Die Kanzlerin greift immer stärker in den Wahlkampf ein. Sie kritisiert Scholz für den Begriff „Versuchskaninchen“. Es bleibt nicht dabei.
Angela Merkel und Armin Laschet
Die Bundeskanzlerin und ihr Wunsch-Nachfolger am Dienstag im Bundestag.
Bild: Getty Images
Berlin Bei ihrer vermutlich letzten Rede im Bundestag hat Angela Merkel (CDU) für eine Überraschung gesorgt. Die Kanzlerin trat nicht gewohnt präsidial auf, sie gab die Wahlkämpferin. Im Parlament trommelte sie für den kriselnden Kanzlerkandidaten Armin Laschet – zum Ärger von SPD und Grünen.
„Es ist nicht egal, wer dieses Land regiert“, sagte Merkel und warnte vor einem Bündnis von SPD und Grünen mit der Linken. Es sei eine besondere Wahl, „weil es in schwierigsten Zeiten eine Richtungsentscheidung für unser Land ist“. Die Bürgerinnen und Bürger hätten die Wahl zwischen zwei Optionen: einer Regierung von SPD und Grünen, „die die Unterstützung der Linkspartei in Kauf nimmt, zumindest sie nicht ausschließt“, oder einer von CDU und CSU geführten Regierung mit Laschet an der Spitze.
Die Bundestagssitzung war mit Spannung erwartet worden. Alle drei Kandidaten, Annalena Baerbock (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU), traten auf. Parallel meldete das Umfrageinstitut Forsa für die Union einen neuen Rückschlag: CDU und CSU sind auf 19 Prozent gefallen, während die SPD auf 25 Prozent zulegte. Die Grünen liegen bei 17 Prozent.
Dass es mehr Wahlkampf als Plenardebatte werden würde, war angesichts des knappen Rennens klar. Doch der Auftritt der Kanzlerin war dann doch außergewöhnlich. Merkel sprach sich direkt für Laschet aus. „Der beste Weg für unser Land ist eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung mit Armin Laschet als Bundeskanzler“, sagte Merkel. Eine solche Regierung werde für Stabilität, Verlässlichkeit, Maß und Mitte sorgen. „Das ist genau das, was Deutschland braucht.“
Merkels Äußerungen wurden von zahlreichen Zwischenrufen unterbrochen. Die Kanzlerin verteidigte die ungewöhnlich klaren Wahlkampfäußerungen: „Meine Güte, was für eine Aufregung, ich bin seit 30 Jahren, über 30 Jahren Mitglied dieses Deutschen Bundestages und ich weiß nicht, wo, wenn nicht hier, solche Fragen diskutiert werden müssen. Das ist die Herzkammer der Demokratie und hier wird genau das diskutiert.“
Die Aufregung dürfte auch so groß gewesen sein, weil Merkel selbst noch vor wenigen Wochen betont hatte, sich aus Wahlkampf und Parteiangelegenheiten weitgehend heraushalten zu wollen. Zuletzt gab es daran aber innerhalb der Union immer mehr Kritik. Es gebe keinerlei Unterstützung aus dem Kanzleramt, hieß es in der Unionsfraktion. Interessierte sich Merkel nicht dafür, was aus ihrer Partei werde?
Solange die Umfragen noch eine klare Mehrheit für die Union hergaben, schwieg Merkel. Dann aber ging es mit Laschet bergab, sanken die Umfragewerte der CDU, aber auch der CSU in Bayern. Und mit den sinkenden Umfragewerten stieg Merkels Engagement für die Union. Intern wurde sie dazu aus dem Präsidium mit dem Hinweis gedrängt, dass sie für ihre Partei Verantwortung trage. Ein katastrophales Ergebnis falle auch auf sie zurück.
Erstmals trat Merkel zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase der Union im Berliner Tempodrom auf. Drei Wochen ist das her. „Ihr wisst ja, dass ich mich seit der Abgabe des CDU-Vorsitzes grundsätzlich aus Wahlkampfveranstaltungen heraushalte“, sagte sie. Aber nun sei es an der Zeit.
Sie habe Armin Laschet als einen erlebt, „für den das C im Namen unserer Partei nicht irgendein Buchstabe ist“, sondern in allem, was er tue, ein Kompass, warb Merkel im Tempodrom. Es sei ihm wichtig, zwischen den Menschen Brücken zu bauen, den Einzelnen und dessen Würde in den Mittelpunkt zu stellen. Balsam für den Kandidaten, von dem Merkel „zutiefst“ überzeugt sei, dass er Kanzler kann, wie sie sagte.
Zu dem Zeitpunkt hieß es noch, Merkel würde zum Wahlkampfabschluss vor der Bundestagswahl mit Laschet und CSU-Chef Markus Söder in München auftreten. Weitere Termine seien nicht geplant.
Doch inzwischen wird die Kanzlerin immer öfter an der Seite des CDU-Kandidaten gesehen. Sie reiste am Sonntag noch einmal mit Laschet ins Hochwassergebiet. Sie trat am Montag in der Fraktionssitzung der Union auf und forderte die Abgeordneten auf, selbstbewusst Wahlkampf zu führen, stolz auf das Erreichte in 16 Jahren zu sein. Viele Menschen würden sich erst kurz vor dem Wahltag entscheiden, wen sie wählten. Merkel zitierte demnach den verstorbenen früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler. Der habe gesagt, man könne andere nur überzeugen, wenn man an sich selbst glaube.
Am Abend dann saß sie bei einer Digitalveranstaltung der Union in der CDU-Zentrale und verwies erneut auf die Erfolge ihrer Regierungszeit, mit der sich im Wahlkampf werben ließe. Sie griff dort auch die SPD an. In Deutschland gebe es bei der Agentur für Sprunginnovation zu viele Bremsen bei der Entwicklung radikal neuer Technologien, sagte sie. „Das liegt nicht an CDU und CSU, wenn ich aus dem Nähkästchen plaudern kann“, fügte sie hinzu.
Im Bundestag ging Merkel noch einen Schritt weiter und griff SPD-Kanzlerkandidat Scholz auch direkt an, kritisierte dessen Aussage, die Millionen Corona-Geimpfte seien „Versuchskaninchen“ für die Ungeimpften. „Natürlich war und ist niemand von uns in irgendeiner Form ein Versuchskaninchen“, sagte Merkel. Jeder Geimpfte habe ein ausreichend getestetes Mittel erhalten. Die Politik müsse die Menschen vom Impfen überzeugen „und nicht mit schiefen Bildern von Versuchskaninchen“ argumentieren.
Auch Laschet griff das später in seiner Rede auf, sagte, der „Bundesfinanzminister“ solle seinen „Ton mäßigen“. In der Union hält man die Scholz’sche Äußerung vom „Versuchskaninchen“ als ersten größeren Fehler des SPD-Kandidaten in seiner Kampagne.
Olaf Scholz
Der SPD-Kandidat kontert die Attacken der Bundeskanzlerin.
Bild: Bloomberg
Der Frust sitzt bei vielen in der CDU tief, dass sich Scholz ansonsten sehr erfolgreich als Merkel-Nachfolger inszeniert. Dieses Image könne niemand sonst beschädigen außer die Kanzlerin selbst, so die Überzeugung. Entsprechend dankbar wurde registriert, als Merkel kürzlich betonte, es gebe einen „gewaltigen Unterschied“ zwischen ihr und Scholz. In ihrer Bundestagsrede zeigte sie diesen noch mal auf.
Olaf Scholz blieb da nur der Gegenangriff. Als der SPD-Kanzlerkandidat ans Rednerpult tritt, bedankt er sich zunächst bei der Bundeskanzlerin für die gute Zusammenarbeit. Doch schon im nächsten Satz kontert er die Attacke. Seine Bemerkung mit den „Versuchskaninchen“, die die Kanzlerin kritisierte, sei ein Scherz gewesen, über den viele Bürger auf Wahlkampfveranstaltungen auch schon herzlich gelacht hätten. „Aber wenn einige jetzt nicht lachen, liegt es vielleicht daran, dass sie mit Blick auf ihre Umfragewerte so wenig zu lachen haben“, sagte Scholz Richtung Union.
Danach verlässt Scholz aber den Wahlkampfmodus und wechselt wieder in die Rolle, in der er sich schon den gesamten Wahlkampf über inszeniert: in die des Staatsmanns. Scholz klang in weiten Teilen seiner Rede mehr nach Merkel als die Kanzlerin, die ihn attackierte.
Der SPD-Politiker sprach über den Zusammenhalt in der Gesellschaft, durch den das Land gut durch die Pandemie gekommen sei, und skizzierte in typisch monotonem Ton, wie er das Land als Kanzler führen würde. Er sprach über Europa, Außenpolitik, stabile Renten, mehr Wohnraum, die Bekämpfung des Klimawandels. Scholz ließ kein Thema aus, ins Detail geht er mit Ausnahme der Wohnungspolitik und der Rente nicht. Scholz blieb betont wolkig. Nur einmal griff er noch die Union an. Ihre Forderungen nach Steuersenkungen für Spitzenverdiener seien „unfinanzierbar und völlig aus der Zeit gefallen“.
Und auch etwas Aufbruch wollte Scholz noch vermitteln: „Eine weitere von der CSU/CSU geführte Bundesregierung würde Deutschland Wohlstand und Arbeitsplätze kosten“, warnte er. Seine Rede schloss er mit dem Satz: „Die Bürger haben jetzt das Wort, ein Aufbruch ist möglich.“ Dass dieser natürlich nur mit ihm als Kanzler gelingen kann, brauchte er nach seiner Rede nicht mehr auszusprechen.
Scholz klang jedenfalls mehr nach staatsmännischem Regierungspolitiker als Laschet, der eher in Manier eines Oppositionspolitikers die anderen Parteien angriff. Er kritisierte Scholz und die SPD. Die Forderung, mehr Wohnungen zu bauen, sei ja richtig, aber in Berlin sehe man bei der rot-rot-grünen Landesregierung, dass die SPD es nicht könne.
Armin Laschet
In der Manier eines Oppositionspolitikers greift der Kandidat der Union die anderen Parteien an.
Bild: dpa
Natürlich durften seine Schlagworte „Entfesselung“ und „weniger Bürokratie“ nicht fehlen, genauso die Warnung vor den Steuererhöhungsplänen der linken Konkurrenz. Vor allem in der Klimapolitik grenzte er sich von den Grünen ab, lieferte sich mit Baerbock einen Schlagabtausch. Laschet betonte die Bedeutung der Industrie, auch in 20 Jahren solle es in Deutschland noch Autokonzerne geben. „Strukturwandel geht nicht mit Sprüchen“, sagte Laschet in einer kämpferischen Rede, in der er auch immer wieder Zwischenrufe spontan parierte.
Pünktlich zum Ende von Laschets Rede folgte der nächste Tiefschlag. Forsa meldete, dass die Union erstmals unter die 20-Prozent-Marke gefallen ist.
Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hatte die Aufgabe, im Duell von Laschet und Scholz, Union und SPD nicht als Dritte hinten runterzufallen. Sie warf Union und SPD Versagen auf breiter Front vor. Wie zuvor Kanzlerin Merkel sprach auch Baerbock von einer „Richtungswahl“, meinte damit aber den Kampf um mehr Klimaschutz. „Diese Bundestagswahl ist eine Richtungswahl, weil sich entscheidet, ob die nächste Bundesregierung noch aktiv Einfluss auf die Klimakrise nehmen kann oder nicht“, sagte Baerbock.
Die bisherige Politik habe in eine Sackgasse geführt und müsse sich ändern, sagte Baerbock an Laschet und Scholz gewandt. „Was denn sonst sollen wir tun, wenn wir erleben, dass Extremwetterereignisse zunehmen.“ Der Markt allein könne das nicht richten, sagte Baerbock. Wenn das allein der Markt regeln solle, dann würde eine Tonne CO2 bald mehr als 2000 Euro kosten. „Das ist zutiefst sozial ungerecht.“ Die Klimakrise regele kein Markt. „Dem Markt sind Menschen herzlich egal.“
Annalena Baerbock
Die Grünen-Parteivorsitzende wirft Union und SPD Versagen auf breiter Front vor.
Bild: dpa
Scharfe Vorwürfe richtete sie an den SPD-Kanzlerkandidaten. „Herr Scholz, Sie reden oft von Respekt. Aber wie respektvoll ist es, in die Lausitz zu fahren und zu sagen: Ich werde weiter für den Kohleausstieg 2038 eintreten, und einige Tage später bei den Umweltverbänden zu sagen: 2034 wäre eigentlich auch ganz in Ordnung? Das ist für mich kein Respekt, sondern das zeugt davon, dass es keinen Kurs in der Klimapolitik gibt.“
Punkt für Punkt – vom Klimaschutz über Digitalisierung, Schuldenbremse, Corona bis zu Afghanistan – arbeitete sich Baerbock in ihrer 20-minütigen Rede an Union und SPD ab. Der Amtseid, „den einige von Ihnen schon ein paar Mal hier geschworen, aber vielleicht in seiner Bedeutung mittlerweile vergessen haben“, der Amtseid bedeute, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden.
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