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15.04.2021

07:44

Standards und Normen

Fraunhofer-Forscher warnen: Deutschland droht wachsende Abhängigkeit von USA und China bei Standardsetzung

Von: Daniel Delhaes, Till Hoppe

Die führende Forschungsgesellschaft befürchtet, dass Deutschland bei der Standardsetzung zurückfällt. Dadurch drohe in bestimmten Technologien sogar „der Verlust jeglicher Kontrolle“.

Deutsche Anbieter haben bei der Standardisierung von Technologiefeldern wie dem 5G-Netz, weniger Einfluss. dpa

5G-Standard

Deutsche Anbieter haben bei der Standardisierung von Technologiefeldern wie dem 5G-Netz, weniger Einfluss.

Berlin Wer die Standards setzt, dem gehört der Markt: Diese Erkenntnis von Werner von Siemens aus dem 19. Jahrhundert droht in Deutschland in Vergessenheit zu geraten, warnt die Fraunhofer-Gesellschaft. Die weltweit größte Organisation für anwendungsorientierte Forschung fordert nun Politik und Wirtschaft auf gegenzusteuern.

Wenn Deutschland und Europa nicht in technologische Abhängigkeiten geraten wollten, „müssen wir jetzt unsere Bemühungen hinsichtlich dieser Standardisierungsprozesse deutlich intensivieren“, fordert deren Präsident Reimund Neugebauer. Deutschland sei auf dem Gebiet „seit einiger Zeit nicht mehr optimal aufgestellt“. Die Politik unterschätze die Bedeutung bislang, auch die Unternehmen agierten zu zögerlich.

Um die Sensibilität für das Thema zu stärken, hat die Fraunhofer-Gesellschaft einen Forderungskatalog formuliert, der an diesem Donnerstag vorgestellt wird und dem Handelsblatt vorab vorlag. Die Stimme der Organisation mit ihren 75 Forschungsinstitutionen und 29.000 Mitarbeitern hat Gewicht, zumal sie nach eigenem Bekunden selbst zu den wichtigsten Akteuren bei standardessenziellen Patenten zählt.

Zuvor hatten bereits Experten und der Chef des Deutschen Instituts für Normung (DIN), Christoph Winterhalter, im Handelsblatt vor einem Zurückfallen Deutschlands gewarnt. Lange waren deutsche Fachleute in den Gremien etwa der Internationalen Organisation für Normung (ISO) oder der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC) stark vertreten. Bei der Standardisierung neuer Technologiefelder wie ultraschnellen 5G-Mobilfunknetzen aber haben deutsche Vertreter weit weniger Einfluss.

Fraunhofer betont, der Beitrag von Normen und Standards zum Bruttoinlandsprodukt sei beträchtlich: „Mit ihrer marktöffnenden Wirkung stärken sie die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Wirtschaftsnation und Exportland.“

China nutzt Normen „als Werkzeug, um Abhängigkeiten zu erzeugen“

Expertengremien etwa in der Internationalen Organisation für Normung (ISO) leisteten einen entscheidenden Beitrag zur Sicherheit und Qualität von Produkten. Allerdings werde dies sowohl im einzelnen Unternehmen wie auch in der Politik nicht unbedingt so wahrgenommen.

„Unternehmen haben Schwierigkeiten, Normung und Standardisierung als Instrument des Wissens- und Technologietransfers zu nutzen, obwohl Normen und Standards oft als Katalysatoren zur Beschleunigung und Durchsetzung von Innovationen bezeichnet werden“, heißt es in einer Studie der Organisation.

Andere Länder hätten die Bedeutung hingegen erkannt, sagt Neugebauer: „Wir erleben, wie Unternehmen beispielsweise aus China oder den USA offensiv Standards setzen.“ Insbesondere China nutze das „intensiv als Werkzeug, um eine Technologieführerschaft in strategischen Branchen zu erreichen und damit Abhängigkeiten zu erzeugen“, heißt es in dem Positionspapier.

Beispielsweise investiere der chinesische Staat umgerechnet rund 30 Milliarden Dollar in den Aufbau des Halbleiter-Herstellers Yangtze Memory. Das Unternehmen habe bereits Tausende von Patenten angemeldet und sei wie andere chinesische Hersteller sehr aktiv in wichtigen Standardisierungsgremien.

Bei standardrelevanten Patenten für 5G-Standard sei das vom chinesischen Staat unterstützte Unternehmen Huawei weltweit führend, schreiben die Fraunhofer-Experten. Und warnen: „Sollte sich dieser Trend fortsetzen, droht Europa der Verlust jeglicher Kontrolle über diese Telekommunikationstechnologie.“

Microsoft und Google setzen De-facto-Standards

In den USA wiederum hätten sich Firmen wie Intel und Microsoft als de facto standarddefinierende Unternehmen etabliert. „Potenziell technisch überlegene Lösungen, die von diesen beiden Playern nicht unterstützt werden, haben dadurch kaum eine Chance, in Produkte einzufließen“, so die Fraunhofer-Experten. Ähnliches gelte für Facebook und Google im Bereich der Internet- und KI-Technologien.

Die politischen Entscheider müssten sich die enorme volkswirtschaftliche Bedeutung von Normen und Standards bewusst machen, fordern die Fraunhofer-Vertreter. In jeder Strategie zur Förderung von Zukunftstechnologien wie Künstlicher Intelligenz oder Quantencomputing solle die Standardisierung ein fester Bestandteil sein.

Zudem solle eine Mitarbeit deutscher Experten in den Normungsgremien finanziell unterstützt werden, insbesondere wenn es sich dabei um Wissenschaftler oder Vertreter von Mittelständlern handele. Standardisierung solle überdies in wirtschafts- und techniknahe Studiengänge integriert werden, empfehlen die Forscher.

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