100.000 Sozialwohnungen will die Ampelregierung jährlich schaffen. Doch stattdessen erwarten Verbände und Wohnungswirtschaft einen Notstand.
Hafencity in Hamburg
In der Hafencity gehen die Bauarbeiten und Planungen für die neuen Quartiere 2023 weiter. Ein Teil der Wohnungen soll später als Sozialwohnungen vermietet werden.
Bild: dpa
Berlin Das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ ruft Bund und Länder zu einer „konzertierten Sozialwohnungsbau-Offensive“ auf. Der Staat müsse zur Finanzierung dringend ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025 schaffen, forderte das Bündnis aus Mieterbund, Baugewerkschaft sowie Sozial- und Branchenverbänden der Bauwirtschaft am Donnerstag in Berlin. Ziel des Sonderfonds müsse es sein, „den zu erwartenden Kollaps auf dem sozialen Wohnungsmarkt abzuwenden“.
Basis der Forderung sind neue Befunde des Pestel-Instituts und des Bauforschungsinstituts Arge. Fazit: Für 2023 werden teils drastische Rückgänge im Wohnungsneubau erwartet, 2024 wird es noch schlimmer aussehen.
Zwar stehe das Ziel, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, immer noch auf der Agenda der Regierung, ebenso wie die Schaffung von jährlich 100.000 Sozialwohnungen. „Konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele sind bisher jedoch nicht erkennbar“, heißt es in der Studie.
Besonders eng wird es demnach beim sozialen Wohnungsbau: Statt 100.000 Sozialwohnungen entstanden 2022 nur rund 20.000, kritisiert das Bündnis. In den Jahren 2023 bis 2025 müssten somit 380.000 Sozialwohnungen gebaut werden.
Der Bund müsse den Großteil des Sondervermögens aufbringen, mindestens 38,5 Milliarden Euro, heißt es. „Und das möglichst rasch.“ Nach den bisherigen Plänen stellt die Bundesregierung zwischen 2022 und 2026 insgesamt 14,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Zuständig für den sozialen Wohnungsbau sind aber die Länder. Sie müssen die Bundesmittel um eigene Mittel aufstocken. Daran scheitert es aber häufig.
Die Studie dokumentiert eine sehr unterschiedliche Bereitschaft bei der Förderung des Neubaus von Sozialwohnungen. Spitzenreiter ist demnach Hamburg. Es folgen – bezogen auf die von den Ländern investierten Fördergelder – Bayern, Schleswig-Holstein, Berlin und Baden-Württemberg. Schlusslicht im Länderranking ist das Saarland. Davor rangieren Bremen auf dem vorletzten und Mecklenburg-Vorpommern auf dem drittletzten Platz.
Das Bündnis fürchtet, dass der Neubau von Sozialwohnungen „im Krisenjahr 2023 völlig auf der Strecke bleibt“, und fordert, die Mehrwertsteuer für den sozialen Wohnungsbau von 19 auf sieben Prozent abzusenken. Zudem müssten Förderanträge rascher bearbeitet werden. Vorbild dabei sei das Land Schleswig-Holstein, wo die Bearbeitung eines Förderantrags für den Bau von Sozialwohnungen in der Regel nicht länger als vier Wochen dauere.
Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft (GdW), sagte angesichts der Zahlen: „Beim bezahlbaren Wohnen und insbesondere mit Blick auf Sozialwohnungen steht Deutschland vor einem unglaublichen Drama für Wohnungssuchende.“
Der Staat müsse sein Engagement für den bezahlbaren und sozialen Wohnungsbau sofort und dauerhaft deutlich verstärken. „Die Grundidee eines bundesweiten Sonderfonds für den sozialen Wohnungsbau ist deshalb zu begrüßen“, erklärte Gedaschko. Bezahlbares Wohnen könne auch nur mit einer „auskömmlichen und verlässlichen“ Neubauförderung gesichert werden. „Hier muss die Regierung schleunigst umsteuern“, forderte der GdW-Präsident.
Die jüngste Bilanz beim Wohnungsbau fällt nach den aktuellen Daten enttäuschend aus. Der Spitzenwert liegt demnach nun schon zwei Jahre zurück: 2020 wurden 306.000 Wohnungen fertiggestellt. Im Folgejahr ging es um gut vier Prozent nach unten. Für 2022 rechnen die Experten gerade einmal mit 270.000 bis 290.000 Fertigstellungen. Und das, obwohl es eine enorme Zuwanderung nach Deutschland gebe.
Für das vergangene Jahr ergebe die Bilanz der Zu- und Abwanderung ein Plus von rund 1,5 Millionen Menschen, die zusätzlich in Deutschland lebten, sagte Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts, bei der Vorstellung der Studie am Donnerstag. Günther prognostiziert für 2023 einen „Rekordwohnungsmangel“, mit mehr als 700.000 fehlenden Wohnungen sei es das größte Wohnungsdefizit seit mehr als 20 Jahren.
Dabei gehen die Wissenschaftler davon aus, dass sich die Situation noch weiter zuspitzt: „Der Arbeitsmarkt wird künftig auf 300.000 bis 500.000 Menschen angewiesen sein, die pro Jahr zu uns kommen“, so Volkswirt Günther.
Doch angesichts enorm gestiegener Energie-, Material- und Baupreise wird der Wohnungsbau immer weiter abgewürgt. „Für das Jahr 2023 werden teils drastische Rückgänge im Wohnungsneubau erwartet“, heißt es in der Studie.
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Am deutlichsten seien Bauholz, aber auch Kunststoffe, metallische Materialien und Dämmstoffe von steigenden Rohstoffpreisen betroffen. Die momentane Preisentwicklung zeige sich „extrem volatil“, schreiben die Forscher, gehen aber für 2023 von weiter steigenden Baupreisen und -kosten aus.
Vor weiteren baukostentreibenden Auflagen wird ausdrücklich gewarnt. Der Spielraum vor allem bei bezahlbarem Wohnraum sei „vollständig ausgeschöpft“.
Einfamilienhausanbieter rechneten mit einem Einbruch um 30 bis 50 Prozent. Aber auch im Mehrfamilienhausbau seien deutliche Rückgänge zu erwarten. Mit gestiegenen Zinsen und Errichtungskosten ergäben sich Miet- und Kaufpreise, „die am Markt kaum noch durchsetzbar“ seien.
Alle noch nicht begonnenen Vorhaben stünden derzeit zur Disposition. Die Studienautoren sehen deswegen eine große Gefahr, „dass jetzt abgebaute Kapazitäten nicht wieder aufgebaut werden können“. Die Folge: eine dauerhafte Wohnungsknappheit.
Das Bauen im Bestand – also über Aufstockungen von Wohn- und bisher gewerblich genutzten Gebäuden – erweist sich laut Studie bislang nicht als entlastend. Theoretisch sei damit zwar eine deutliche Steigerung der Fertigstellungszahlen möglich.
Allerdings treten demnach auch beim Bauen im Bestand Hemmnisse zutage, die eine starke Ausweitung dieser Aktivitäten bisher verhindern: „Von Abstandsregelungen über Stellplätze und Brandschutzauflagen bis zum teils notwendigen vollständigen barrierefreien Umbau des ganzen Gebäudes führen Vorschriften und Auflagen regelmäßig dazu, dass das Bauen im Bestand unwirtschaftlich wird.“
Die Investitionskosten für Wohnraum in deutschen Großstädten liegen aktuell bei rund 4900 Euro pro Quadratmeter. In Metropolregionen, zum Beispiel Hamburg, wird bei den Kosten bereits die Marke von 5000 Euro pro Quadratmeter erreicht oder sogar überschritten.
Arbeitsmarkt
Steigende Preise bei Baustoffen und Bauland, anziehende Bauzinsen sowie drohende Lieferengpässe bei Baumaterial belasten das Bauklima.
Bild: dpa
Ein aktuell frei finanziert errichteter Wohnungsbau lasse unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Kaltmiete von unter 16,50 Euro nicht mehr zu, mahnen die Forscher.
Die Dringlichkeit der Schaffung von sozialen und bezahlbaren Wohnungen habe angesichts der demografischen Entwicklung und der Einkommensentwicklung nochmals zugenommen. Die Gefahr des sozialen „Abrutschens“ vieler Haushalte sei akut und die Versorgung mit Wohnraum nicht mehr zu gewährleisten, wenn sich der Staat – also Bund, Länder und Kommunen – nicht stärker engagiere, mahnt das Bündnis.
Unterm Strich gehen aufgrund auslaufender Mietpreisbindungen und Belegrechte sogar regelmäßig Sozialwohnungen verloren. Auf diese Weise hat sich im Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021 der Bestand an Sozialwohnungen um jährlich 30.000 Wohneinheiten verringert. Gab es Ende der 1980er-Jahre noch rund vier Millionen Sozialwohnungen allein im Westen, sind es heute nur noch 1,1 Millionen – bundesweit.
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