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26.05.2022

16:59

Ukraine-Krieg

„Regierung sucht Ausreden“ – Militärexperten kritisieren Scholz für Umgang mit Waffenlieferungen

Von: Frank Specht

PremiumDer Bundeskanzler präsentiert eine Erklärung für das zögerliche Vorgehen der Bundesregierung. Damit geben sich allerdings nicht alle zufrieden.

Die Bundesregierung will alles vermeiden, was zu einer Eskalation des Kriegs führen könnte. imago images/photothek

Staatssekretärin Siemtje Möller, Bundeskanzler Olaf Scholz

Die Bundesregierung will alles vermeiden, was zu einer Eskalation des Kriegs führen könnte.

Berlin Angesichts der anhaltenden Kämpfe im Osten der Ukraine sieht sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erneut mit Forderungen konfrontiert, mehr und schneller Waffen an das von Russland angegriffene Land zu liefern. „Der Kanzler und seine Partei tun gerade so viel für die Ukraine, wie nötig ist, um dem internationalen Druck zu begegnen“, sagte Militärexperte Gustav Gressel von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) dem Handelsblatt.

Weite Teile der SPD hätten Angst vor Bildern, auf denen zu sehen ist, wie russische Truppen mit deutschen Waffen geschlagen werden. „Deshalb sucht die Regierung alle möglichen Ausreden, die sich aber nach und nach in Luft auflösen“, sagt der Experte. Gressel bezieht sich dabei auf Äußerungen der parlamentarischen Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller (SPD).

Diese hatte im ZDF erklärt, Deutschland liefere bisher keine Schützen- oder Kampfpanzer an die Ukraine und halte sich damit an eine Vereinbarung unter den Nato-Verbündeten. Inzwischen stellte das Ministerium klar, dass es zwar keinen formalen Nato-Beschluss dieser Art gebe, dass die Alliierten sich aber eng abstimmten und bisher kein Schützen- oder Kampfpanzer westlicher Bauart an die Ukraine geliefert worden sei.

Darüber lässt sich allerdings streiten. So haben mehrere Nationen M113-Panzer geliefert. Diese stuft das Verteidigungsministerium als gepanzerte Mannschafts- und Verwundetentransporter ein.

Laut Gressel wurden sie in Zeiten des Kalten Krieges aber beispielsweise von Italienern und Niederländern durchaus auch als Schützenpanzer verwendet. Der ECFR-Experte hat deshalb wenig Verständnis dafür, dass die ausgemusterten Marder-Schützenpanzer oder Leopard-1-Kampfpanzer aus Beständen der Industrie nicht an die Ukraine geliefert werden.

Scholz will Eskalation vermeiden

Dort haben die russischen Invasionstruppen am Donnerstag ihre Offensive fortgesetzt. Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs attackierten sie verschiedene Teile der Frontline im Osten des Landes und griffen landesweit die Infrastruktur mit Flugzeugen und Raketen an.

Kanzler Scholz erklärte am Donnerstag beim Weltwirtschaftsforum in Davos, Russlands Präsident Wladimir Putin habe alle seine strategischen Ziele verfehlt, und hob hervor, dass die Bundesrepublik erstmals in ihrer Geschichte Waffen in ein Kriegsgebiet liefere. Putin werde nur ernsthaft über Frieden verhandeln, wenn er die Verteidigung der Ukraine nicht brechen könne.

Scholz betonte aber auch, dass alles vermieden werden müsse, was zu einer Eskalation des Kriegs mit der Atommacht Russland führen könne. Deshalb liefere Deutschland im Einklang mit den Verbündeten keine schweren Kampfpanzer.

Die Bundesregierung will Waffen dieses Typs bisher nicht an die Ukraine liefern, obwohl die Industrie zahlreiche ausgemusterte Fahrzeuge im Bestand hat. dpa

Schützenpanzer Marder

Die Bundesregierung will Waffen dieses Typs bisher nicht an die Ukraine liefern, obwohl die Industrie zahlreiche ausgemusterte Fahrzeuge im Bestand hat.

Gressel hält das für eine Ausflucht. Es sei zwar richtig, dass bisher keine Leclerc-, Challenger- oder Abrams-Kampfpanzer westlicher Fabrikation an die Ukraine geliefert worden seien. Das liege aber vor allem daran, dass Frankreich und Großbritannien die Panzer noch im Einsatz und Altbestände längst exportiert hätten.

Die Amerikaner hätten zwar noch Abrams auf Lager, aber der Panzer sei ein logistischer Albtraum, verbrauche beispielsweise ungemein viel Sprit. „Außerdem haben die Amerikaner Putin signalisiert, dass sie sich die Lieferung solcher Waffen noch für den Fall vorbehalten, dass Russland den Krieg weiter eskalieren sollte.“

Probleme beim Ringtausch

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Hellmich, bekräftigte die Haltung von Scholz und seiner Partei, dass eine Eskalation des Kriegs etwa durch den Einsatz chemischer oder atomarer Waffen unbedingt vermieden werden müsse. „Aber wenn man den Amerikanern beim Thema Waffenlieferungen noch Eskalationspotenzial zugesteht, sollte man das bei den anderen Nato-Verbündeten vielleicht auch tun“, sagte er.

Allerdings läuft es auch beim von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) oft beschworenen Ringtausch nicht rund. Die Idee ist, dass östliche Nato-Staaten noch aus Sowjetzeiten stammende Waffen an die Ukraine abgeben und dafür Ersatz von westlichen Verbündeten erhalten. Polens Präsident Andrzej Duda hat Berlin in diesem Zusammenhang gerade „Wortbruch“ vorgeworfen.

Laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit habe sich Polen als Ersatz für an die Ukraine gelieferte T-72-Panzer modernste Panzer des Typs Leopard 2A7 gewünscht. Diese seien aber auch bei der Bundeswehr erst in geringer Stückzahl eingeführt und stünden auch nicht „auf irgendeinem Autohof oder Fabrikgelände“ herum.

Es gebe zwar noch Leopard-Panzer älterer Baureihen, wie sie jetzt auch für den Ringtausch mit Tschechien vorgesehen seien, aber auch die nur in begrenzter Stückzahl. Das habe man der Regierung in Warschau so mitgeteilt.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), warf der Bundesregierung daraufhin vor, mit den Partnerländern nicht klar genug zu kommunizieren. „Es darf nicht sein, dass am Ende des Kriegs die Welt Deutschland als kompletten Bremser und Loser empfindet, nur weil wir nicht in der Lage sind zu organisieren und zu kommunizieren“, sagte sie der Agentur dpa.

Laut Gressel haben schon kurz nach Kriegsbeginn osteuropäische Länder wie Bulgarien Interesse an Marder-Schützenpanzern bekundet, die der Rüstungskonzern Rheinmetall angeboten hat. Im Gegenzug wollten die Länder Schützenpanzer des Typs BMP an die Ukraine liefern. Auch da sei „noch nichts passiert“.

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