Über die Kosten für die Versorgung von Flüchtlingen bahnt sich neuer Streit an. Die Kommunen glauben nicht, dass die Milliardenhilfe des Bundes dem tatsächlichen Bedarf gerecht wird.
Flüchtlinge am Berliner Hauptbahnhof
Berlin hat besondere Belastungen zu schultern, weil viele Geflüchtete von Anfang an zuerst hier ankamen und oft bleiben wollen.
Bild: dpa
Berlin Die kommunalen Spitzenverbände bezweifeln, dass die jüngsten Vereinbarungen der 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit dem Bund über die Finanzierung der Ukraine-Flüchtlinge ausreichend sind.
Der Bund zahle den Ländern und Kommunen dieses Jahr pauschal zwei Milliarden Euro, unabhängig davon, wie viele Menschen tatsächlich in Deutschland ankämen. „Schon jetzt ist aber klar, dass die Bundesgelder nicht ausreichen werden – für Kinderbetreuung, Schule, Pflege oder um Menschen mit Behinderungen zu versorgen“, sagte die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages, Verena Göppert, dem Handelsblatt. „Die Länder müssen deshalb in die eigene Tasche greifen und das, was fehlt, aufstocken.“
Der Städte- und Gemeindebund erinnerte daran, dass die Kommunen bereits „in großem Umfang“ in Vorleistung getreten seien. So seien etwa Hallen umgebaut, Catering organisiert, Sicherheitsdienste beauftragt, zusätzliche Kita- und Schulplätze eingerichtet worden. „In Einzelfällen sind dafür schon Kosten von bis zu 2.900 Euro pro geflüchtete Person entstanden“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem Handelsblatt.
Teilweise hätten die Länder im Vorgriff auf das Geld vom Bund bereits geholfen. „Diese Hilfen können aber nur der Anfang sein“, betonte Landsberg. „Die Länder müssen nicht nur die Bundesmittel weitergeben, sondern auch mit eigenen Mitteln sicherstellen, dass die teilweise hochverschuldeten Kommunen die Herkulesaufgabe meistern können.“
Kay Ruge, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistags, gab zu bedenken, dass es zu den vereinbarten Finanzmitteln bisher nur den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz, aber noch kein entsprechendes Gesetz gebe. „Wir erwarten, dass die Länder die Belastungen der Kommunen vollständig und zeitnah, unabhängig vom Stand des Gesetzgebungsverfahrens, kompensieren“, sagte Ruge dem Handelsblatt.
Nach Verhandlungen über viele Stunden hatten sich Bund und Länder vor Kurzem auf eine Verteilung der Kosten für die Versorgung ukrainischer Kriegsflüchtlinge geeinigt. Sie sollen demnach Grundsicherung erhalten.
Zusätzlich zahlt der Bund den Ländern und Kommunen dieses Jahr pauschal zwei Milliarden Euro: 500 Millionen Euro, um den Kommunen bei den Unterkunftskosten stärker zu helfen, und 500 Millionen Euro als Abschlagszahlung an die Länder für die Kosten, die bis Juni entstanden sind und noch entstehen. Außerdem fließt eine Milliarde Euro als Beteiligung an den Integrationskosten, etwa für Kita- und Schulplätze und die Gesundheitsversorgung.
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Schon jetzt deutet sich indes an, dass der Bund insgesamt bei den Hilfen wohl noch einmal nachlegen muss. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) begründete dies damit, dass heute niemand sagen könne, wie viele Geflüchtete aus der Ukraine noch kommen und wie lange sie bleiben. Die Vereinbarung von Bund und Ländern könne daher nur vorläufig sein und werde im Herbst überprüft.
Verena Göppert vom Städtetag bemängelte, dass sich Bund und Länder noch nicht darauf verständigt hätten, wie es mit der Finanzierung nach 2022 weitergehe. „Und es wurde die Entscheidung vertagt, wie sich der Bund an den Kosten der Integration beteiligt“, sagte sie. „Das schafft Planungsunsicherheit in den Kommunen.“
Städtebund-Hauptgeschäftsführer Landsberg geht daher davon aus, dass nach einer Bestandsaufnahme in der zweiten Jahreshälfte dann auch Mittel für das Jahr 2023 beschlossen würden. „Denn nur so bekommen die Kommunen finanzielle Planungssicherheit“, sagte er.
Manche Länder, wie etwa Berlin, haben besondere Belastungen zu schultern. Viele Geflüchtete kamen von Anfang an zuerst in der Hauptstadt an und wollen dort oft bleiben. Deshalb hatte es auch von Beginn an Spannungen mit dem Bund darüber gegeben, was dieser zur Entlastung der Hauptstadt tun könne und müsse.
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„Am Anfang standen wir recht allein da“, schilderte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) die Situation. „Jetzt läuft es viel besser, weil die bundesweite Verteilung der Flüchtlinge angelaufen ist.“
Das heißt: Die Geflüchteten werden nach dem Königsteiner Schlüssel, der sich nach Steueraufkommen und Einwohnerzahl richtet, auf die 16 Länder verteilt. Das gilt aber nur für jene, die nicht privat, sondern in kommunalen Einrichtungen unterkommen.
Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping betonte, dass der bundesweite Verteilungsschlüssel „rechtsverbindlich“ sein müsse. Im Interview mit dem Handelsblatt hatte die Linken-Politikerin von mehreren Fällen berichtet, in denen Menschen wieder nach Berlin zurückgeschickt worden seien.
Ein Problem bei der Verteilung der Flüchtlinge besteht darin, dass nach wie vor den Behörden der Überblick fehlt, wie viele Menschen aus der Ukraine überhaupt hier sind und wo sie unterkommen. Inzwischen wurden von der Bundespolizei über 340.000 Flüchtlinge gezählt, meist Frauen, Kinder und ältere Menschen. Doch alle gehen von viel höheren Zahlen aus. Denn Menschen mit ukrainischem Pass können ohne Visum einreisen - und, ohne sich anzumelden, 90 Tage bleiben.
Das nächste Problem ist die Registrierung. Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sollen ab 1. Juni über die Jobcenter staatliche Grundsicherung erhalten - also die gleichen Leistungen wie etwa Hartz-IV-Empfänger. Damit die Jobcenter aber ihre Aufgaben erfüllen können, brauchen sie die Grunddaten der Geflüchteten. Städte und Gemeinden sind durch die Registrierung stark belastet.
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Hinzu kommen technische Schwierigkeiten bei den Registrierungsgeräten. Die Geräte der Länder sind teilweise mit anderen Softwaresystemen ausgestattet, als sie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verwendet werden. Abhilfe erhofft sich der Bund durch das vom BAMF neu entwickelte Registrier- und Verteilsystem für Flüchtlinge aus der Ukraine namens „Free“. Damit soll es leichter möglich sein, von allen Ankommenden Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und weitere personenbezogene Daten zu erfassen.
In den Kommunen wird „Free“ jedoch mit großer Skepsis gesehen. „Ein neues System muss eine geordnete und gleichmäßige Verteilung ermöglichen, aber auch die Registrierung maßgeblich erleichtern“, sagte Landkreistag-Geschäftsführer Ruge. „Das sehen wir im Moment nicht.“ Der Landkreistag befürchtet vielmehr „zusätzlichen Aufwand“. „Dieser ist bedingt durch fehlende Schnittstellen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit der händischen Eingabe der Daten in das neue System und das Ausländerzentralregister“, sagte Ruge.
Ein ähnliches Problem sieht Ruge bei der Versorgung der Flüchtlinge, wenn die Leistungen künftig nicht mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern über die Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II abgewickelt werden sollen. „Auch hier muss zwingend sichergestellt werden, dass eine digitale Übergabe der Datensätze erfolgen kann“, sagte Ruge. „Dies ist insbesondere bei den kommunal getragenen Jobcentern derzeit nicht gesichert.“
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