Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

19.11.2022

13:30

Sozialpolitik

Scholz attackiert Merz wegen Bürgergeldblockade und nennt Union „hochnäsig“

Die Ampel gibt sich kompromissbereit bei einem zentralen Sozialvorhaben. Der SPD-Kanzler setzt die Union nun unter Druck, der CDU-Chef fordert Zugeständnisse.

Der Kanzler verwies auf eine Reihe von Reformen, mit der die Ampel-Koalition fleißige Menschen und Familien unterstütze. dpa

SPD-Landesparteitag Baden-Württemberg

Der Kanzler verwies auf eine Reihe von Reformen, mit der die Ampel-Koalition fleißige Menschen und Familien unterstütze.

Berlin, Friedrichshafen Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Union und ihrem Parteichef Friedrich Merz Abgehobenheit in der Sozialpolitik vorgeworfen. Es habe die SPD nicht gewundert, dass sich die Union an der Entscheidung für einen höheren Mindestlohn nicht beteiligt habe.

„Aber dass die Union es nicht mal fertig gebracht hat, ein ganz klein wenig die Hand zu heben, als die Abstimmung im Bundestag darüber war und ihr zuzustimmen, das ist abgehoben und das ist hochnäsig“, sagte Scholz am Samstag beim Parteitag der Südwest-SPD in Friedrichshafen. „Und das hat mit „Leistung muss sich lohnen“ überhaupt nichts zu tun“, kritisierte der Kanzler.

Er spielte damit offensichtlich auf die Begründung der Union an, mit der diese im Bundesrat das neue Bürgergeld abgelehnt hat. Scholz sagte in Bezug auf den Mindestlohn: „Die Leistung fleißiger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer muss sich lohnen, lieber Herr Merz.“

Der Kanzler erwähnte den Streit über das Bürgergeld angesichts der Vermittlungsbemühungen nicht direkt, verwies aber auf eine Reihe von Reformen, mit der die Ampel-Koalition fleißige Menschen und Familien unterstütze. Er erwähnte zum Beispiel die Erhöhung des Kindergelds und rief: „Leistung muss sich lohnen, lieber Herr Merz.“

Ampel zeigt sich bei Bürgergeld kompromissbereit

Im Streit um das Bürgergeld hat die Ampel-Koalition ihre Verhandlungsbereitschaft bekräftigt. „Die Freien Demokraten haben bereits deutlich gemacht, dass sie für konstruktive Vorschläge der Union offen sind, etwa bei Sanktionen, beim Schonvermögen oder mit Blick auf noch leistungsfreundlichere Zuverdienstregeln“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

„Ich bin zuversichtlich, dass eine rasche Einigung beim Bürgergeld gelingen kann, wenn sich die Union sachlich und ergebnisorientiert an der gemeinsamen Lösungsfindung beteiligt.“

Die Parteien der Ampel-Koalition seien bereit, über Details zu verhandeln. dpa

Bürgergeld

Die Parteien der Ampel-Koalition seien bereit, über Details zu verhandeln.

Ähnlich äußerte sich die SPD-Vorsitzende Saskia Esken im „Tagesspiegel“ am Samstag. Es werde im Vermittlungsausschuss einen guten Kompromiss geben. Man sei bereit, über Details zu verhandeln.

Esken betonte aber auch: „Die Grundprinzipien müssen erhalten werden.“ Wichtig sei, dass „wir eine Veränderung der Kultur im Umgang mit erwerbslosen Menschen erzielen wollen“. Das geplante Bürgergeld soll das heutige Hartz-IV-System ablösen. Die Reform sieht unter anderem höhere Regelsätze und eine eingehendere Betreuung von Arbeitslosen vor.

Die Union lehnt die Vorlage von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ab. Sie sperrt sich unter anderem gegen die geplante „Vertrauenszeit“ von einem halben Jahr, in der Bürgergeld-Bezieherinnen und -Bezieher kaum Leistungskürzungen bei Fehlverhalten drohen. Aus ihrer Sicht soll Betroffenen ein zu großes Schonvermögen zugestanden werden.

Im Bundesrat fand der Entwurf wegen des Widerstands der Union keine Mehrheit, nachdem er im Bundestag bereits beschlossen worden war. Der Streit soll nun nach Angaben des Bundesrats in einer abendlichen Sitzung des Vermittlungsausschusses am Mittwoch gelöst werden. Nach dem Willen der Bundesregierung soll die Länderkammer am Freitag darauf (25.11.) abschließend über das Bürgergeld-Gesetz beraten.

Merz fordert Setzung von Anreizen mit Sanktionen

CDU-Chef Friedrich Merz forderte die Ampel-Koalition zu Zugeständnissen auf. „Wir erwarten von dieser Regierung, dass sie auch einen Schritt, und zwar einen großen Schritt auf uns zugeht, wenn wir eine gemeinsame Lösung für dieses sogenannte Bürgergeld in den nächsten Tagen und Wochen finden wollen“, sagte Merz am Samstag beim Deutschlandtag der Jungen Union in Fulda.

Es gelte Anreize zu setzen, damit Arbeitslosen möglichst schnell wieder der Weg in den Arbeitsmarkt geebnet werde. In Deutschland würden alle verfügbaren Arbeitskräfte gebraucht. „Das kann auch, das muss auch mit Sanktionen begleitet werden“, sagte Merz. Es solle keine Karenzzeiten geben, sondern Ansporn, „wenn notwendig auch Sanktionen“, so der CDU-Chef.

Der Begriff Bürgergeld könne so verstanden werden, dass es allen Menschen in Deutschland eigentlich zustehe. dpa

CDU-Chef Friedrich Merz beim Deutschlandtag der Jungen Union (JU)

Der Begriff Bürgergeld könne so verstanden werden, dass es allen Menschen in Deutschland eigentlich zustehe.

Das Bundesverfassungsgericht habe dafür einen sehr engen Spielraum vorgegeben. „Diesen engen Spielraum auszunutzen, auch Sanktionen, auch Kürzungen bei beharrlicher Verweigerung der Mitwirkung zu geben, ist doch ein Gebot des Sozialstaates, auch allen denen gegenüber, die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlen“, sagte Merz.

Der Begriff Bürgergeld könne so verstanden werden, dass es allen Menschen in Deutschland eigentlich zustehe. Es gelte aber festzuhalten, dass es sich um eine steuerfinanzierte Sozialleistung handele.

Dazu bekenne man sich auch grundsätzlich, aber die Botschaft müsse lauten: „Nicht alle rein, sondern so schnell wie möglich wieder raus, damit aus denen, die Sozialleistungen bekommen, schnell wieder Beschäftigte werden“, sagte Merz.

Institut der deutschen Wirtschaft: „Vertrauenszeit“ setzt falsches Signal

Der Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Holger Schäfer, kritisierte in der „Rheinischen Post“ unter anderem die bisher geplanten Regelungen zur „Vertrauenszeit“: „Neuzugängen wird mit der so genannten, nahezu sanktionsfreien Vertrauenszeit das Signal gegeben, dass sie sich bei der Jobsuche erst einmal Zeit lassen können.

Dabei zählt bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt jeder Tag: Je länger jemand arbeitslos ist, desto schlechter werden seine Chancen, jemals wieder zurückzukehren in einen Job.“

Die „Vertrauenszeit“ ist eines der Schlagwörter im Bürgergeld-Gesetz. Man wolle niemanden unter Generalverdacht stellen, heißt es von der Ampel. Deshalb sollen Leistungen in den ersten sechs Monaten des Bürgergeldbezugs („Vertrauenszeit“) nur in Ausnahmefällen gekürzt werden, wenn jemand beharrlich mit dem Jobcenter nicht kooperiert.

Von

dpa

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×