In einem Papier skizziert die EU-Kommission die düsteren Folgen des IRA für Europas Industrie. Kommissionschefin von der Leyen will den Schaden in Washington begrenzen.
Mitarbeiter in einem Stahlwerk von Arcelor-Mittal
Der Stahlkonzern hat bereits seine Produktion in Hamburg und Bremen zurückgefahren.
Bild: dpa
Brüssel, Washington Die EU-Kommission sieht den amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) als ernsthafte Gefahr für die europäische Industrie. In einem internen Papier warnt die Binnenmarktdirektion von Kommissar Thierry Breton vor den Risiken des US-Subventionsprogramms. „Die Gefahr einer Verzerrung der europäischen Lieferketten ist real“, lautet das Fazit.
Die Mischung aus niedrigeren Energiepreisen und schnelleren Subventionen erweist sich demnach schon jetzt als spürbarer Standortvorteil für die USA. Ein erheblicher Anteil europäischer Firmen erwäge, Aktivitäten aus der EU zu verlagern, heißt es in dem Papier.
Dies könne ganze Lieferketten betreffen und bereite besonders kleinen und mittleren Unternehmen in Europa Sorgen. Das US-Gesetz sieht Subventionen für grüne Technologien in Höhe von 369 Milliarden Dollar über zehn Jahre vor.
Um den Ernst der Lage zu illustrieren, listen die Autoren rund 50 Firmen in energieintensiven Branchen auf, die aufgrund der hohen Energiepreise seit dem Ukrainekrieg ihre Produktion unterbrochen, verkleinert oder ganz gestoppt haben. Darunter ist etwa der Stahlhersteller Arcelor-Mittal, der seine Produktion in Bremen und Hamburg zurückgefahren hat. Aber auch der Keramikhersteller V&B Fliesen, der in die Türkei umzieht.
Auch zählt die Kommission eine ganze Reihe von Firmen auf, die Investitionen in den USA angekündigt haben. Darunter ist etwa der italienische Energiekonzern Enel, der dank des IRA dort eine Solarzellenfabrik bauen will. Die norwegische Solarfirma REC Solar zieht sogar gleich in die USA um – „aufgrund der unerreichten Bedingungen, die der IRA bietet“, wie die Autoren schreiben.
Vor diesem Hintergrund wird der Washington-Besuch von Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Freitag zur heiklen Mission. Der Subventionsstreit soll die Visite aber nicht überschatten, vielmehr will die CDU-Politikerin den Schaden durch den IRA möglichst begrenzen. Ihr wichtigstes Ziel ist es, die geplante Rohstoffpartnerschaft mit den USA voranzubringen.
Die Amerikaner haben den Europäern signalisiert, dass sie unter Umständen bereit sind, eine solche Allianz als Freihandelsabkommen zu werten. Damit könnten auch europäische Batteriehersteller gemäß der IRA-Bestimmungen von US-Subventionen profitieren.
US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen
Von der Leyen hat ein gutes Verhältnis zum US-Präsidenten, doch der Spielraum der Amerikaner, den Europäern entgegenzukommen, ist klein.
Bild: Reuters
Allerdings wird es am Freitag noch keinen unterschriftsreifen Vertrag geben. Aus Sicht der EU-Kommission geht es vielmehr darum, einen Prozess aufzusetzen, der mittelfristig zu einer Rohstoffpartnerschaft führen soll. In der Zwischenzeit, so die Brüsseler Hoffnung, könnte eine Absichtserklärung genügen, um den Status als Freihandelspartner zu erhalten.
Die Beziehung zwischen von der Leyen und Biden ist außergewöhnlich eng. Auch von der Leyens Stabschef Björn Seibert hat gute Kontakte nach Washington, spricht regelmäßig mit Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan. Die Kommission wird von der US-Regierung ernst genommen – was bisher eher selten so war.
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Für die IRA-Verhandlungen ist das nützlich. So verschob das US-Finanzministerium von Janet Yellen die vollständige Implementierung des IRA auf Ende März, um eine Lösung im Streit verhandeln zu können. Doch der Spielraum für Korrekturen, das macht die US-Regierung immer wieder klar, ist klein. Jede Aufweichung der geplanten „Made in America“-Regeln im IRA wird im Kongress und in der US-Industrie argwöhnisch betrachtet.
Die mächtigen US-Bergbauverbände warnen vor Zugeständnissen an die EU und argumentieren, dass ausländische Autohersteller über Schlupflöcher doch noch Mineralien aus China oder Russland verarbeiten könnten. Mit dem demokratischen Senator Joe Manchin haben sie einen mächtigen Fürsprecher.
Der Streit um Rohstoff-Regeln zieht inzwischen weite Kreise: In dieser Woche blockierte Manchin im US-Senat die Bestätigung eines Kandidaten, der von Biden für die Leitung der US-Steuerbehörde nominiert wurde – als Zeichen des Protests. „Diese Regierung hat die Absicht des Kongresses bei der Umsetzung des IRA auf Schritt und Tritt ignoriert“, begründete Manchin sein Nein.
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Hohe EU-Beamte räumen ein, dass es nicht leicht wird, die Amerikaner zu weiteren Zugeständnissen zu bewegen. Doch die Zeit drängt: Bis Ende des Monats muss eine Einigung vorliegen. SPD-Politiker Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament, sieht den möglichen Rohstoffdeal nur als „kleinen Baustein“ einer Verständigung mit den USA.
Sorge bereitet ihm die großzügige Förderung von grünem, also klimaneutralem Wasserstoff, die Washington ausschütten will. „In diesem Sektor ist der Verlagerungsdruck besonders groß“, warnt Lange. Europa laufe Gefahr, vielversprechende Start-ups zu verlieren.
Ähnlich besorgt zeigte sich in Berlin die wirtschaftspolitische Sprecherin der Union, Julia Klöckner. „Zeitenwende muss es auch in der Wirtschaftspolitik heißen: Wettbewerbsfähige Energiepreise, weniger Bürokratie und schnelle Verfahren, damit Deutschland ein attraktiver Standort bleibt und nicht noch mehr Arbeitsplätze in Gefahr geraten“, sagte Klöckner.
Auch über das Thema Wasserstoff dürften von der Leyen und Biden sprechen. Vor allem die Tatsache, dass es im IRA keine Obergrenze für Subventionen gibt, beschäftigt die Kommission. Brüssel strebt Absprachen an, sodass Europäer und Amerikaner gemeinsam in den Klimaschutz investieren, statt sich gegenseitig zu schwächen. Als Vorbild gilt der Chip-Sektor, in dem es bisher gelungen ist, ein schädliches Subventionsrennen zu verhindern.
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