In Sachsen-Anhalt hat der Streit in der Koalition aus CDU, SPD und Grünen zu Rissen in der Union geführt. Holger Stahlknecht tritt auch als CDU-Landeschef zurück.
Holger Stahlknecht (CDU)
Aus der Koalitionskrise ist nun auch eine Krise der Union geworden.
Bild: dpa
Magdeburg, Berlin Nicht, dass die CDU kurz vor dem Start ins Superwahljahr 2021 nicht bereits genug Probleme hätte. Die Führungsfrage ist bis mindestens Mitte Januar ungelöst, von der Entscheidung über den Kanzlerkandidaten ganz zu schweigen. Nun eskaliert auch noch der Rundfunkstreit in der Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt.
Am Freitagnachmittag entließ Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff Innenminister Holger Stahlknecht (beide CDU). Er zog damit die Konsequenz aus einem nicht abgesprochenen Interview zum Koalitionsstreit um den Rundfunkbeitrag und die Ankündigung einer CDU-Minderheitsregierung, wie die Staatskanzlei mitteilte. Am Abend gab Stahlknecht bekannt, zum 8. Dezember auch sein Amt als CDU-Landeschef niederzulegen.
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer forderte alle „verantwortlichen Kräfte“ auf, gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten für „politische Stabilität“ zu sorgen. Dafür habe Haseloff entsprechende Vorschläge gemacht. „Die Entscheidung liegt jetzt insbesondere bei SPD und Grünen, die sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst werden müssen“, sagte die Bundesvorsitzende der Nachrichtenagentur dpa.
Die Entlassung Stahlknechts wurde von Haseloff damit begründet, dass das Vertrauensverhältnis so schwer gestört sei, dass er der Landesregierung nicht weiter angehören könne. Haseloff habe Stahlknecht die Entlassungsurkunde bereits ausgehändigt, hieß es. Der Regierungschef verfolge weiterhin das Ziel, in der Corona-Pandemie eine in jeder Hinsicht handlungsfähige Regierung anzuführen, die über eine verlässliche Mehrheit verfüge.
Stahlknecht, der auch CDU-Landeschef ist, hatte der „Magdeburger Volksstimme“ gesagt, dass die CDU ihre Position in dem Streit nicht räumen werde. Das habe auch der CDU-Landesvorstand einstimmig so beschlossen. Für den Fall, dass die Kenia-Koalition im Zerwürfnis über die Rundfunkgebühren platzt, brachte Stahlknecht eine CDU-Minderheitsregierung ins Spiel.
Hintergrund des Regierungsstreits ist eine geplante Erhöhung der Rundfunkgebühren von 17,50 Euro auf 18,36 Euro in Rundfunkstaatsvertrag. Im Magdeburger Landtag wollen CDU und AfD gegen die Erhöhung stimmen, SPD und Grüne dafür. Die CDU hätte aber zusammen mit der AfD eine Mehrheit im Landtag, um die Anhebung der Gebühr zu blockieren.
Bleibt die CDU bei ihrem Nein, könnte die Koalition auch getrennt abstimmen. Es ist aber nicht üblich, dass Koalitionen bei wichtigen Vorhaben uneinheitlich votieren. SPD und Grüne kündigten bereits an, dass sie bei einem gemeinsamen Vorgehen von CDU und AfD keine Grundlage mehr für einen Fortbestand der seit 2016 regierenden Koalition sehen.
Das Interview Stahlknechts sorgte auch in der Landes-CDU für angespannte Stimmung, von Wutausbrüchen ist die Rede. Die Christdemokraten versuchen seit Wochen zu versichern, dass sich ihre grundsätzliche Position zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk deutlich von der der AfD unterscheidet. Die Öffentlich-Rechtlichen seien richtig und wichtig, wiederholte etwa Medienpolitiker Markus Kurze immer wieder. Die Sender seien jedoch zu groß und zu teuer, begründete er, warum seine Fraktion gegen die Beitragserhöhung sei.
Stahlknecht hatte in den vergangenen Jahren mehrfach Kritik auf sich gezogen. Erst vor wenigen Wochen legte ihm der Präsident des Zentralrats der Juden, Armin Schuster, den Rücktritt nahe, und warf ihm vor, mit Aussagen zum Polizeischutz für jüdische Einrichtungen dem Antisemitismus Vorschub zu leisten.
Holger #Stahlknecht via @Volksstimme: Wir bleiben bei unserer Position. Der Ball liegt im Feld von @SPD_LSA und @GRUENE_LSA. Ich gehe davon aus, dass sie sich ihrer politischen Verantwortung bewusst sind und nicht die Koalition beenden. #Rundfunkbeitrag
— CDU Sachsen-Anhalt (@cdulsa) December 4, 2020
👉https://t.co/VVrKebg7EM pic.twitter.com/MVBiFm0DtH
Andere Beispiele waren der zögerliche Rausschmiss eines CDU-Kreisvorstandsmitglieds in Anhalt-Bitterfeld, der ein beliebtes Neonazi-Motiv auf den Arm tätowiert hatte; oder die übereilte und schließlich gescheiterte Berufung des umstrittenen Polizeigewerkschafters Rainer Wendt zum Innenstaatssekretär.
Stahlknecht war seit 2011 Innenminister, ist seit 2018 CDU-Landeschef und galt jahrelang als gesetzt für die Nachfolge von Ministerpräsident Haseloff (CDU). Dieser Ambition machte der Amtsinhaber erst vor wenigen Wochen einen Strich durch die Rechnung und verkündete, für eine dritte Amtszeit als CDU-Spitzenkandidat anzutreten.
Noch ist unklar, was nun nach dem Rausschmiss Stahlknechts aus der Koalition in dem Bundesland wird. Echte Eingriffsmöglichkeiten, um einen Bruch des Bündnisses und eine Annäherung an die AfD zu verhindern, hat die Bundes-CDU nicht. Die CDU sei eine Partei, bei der die Landesverbände ein „sehr hohes Maß an Autonomie“ hätten.
„Die Bundes-CDU kann ihnen nichts befehlen, sie muss auf Überzeugungskraft setzen“, sagte der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer dem Handelsblatt. „Angesichts des jetzt schon länger andauernden Führungsvakuums an der Parteispitze durch die verschobene Neuwahl des Parteivorsitzenden fehlt es aber an der dazu notwendigen Autorität.“
Damit steht die Bundes-CDU vor einem ziemlichen Dilemma. Politikwissenschaftler schätzen, dass das Ende des Regierungsbündnisses kaum noch abzuwenden sei. „Es ist schwer vorstellbar, dass die Koalition Bestand hat, wenn die CDU mit der AfD gegen ihre Partner im Regierungsbündnis stimmt“, sagte der Professor an der Universität Mainz, Kai Arzheimer, dem Handelsblatt.
Unter normalen Umständen würde man aus seiner Sicht wohl versuchen, einen „gesichtswahrenden Kompromiss“ zu finden, um einen solchen offenen Dissens zu verhindern. Dies sei hier aber nicht möglich, da es bei der Erhöhung des Rundfunkbeitrags um ein Übereinkommen zwischen allen Bundesländern gehe, das nicht mehr aufgeschnürt werden könne. „Wenn die CDU nicht einlenkt, gehe ich davon aus, dass die Koalition am Ende ist“, sagte Arzheimer.
Der Politikwissenschaftler Niedermayer sieht es genauso. „Auch wenn die CDU-Fraktion mit ihrem Nein zur Gebührenerhöhung nur den Koalitionsvertrag erfüllt, in dem das Festhalten am Ziel der Beitragsstabilität vereinbart wurde, werden Grüne und SPD die Koalition platzen lassen, wenn die CDU-Fraktion nicht einlenkt“, sagte er.
Derzeit laufen Krisengespräche von CDU, SPD und Grünen, um doch noch ein einheitliches Votum zu erreichen. Das ist auch das Ziel von Ministerpräsident Haseloff. Doch die Chancen dafür schwanden zuletzt nach den Äußerungen Stahlknechts.
Der Koalitionspartner SPD zollte derweil Haseloff Respekt für seine Entscheidung, Stahlknecht zu entlassen. „In einer Zeit, in der die Demokratie innerhalb und außerhalb der Parlamente bekämpft wird, kommt es besonders auf Haltung an“, sagte Fraktionschefin Katja Pähle. „Reiner Haseloff hat heute Haltung gezeigt.“ Die Entlassung Stahlknechts zeige, dass der Regierungschef „den Auftrag an diese Koalition ernst nimmt, in schwieriger Lage demokratische Mehrheiten sicherzustellen“.
Zuvor hatte Pähle Stahlknecht eine „sprachliche Anbiederung nach rechts“ vorgeworfen. Der CDU-Landeschef hatte das Nein seiner Fraktion zu einem höheren Rundfunkbeitrag auch mit dem Bild Ostdeutschlands im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verteidigt.
.@KatjaPaehle zum #Stahlknecht-Interview: "Im CDU-internen Machtkampf brechen die Dämme. Unübersehbar ist die sprachliche Anbiederung nach rechts. Wenn diesem Kurs in der CDU kein Riegel vorgeschoben wird, scheitert Haseloffs 'Bollwerk gegen rechts'."https://t.co/yql8MUGB1h pic.twitter.com/aUytw2Ovj9
— SPD-Fraktion Sachsen-Anhalt (@spd_lt_lsa) December 4, 2020
Die Sachsen-Anhalt-Krise hat derweil längst die Bundespolitik erreicht. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte, ihre Partei stehe dafür, „dass sich die Menschen auf sie verlassen können gerade in schwierigen Zeiten“. Das habe Ministerpräsident Haseloff heute deutlich gemacht. Zu einer möglichen Annäherung der Landes-CDU zur AfD, sagte Kramp-Karrenbauer nichts.
Generalsekretär Paul Ziemiak hatte dazu Anfang November in einem Beitrag für „Spiegel Online“ deutlich Stellung bezogen, ohne konkret zu Sachsen-Anhalt Bezug zu nehmen. Er führte generell aus, dass es im Verhältnis zwischen Union und AfD nur „klare Kante und schärfste Abgrenzung“ geben könne.
„Koalitionen oder irgendeine andere Art der Zusammenarbeit sind für aufrechte Christdemokraten ausgeschlossen. Das wäre ein Verrat an unseren christdemokratischen Werten“, schrieb Ziemiak.
SPD und Grüne forderten die Bundes-CDU zum Eingreifen in Sachsen-Anhalt auf. Sie müsse verhindern, dass die CDU gemeinsame Sache mit der AfD macht, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Freitag in Kiel. „Wenn die Union mit der AfD neue Mehrheiten sucht, dann wird das eine ziemliche Konsequenz haben.“ CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Generalsekretär Ziemiak müssten ihr „lautes Schweigen“ beenden.
„Ich hoffe sehr, dass die CDU im Bund noch irgendeinen ordnenden Einfluss hat, damit die CDU in Sachsen-Anhalt in der Mitte bleibt und nicht nach rechts abdriftet“, sagte der politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, dem Handelsblatt. „Wir sind in ernsthafter Sorge.“
Die Grünen in Sachsen-Anhalt hätten gemeinsam an der Seite von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) diese Kenia-Koalition vier Jahre lang „durch viele Stürme geführt und gegen alle Angriffe des AfD-Flügels der CDU verteidigt“. Aber die CDU als stärkste Regierungspartei stecke in Sachsen-Anhalt in einem Machtkampf. „Da geht es nicht um 86 Cent mehr an Rundfunkgebühren, sondern um den Versuch, den eigenen Ministerpräsidenten zu beschädigen und die Tür zu einer Minderheitsregierung, die von der AfD toleriert wird, aufzustoßen“, sagte Kellner.
Die Ereignisse des Tages zeigten auf „dramatische Weise“, wie zerrissen die CDU in Sachsen-Anhalt sei, sagte Kellner weiter. Und das setze sich bis auf die Bundesebene fort. „Die gegensätzlichen Äußerungen von Friedrich Merz und Armin Laschet zeigen: Die CDU ringt um ihren Kurs.“
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat seinen CDU-Parteifreunden geraten zur Erhöhung zuzustimmen. „Es wäre kein gutes Signal, wenn der Staatsvertrag scheitert“, sagte Kretschmer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Das ist auch eine staatsbürgerliche Verantwortung, die jeder einzelne Abgeordnete in Sachsen-Anhalt hat.“
Die Linken-Chefin Katja Kipping sprach von einer „offenen Kumpanei der CDU mit der AfD“. „Das wäre noch heftiger als der Sündenfall von Erfurt bei der Wahl von Kemmerich„, schrieb Kipping auf Twitter.
#Rundfunkbeitrag: Wir sind in großer Sorge um die Kenia-Koalition in #Sachsenanhalt, da der Ministerpräsident Haseloff aus den eigenen Reihen frontal angegriffen wird. Das ist staatspolitische Verantwortungslosigkeit. #ltlsa #Stahlknecht #ÖRR https://t.co/7gyAphN7xi
— Grüne Fraktion LSA 😷 (@GrueneFrakLSA) December 4, 2020
In Thüringen war im Februar ein politisches Beben ausgelöst worden, weil der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt worden war. Er blieb es nur kurzzeitig.
Für die Bundes-CDU hatte der Thüringen-Eklat schwerwiegende Folgen. Am 10. Februar hatte Annegret Kramp-Karrenbauer nach nur 14 Monaten im Amt ihren Rückzug als Parteichefin und mögliche Kanzlerkandidatin angekündigt. AKK war vorgeworfen worden, sie bekomme die Parteifreunde nicht in den Griff.
Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sieht notfalls das Konrad-Adenauer-Haus am Zug, in Sachsen-Anhält einzugreifen. „Demokratische Politik lebt von der Bereitschaft zum Kompromiss, und ich würde mir wünschen, dass die Beteiligten aller demokratischen Parteien sich daran auch erinnern – oder notfalls von außen daran erinnert werden“, sagte Knobloch dem Handelsblatt. „Der aktuelle Streit nützt nur den Extremisten.“
Knobloch zeigte Verständnis für die Debatte über die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern betonte jedoch zugleich: „Auch wenn die Höhe der Rundfunkgebühren für viele Menschen ein hochemotionales Thema darstellt, über das in Parlamenten offen gesprochen werden muss, darf die demokratische Mitte sich gerade im Vorfeld einer wichtigen Landtagswahl nicht so einfach auseinandertreiben lassen.“
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (1)