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25.01.2021

13:43

Streit mit Pharmakonzern

EU stellt Astra-Zeneca wegen Lieferproblemen beim Corona-Impfstoff zur Rede

Von: Hans-Peter Siebenhaar

Trotz Hunderten Millionen Euro Vorauszahlungen liefert Astra-Zeneca sein Vakzin verzögert. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen fordert von Konzernchef Soriot Vertragstreue.

Astra-Zeneca warnt vor Lieferverzögerungen bei seinem Impfstoff. Reuters

Impfstoff in Ampullen

Astra-Zeneca warnt vor Lieferverzögerungen bei seinem Impfstoff.

Brüssel Der Unmut der EU über die Lieferschwierigkeiten des Pharmakonzerns Astra-Zeneca ist gewaltig. In einem Brief an das britisch-schwedische Unternehmen kritisiert Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides das Verhalten des Konzerns. 

Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schaltete sich ein: In einem Telefonat mit Astra-Zeneca-Chef Pascal Soriot forderte sie die Lieferung der vertraglich vereinbarten Mengen an Corona-Impfstoff ohne Abstriche und ohne Verzug. „Wir erwarten von der Firma, Lösungen zu finden und alle möglichen Spielräume auszunutzen, um schnell zu liefern“, sagte von der Leyen laut einem Sprecher der Kommission.

Am Nachmittag treffen sich Kommission und Mitgliedsländer mit Astra-Zeneca zu einer Aussprache. Die Kommission verlangt eine Erklärung, warum der Pharmakonzern seine vertraglichen Verpflichtungen nicht einhält. Und sie verlangt, dass ausgebliebene Lieferungen so bald wie möglich nachholt werden.

Die Kommission hat bei dem Pharmakonzern bis zu 300 Millionen Impfdosen bestellt und besitzt eine Option auf weitere 100 Millionen.

Einen „dreistelligen Millionen-Euro-Betrag“ habe die EU bereits an Astra-Zeneca gezahlt, sagte ein gut informierter Kommissionsmitarbeiter dem Handelsblatt. Mit dem Geld wollte sich die Kommission den bereits vorproduzierten Impfstoff gegen das Coronavirus sichern und diesen sofort nach der Zulassung einsetzen.

Doch statt der vorgesehenen 80 Millionen Dosen gegen Covid-19 wird der Konzern im ersten Quartal möglicherweise nur 31 Millionen Einheiten liefern. Also 60 Prozent weniger als vorgesehen. Als Grund nennt Astra-Zeneca, einer der größten Pharmakonzerne weltweit, Produktionsprobleme beim belgischen Auftragsfertiger Novasep. Astra-Zeneca hat sich zum Ziel gesetzt, in diesem Jahr drei Milliarden Dosen herzustellen. Dazu setzt der Konzern auf ein Netzwerk von fast zwei Dutzend Zulieferfirmen und Produktionspartnern.

Misstrauen zwischen EU und Astra-Zeneca wächst

Das Misstrauen zwischen der EU und dem Pharmakonzern ist groß. Am Freitag informierte Astra-Zeneca die Kommission und die Mitgliedsstaaten, dass die Lieferungen an die EU geringer ausfallen werden als vertraglich vereinbart. Der Lenkungsausschuss von EU-Kommission und EU-Mitgliedstaaten verlangt nun eine umfassende Erklärung über die Verzögerungen. „Mit Ausreden will sich die Kommission diesmal nicht abspeisen lassen. Wir wollen die weltweiten Produktionszahlen sehen“, sagte ein Kommissionsvertreter dem Handelsblatt.

Die Kommission pocht beim Pharmariesen Astra-Zeneca auf die Einhaltung des Liefervertrags. imago images/Hans Lucas

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides

Die Kommission pocht beim Pharmariesen Astra-Zeneca auf die Einhaltung des Liefervertrags.

In Kommissionskreisen rätselt man nun, ob Astra-Zeneca nicht genug Vakzine vorproduziert hat, oder ob das Unternehmen die vorhandenen Dosen nur nicht an die EU liefern will. „Uns geht uns aber nicht um Schadensersatz, sondern um die schnelle Lieferung der Impfdosen“, sagte ein Kommissionsbeamter. „Wir machen Druck und wollen jetzt die Zahlen sehen.“

Am Freitag gab es ein Gespräch mit Astra-Zeneca, in dem der Pharmariese seine Lieferprobleme offenlegte. Gesundheitskommissarin Kyriakides bestand dabei nach eigenen Angaben auf einem „genauen Zeitplan“, auf dessen Grundlage die Mitgliedsstaaten ihre Vakzinierungsprogramme planen sollten.

Die Kommission unter ihrer Präsidenten Ursula von der Leyen steht unter großem Druck, denn sie kauft den Impfstoff für alle Mitgliedsländer ein. Bei den Impfungen in den 27 Mitgliedstaaten kommt es angesichts mangelnder Vakzine, Logistik- und Organisationsproblemen aber immer wieder zu Verzögerungen. „Wir erwarten, dass die von den Pharmaunternehmen bestätigten Verträge eingehalten werden“, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel dem französischen Sender Europe 1 am Sonntag. Um die Einhaltung der Verträge zu gewährleisten, könne die EU auch „juristische Mittel“ anwenden.

Impfstoff von Astra-Zeneca vor Zulassung

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (Ema) wird voraussichtlich noch in dieser Woche den Impfstoff von Astra-Zeneca und der Universität Oxford zulassen. Im Laufe des Montags soll der Ausschuss für Humanarzneimittel die Bewertung des Vakzins abschließen. Vom Votum dieses Gremiums hängt die bedingte Marktzulassung ab. Die beschleunigte Bewertung des Impfstoffes durch den Ausschuss für Humanarzneimittel ist nur möglich, weil sich die Ema mit den bereits von Astra-Zeneca vorgelegten Daten zu dem Impfstoff für eine „rollierende Überprüfung“ entschieden hat.

Das grüne Licht für den neuen Impfstoff setzt voraus, dass die Daten zu seiner Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit vollständig sind und alle benötigten Informationen vorliegen. 

Bis Ende März sollen laut Kommission mindestens vier Fünftel aller Bürger über 80 Jahre sowie das medizinische Personal in allen Mitgliedsländern gegen Covid-19 geimpft werden.

Insgesamt hat die EU-Kommission bisher 2,3 Milliarden Impfdosen bei verschiedenen Herstellern bestellt. Die Von den beiden bislang zugelassenen Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna hat die EU 600 Millionen beziehungsweise 160 Millionen Impfdosen geordert. Darüber hinaus hat sich Gesundheitskommissarin Kyriakides bei Curevac bis zu 405 Millionen, bei Johnson & Johnson bis zu 400 Millionen und bei Sanofi-GSK bis zu 300 Millionen vertraglich gesichert. Die Sondierungsgespräche mit Novamax und Valneva sind mittlerweile abgeschlossen. Die 27 Mitgliedsstaaten hatten sich im vergangenen Sommer darauf geeinigt, dass die Kommission sämtliche Lieferverträge aushandeln soll.

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