Unter internationalem Druck möchte Berlin der Ukraine nun doch schwere Waffen zukommen lassen. Allerdings auf dem Umweg über Verbündete.
Berlin Offenbar wächst bei der Bundesregierung die Bereitschaft, die Ukraine mit schweren Waffen zu unterstützen und ihren Soldaten bei der Ausbildung zu helfen. Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte an, dass sich Deutschland an einem „Ringtausch“ mit EU- und Nato-Partnern beteiligen werde.
So ist Slowenien bereit, Kampfpanzer des Typs T-72 an die Ukraine zu liefern, wenn es im Gegenzug Waffen aus Deutschland erhält. Mit anderen Staaten könnte ähnlich verfahren werden. Die Lieferländer könnten mit Material aus Deutschland versorgt werden, das bei der Industrie vorrätig ist.
Darüber hinaus mehren sich die Forderungen an die Bundesregierung, auch einer direkten Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zuzustimmen – insbesondere, nachdem Verbündete wie die Niederlande und die USA ihre ablehnende Haltung aufgegeben haben. Ein Ringtausch sei sinnvoll, aber reiche nicht aus, sagte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses, Anton Hofreiter (Grüne).
Die Ukraine müsse auch mit schweren Waffen aus westlicher Produktion versorgt werden: „Abgestimmt mit unseren westlichen Verbündeten, sollten wir schwere Waffen liefern, auch gepanzerte Fahrzeuge.“ Entsprechende Voranfragen der Unternehmen für gebrauchte Leopard-1-Panzer wurden in Berlin bisher nicht positiv beschieden.
Der Chef des Rüstungskonzerns Hensoldt, Thomas Müller, gibt im Handelsblatt-Interview allerdings zu bedenken, dass es mit der Lieferung von Panzern nicht getan sei: „Da gehören dann auch Ausbildung, Logistik, Munition, Wartung und so weiter dazu.“
Bundeskanzler Olaf Scholz
Bisher sind es vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz und seine SPD, die bei der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine bremsen.
Bild: Getty Images
Bisher sind es vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz und seine SPD, die bei der Lieferung schwerer Waffen bremsen. Aus Sorge, dass die Nato in den Ukrainekrieg hineingezogen werden könnte. Aber auch, weil die Bundeswehr aus eigenen Beständen nichts mehr liefern könne: „Ich muss und ich werde die Landes- und Bündnisverteidigung weiterhin gewährleisten“, sagte Verteidigungsministerin Lambrecht am Donnerstagnachmittag.
Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hält es deshalb für problematisch, Schützenpanzer des Typs Marder aus Bundeswehrbeständen in die Ukraine zu schicken, weil diese für den Schutz der Nato-Ostflanke gebraucht würden. „Wir haben Marder im Einsatz und Marder in Reserve, die gegebenenfalls auch als Ersatzteilmöglichkeiten benötigt werden“, erklärt die FDP-Politikerin.
Sicherheitsexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik hält diese Argumentation für vorgeschoben. „Gegen welchen Aggressor sollte sich denn unsere Landes- und Bündnisverteidigung richten, wenn nicht gegen Russland?“
Allerdings habe es ja die Vorgeschichte gegeben, dass die Bundesregierung offenbar schwere Waffen von der Wunschliste der Ukrainer gestrichen habe. „So drängt sich dann doch der Eindruck auf, dass man zum Jagen getragen wird“, sagt Kaim. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hatte Deutschland dafür kritisiert, seinem Land schwere Waffen vorzuenthalten.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hält es für problematisch, Schützenpanzer des Typs Marder aus Bundeswehrbeständen in die Ukraine zu schicken.
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Kanzler Scholz hatte am Dienstag nach einer Telefonkonferenz mit US-Präsident Joe Biden und anderen EU- und Nato-Verbündeten betont, Länder wie die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich oder Italien seien zurückhaltend bei der Lieferung schwerer Waffensysteme aus westlicher Produktion.
Denn es gehe darum, Material zur Verfügung zu stellen, das schnell nutzbar gemacht werden könne und in der Ukraine bereits eingesetzt werde. Dabei handelt es sich um noch aus Sowjetzeiten stammendes Gerät wie die T-72-Panzer aus Slowenien. „Das ist das, was die Ukraine jetzt braucht“, sagte Lambrecht – und Deutschland stehe bereit, die Bestände wieder aufzufüllen.
Allerdings liefern Verbündete längst auch anderes Material. Die USA haben erste Haubitzen des Kalibers 155 nach Europa verlegt, um ukrainische Soldaten daran auszubilden. Die Niederlande wollen Panzerhaubitzen 2000 liefern, die auch die Bundeswehr im Bestand hat. Deutschland werde sich zwar an der Ausbildung von ukrainischen Soldaten an der Haubitze im Inland beteiligen, sagte Lambrecht. Eine eigene Lieferung hatte sie allerdings zuvor ausgeschlossen.
Die Staaten, die jetzt noch aus Sowjetzeiten stammendes Material an die Ukraine schicken, sollen ihre Bestände mit Lieferungen der deutschen Industrie auffüllen können, auch wenn das nicht von heute auf morgen gehe, wie Lambrecht sagte.
Zu konkreten Plänen wollte sie sich nicht äußern. Wie die Nachrichtenagentur DPA unter Berufung auf Regierungskreise berichtet, hat Slowenien als Kompensation für die T-72 Kampfpanzer des Typs Leopard 2, den Radpanzer Boxer und den Schützenpanzer Puma angefordert.
Anton Hofreiter
Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen wundert sich, dass er sogar Lob aus der Rüstungsindustrie erhält.
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Da dieses moderne Gerät aber nicht sofort verfügbar sein dürfte, soll das Land laut DPA zunächst Schützenpanzer des Typs Marder und Radpanzer des Typs Fuchs erhalten. Der Rüstungskonzern Rheinmetall hatte schon vor Wochen angeboten, ausgemusterte Marder- und auch Leopard-1-Panzer wieder instandzusetzen und an die Ukraine zu liefern. Solches Gerät könnte jetzt im Zuge des Ringtauschs wieder interessant werden.
Eine Voranfrage liegt der Bundesregierung beispielsweise für 60 Mannschaftstransportpanzer des Typs M113 vor, die von einem deutschen Unternehmen instandgesetzt wurden und derzeit in Dänemark sind. Da die dänische Armee die Panzer des Typs aber ohnehin ersetzen möchte, könnten sie an die Ukraine oder an Nato-Staaten geliefert werden, die ihrerseits Waffen in die Ukraine schicken.
Verteidigungsministerin Lambrecht betonte am Donnerstag, sie stimme sich mit ihrem ukrainischen Amtskollegen eng ab, und die finale Liste sei quasi unterschriftsreif, sodass bald mit Lieferungen begonnen werden könne.
In den vergangenen Tagen war der Druck auf Bundeskanzler Scholz immer größer geworden. Polens Premier Mateusz Morawiecki kündigte an, Scholz kontaktieren und ihm klarmachen zu wollen, dass man an einem Wendepunkt in der Geschichte Europas und der Welt stehe.
Die Ukrainer bräuchten etwas, womit sie sich verteidigen könnten. „Deshalb ist es notwendig, ihnen Munition und auch schweres Gerät zu geben“, betonte Morawiecki. „Hier ist die zweideutige Haltung Deutschlands sicherlich nicht hilfreich.“
Mariupol
Die Ukrainer bräuchten etwas, womit sie sich verteidigen könnten. „Deshalb ist es notwendig, ihnen Munition und auch schweres Gerät zu geben“, betonte Polens Premier Morawiecki.
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Die Regierungschefs aus Spanien und Dänemark, Pedro Sánchez und Mette Frederiksen, sagten dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski bei einem Besuch in der Nähe von Kiew weitere Unterstützung zu.
Laut Sánchez ist ein spanisches Schiff mit 200 Tonnen Munition und anderen Ausrüstungsgegenständen für die Ukraine auf dem Weg nach Polen. US-Präsident Biden kündigte ein weiteres, 800 Millionen Dollar schweres Ausrüstungspaket an, in dem auch Munition und Drohnen enthalten sind.
Die Union in Deutschland nutzt die Zerrissenheit, die sich in der Frage der Waffenlieferungen in der Ampelkoalition zeigt, als Angriffsfläche: „Das von den Ampelkoalitionären gezeichnete Sittengemälde eines mit edlem Stil und enger Zugewandtheit arbeitenden Regierungsteams ist in der Bewährung der Krise wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen und zerbröselt“, sagt der stellvertretende CDU-Chef Andreas Jung.
Während aus der SPD weiter vor allem warnende Stimmen zu hören sind, erhöhen Politiker der Grünen und der FDP den Druck auf Scholz: „Ich habe absolutes Verständnis für die Sorge, dass Deutschland nicht in den Krieg hineingezogen werden soll“, sagt Grünen-Politiker Hofreiter.
Darüber herrsche in der Bundesregierung auch völlige Einigkeit. Bei einer Reihe osteuropäischer und mitteleuropäischer Partner herrsche indes die Sorge, dass der Krieg sich ausweite, wenn die Ukraine nicht entschieden unterstützt werde: „Wenn Putin mit seinem Eroberungsfeldzug davonkommt und Erfolge vermelden kann, dann sind nicht nur weitere Nachbarstaaten wie Moldau und die baltischen Länder bedroht, sondern dann steuern wir auf eine unsichere Zeit mit einer beispiellosen Aufrüstungsspirale zu. Das gilt es zu verhindern.“
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Dass die Grünen die von Kanzler Scholz ausgerufene „Zeitenwende“ offenbar besser verinnerlicht haben als die SPD, fällt auch der Rüstungsindustrie auf. Schon vor der Bundestagswahl habe man sich intensiv mit der Grünen-Spitze ausgetauscht – und dieser Austausch sei „von Pragmatismus und Realismus geprägt“ gewesen, sagte Hensoldt-Chef Müller. Und wie Ex-Grünen-Chef Robert Habeck derzeit als Wirtschaftsminister gegenüber der Verteidigungsindustrie agiere, „kann ich nur begrüßen“, so der Manager.
Dass er im Augenblick sogar Lob von der Rüstungsindustrie erhalte, damit habe er vor wenigen Wochen auch nicht gerechnet, betonte Hofreiter: „Das ist im ersten Moment unangenehm. Gleichzeitig hat sich die Lage mit dem Kriegsausbruch eben so dramatisch verschärft, dass ich mich öffentlich so zu Wort melden musste, wie ich es getan habe.“
Die FDP will auf ihrem Bundesparteitag am Wochenende auch über einen Antrag des Bundesvorstands für eine schnelle und wirksame Unterstützung der Ukraine abstimmen. „Dazu gehören auch die Lieferung schwerer Waffen und die schnelle Bereitstellung von Rüstungsgütern durch die deutsche Industrie“, heißt es darin.
Für die CDU/CSU als größte Oppositionspartei bieten sich in der kommenden Woche gleich mehrere Gelegenheiten, um die Ampelkoalition herauszufordern. Am Mittwoch etwa stellt sich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) den Fragen der Abgeordneten, am Nachmittag folgt die Debatte um den Bericht der Wehrbeauftragten des Bundestags, Eva Högl (SPD). „Die nötigen Waffenlieferungen an die Ukraine werden das bestimmende Thema der nächsten Sitzungswoche sein“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU).
Ob die Union, wie angedeutet, auch einen eigenen Antrag rund um die Waffenlieferungen einbringen wird, ist noch nicht klar. Da die Koalition den Antrag einfach ohne Beratung in die Ausschüsse verweisen könnte, steht auch eine aktuelle Stunde im Raum.
FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann appelliert an alle Parteien, jetzt zusammenzustehen, und an das Kanzleramt, seiner Rolle in dieser schweren Krise gerecht zu werden. „Wir alle, auch die CDU als größte Oppositionspartei, haben uns dem Staatswohl verpflichtet“, sagt sie. „Da muss die Parteipolitik mal ein Stück weit ruhen.“
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