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21.07.2019

17:30

Sozialversicherung

Veraltete Software, fehlende Infrastruktur: Der Digitalisierungsrückstand bei der Rente ist immens

Von: Gregor Waschinski

Teile der benutzten Software stammt noch aus den 1970er-Jahren. Der Digitalisierungsrückstand in der Rentenversicherung verhindert die Modernisierung.

Bei der Digitalisierung der Rentenbehörden steht die Bundesregierung noch auf der Bremse, meinen Experten. imago/ecomedia/robert fishman

Behördenschreibtisch

Bei der Digitalisierung der Rentenbehörden steht die Bundesregierung noch auf der Bremse, meinen Experten.

Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ in ihrer Sommerpressekonferenz keine Zweifel daran, dass die deutschen Amtsstuben digitaler werden müssen. „Das wird hohe Zeit“, mahnte die Kanzlerin.

Wie schwer sich große Verwaltungen bei der Umstellung von Stempel auf Software tun, verdeutlicht die gesetzliche Rentenversicherung. Ihr Rückstand bei der Digitalisierung ist groß, wie eine Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine FDP-Anfrage zeigt. Sie liegt dem Handelsblatt vor. Demnach stammen Teile der benutzten Software noch aus den 1970er-Jahren, außerdem fehlt eine einheitliche IT-Infrastruktur.

„Leidtragende sind die Mitarbeiter, die mit veralteten Prozessen und Systemen zu kämpfen haben, sowie die Versicherten und Rentner, denen kein einheitlicher Service angeboten werden kann, der eigentlich im Zeitalter der Digitalisierung angemessen wäre“, kritisierte der rentenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Johannes Vogel. Zwar sei „einiges versucht und angestoßen worden“ innerhalb der komplexen Gliederung der Rentenversicherung. Doch selbst im Vergleich mit anderen Behörden in Deutschland liege sie bei digitalen Anwendungen deutlich zurück.

Hinter der Deutschen Rentenversicherung verbergen sich 16 eigenständige Träger, die meist für bestimmte Regionen zuständig sind. Alle Sachbearbeiter nutzen nach Auskunft der Bundesregierung dieselbe „Kernanwendung“, mit der Beiträge verbucht und Renten berechnet werden.

Die zugrunde liegende Informationstechnik und Infrastruktur unterscheide sich allerdings je nach Rechenzentrum der Träger. Ein gemeinsames Rechenzentrum soll demnach erst im Jahr 2024 in Betrieb gehen. Außerhalb des Kernbereichs der Rentenversicherung seien „teils unterschiedliche Programme diverser Hersteller im Einsatz“, erklärt die Regierung in ihrer Antwort.

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Deutschland liegt auch im EU-Vergleich hinten

Die „rvSystem“ genannte Kernsoftware der Rentenversicherung sei in den vergangenen Jahren vereinheitlicht und überarbeitet worden. „Teile der Anwendung stammen jedoch aus den 1970er- beziehungsweise 1980er-Jahren“, heißt es weiter. „Das sind mehr als 40 Jahre, da waren Brandt und Schmidt noch Bundeskanzler und Computer so groß wie Kühlschränke“, kritisierte Vogel. „Das ist ein Armutszeugnis und unterstreicht, dass beim Thema digitaler Fortschritt wirklich erheblich mehr Tempo notwendig ist.“

Deutschland liegt laut einer aktuellen Erhebung der EU-Kommission bei der Digitalisierung der Verwaltung im europäischen Vergleich unter dem Durchschnitt weit abgeschlagen auf Platz 21. Bund, Länder und Kommunen haben das Ziel ausgegeben, die Verwaltung zu modernisieren und Bürgern Behördengänge über das Internet zu erleichtern.

Bei der Rente verfolgt die Große Koalition vor allem ein großes Projekt: einen Onlinecheck für alle erworbenen Ansprüche aus der gesetzlichen Rente, der betrieblichen Altersversorgung und privater Vorsorgeangebote wie der Riester-Rente. Bisher sind die Informationen verstreut. Viele Bürger können daher nur schwer einschätzen, welches Einkommen sie im Alter erwartet.

Im Frühjahr stellte das Bundesarbeitsministerium ein Gutachten vor, in dem ein schrittweiser Aufbau des zentralen Onlineportals skizziert wird. Das Gesetzgebungsverfahren soll dem Vernehmen nach im Herbst beginnen. „CDU, CSU und SPD haben den Bürgern eine säulenübergreifende Renteninformation versprochen“, sagte Vogel. Die Zustände bei der Rentenversicherung würden aber nicht darauf hindeuten, dass dieses Versprechen in naher Zukunft gehalten werden könne.

In den kommenden Jahren gehen verstärkt die geburtenstarken Jahrgänge der „Babyboomer“ in Rente. Durch die Entwicklung kommt auf die Rentenversicherungsträger auch ein größerer Verwaltungsaufwand zu. Die Bundesregierung schreibt, dass „der Ausbau digitaler Prozesse und vor allem die Verbreiterung der Nutzung der Onlineangebote“ bei der Bewältigung der demografischen Herausforderung für die Rentenversicherung eine wichtige Rolle spiele.

Vogel hält der Großen Koalition dagegen vor, bei der Modernisierung der Rentenversicherung trotz der absehbaren Arbeitsbelastung auf der Bremse zu stehen. Das Thema scheine Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) „leider recht egal zu sein“, sagte der FDP-Politiker. Schon heute müssten Bürger oft zu lange auf ihren Rentenbescheid warten.

 Zahlen der Bundesregierung zeigen zudem, dass die Bearbeitungsdauer je nach regionalem Träger sehr unterschiedlich ist: In Berlin-Brandenburg beträgt sie im Schnitt 78 Tage, in Nordbayern 41 Tage. „Eine durchgreifende Digitalisierung der Rentenversicherung ist unverzichtbar“, konstatierte Vogel.

Der Internetauftritt der Rentenversicherungsträger wird nach Angaben der Regierung monatlich etwa 27 Millionen Mal aufgerufen. FDP-Politiker Vogel gab zu bedenken, dass nicht jeder Aufruf eine Nutzung von Onlinedienstleistungen sei. Außerdem „überzeugen diese Zahlen bei einer Gesamtsumme von insgesamt über 55 Millionen Versicherten der Rentenversicherung nicht wirklich“. Einige Dienste wie die digitale Antragsstellung würden pro Jahr deutlich seltener als 100.000-mal aufgerufen.

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