mit gesundem Menschenverstand kaum nachvollziehbar, dass über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung und mehr als drei Jahre nach dem Ende des Solidarpakts II nach wie vor Steuern zur Deckung der Einheitskosten erhoben werden.“
Aus Sicht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist der Soli schon lange nicht mehr zeitgemäß. „Er ist zu einer verkappten Unternehmensteuer geworden, was besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gefährlich ist“, sagt IW-Steuerexperte Tobias Hentze. Die vollständige Abschaffung sei überfällig.
Die Einnahmen aus dem Soli summieren sich im Jahr 2023 laut IW voraussichtlich auf rund 13 Milliarden Euro. Der Großteil davon – rund sieben Milliarden Euro – komme von Unternehmen. Dabei ist Deutschland im internationalen Vergleich ohnehin ein Hochsteuerland, gibt das IW zu bedenken.
Unternehmen zahlen hierzulande neben dem Soli auch Körperschaft- und Gewerbesteuer. Seit 2008 sei die Belastung kontinuierlich gestiegen, während viele andere Länder ihre Steuersätze gesenkt haben. Im Jahr 2021 lag die durchschnittliche Steuerbelastung in der EU bei 20,7 Prozent und in den OECD-Staaten bei 22,9 Prozent. Deutschland kommt auf 30 Prozent.
Unternehmen, die sich in Kommunen mit einem besonders hohen Hebesatz niedergelassen haben, zahlen bis zu 36 Prozent Steuern. Nach IW-Berechnungen würde die Abschaffung des Solis die Steuerlast der Kapitalgesellschaften in Deutschland um knapp einen Prozentpunkt senken.
Herbrand sagte, die FDP halte weiterhin an der Einschätzung fest, dass die Steuereinnahmen auf Rekordniveau „mehr als genug Spielraum lassen, um die aus unserer Sicht auf sehr wackligen Füßen stehende Zusatzsteuer zur Finanzierung von Einheitskosten endlich abzuschaffen“.
Ironischerweise hatten vor gut zweieinhalb Jahren die jetzigen parlamentarischen Staatssekretäre im Bundesfinanzministerium, Katja Hessel FDP und Florian Toncar (FDP), Verfassungsbeschwerde gegen die Weiterführung des Rest-Solis eingelegt.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte beschlossen, dass sich sein Ressort nicht an dem BFH-Verfahren beteiligt – entgegen der Position seines Amtsvorgängers, des heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD). Nicht einmal einen Beamten, der die Verhandlung vor Ort verfolgt, entsendete Lindners Haus, räumte das Finanzministerium jüngst im Bundestag ein.
Staatsekretärin Hessel reagierte entsprechend zurückhaltend auf die Soli-Entscheidung. Man nehme das Urteil zur Kenntnis, schrieb sie auf Twitter. Unabhängig davon sei aber klar, Steuerpolitik werde für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands immer wichtiger. „Die vollständige Soli-Abschaffung bleibt daher für die FDP das Ziel“, betonte Hessel. Dies wäre ein „guter Impuls“ für Investitionen und neue Jobs.
Konkret verhandelte der Bundesfinanzhof eine Musterklage des Bundes der Steuerzahler (Aktenzeichen IX R 15/20). Mithilfe des Verbands hatte ein Ehepaar aus Bayern geklagt. Das Finanzgericht Nürnberg hatte die Klage zwar in erster Instanz abgewiesen (Aktenzeichen 3 K 1098/19), doch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache eine Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.
>> Lesen Sie hier: Wer vom Wegfall des Solidaritätszuschlags profitieren würde
Die Kläger hatten dem Bund einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vorgeworfen, weil nur noch eine kleine Minderheit der Steuerzahler die Abgabe zahlen muss.
Mit Agenturmaterial
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