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08.12.2022

08:09

Umsturzpläne

25 mutmaßliche Reichsbürger bei Razzia festgenommen

In insgesamt elf Bundesländern gab es einen großangelegten Einsatz gegen die Reichsbürger-Szene. Die Bundesanwaltschaft wirft den Beschuldigten vor, den Umsturz des Staates vorbereitet zu haben.

Die Bundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen mehrere Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen. dpa

Razzia gegen Reichsbürger-Szene

Die Bundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen mehrere Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen.

Karlsruhe Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise auch mit Waffen trainiert haben: Die Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene festnehmen lassen – darunter auch Mitglieder der Bundeswehr und eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD. Dreizehn der festgenommenen Verdächtigen sind inzwischen in Untersuchungshaft, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Mittwoch am späten Nachmittag. Rund 3000 Polizeibeamte seien am Mittwochmorgen in elf Bundesländern im Einsatz gewesen, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe der Deutschen Presse-Agentur.

Unter den Verdächtigen befinden sich nach Angaben des Verteidigungsministeriums des Weiteren insgesamt drei Soldaten. Darunter seien als aktiver Bundeswehrangehöriger ein Soldat des Kommandos Spezialkräfte (KSK) sowie zwei weitere nicht aktive Soldaten. Das machte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums deutlich.

Reichsbürger in elf Bundesländern festgenommen: Sie sollen den Sturz der Regierung geplant haben

Die terroristische Vereinigung habe die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollen, die in Grundzügen schon ausgearbeitet sei. Dafür hätte sie auch Tote in Kauf genommen.

22 der Festgenommenen sollen Mitglieder dieser terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer. Zudem gebe es 27 weitere Beschuldigte, sagte die Sprecherin. Mehr als 130 Objekte wurden durchsucht.

„Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung“, sagte die Sprecherin. Diese begründe sich den Erkenntnissen zufolge auf Verschwörungsmythen. Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines „tiefen Staats“, regiert werde, hieß es in einer Mitteilung.

Ein Angriff eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika stehe dieser Überzeugung nach kurz bevor.

Spätestens Ende November 2021 sollen die Menschen die Gruppierung gegründet haben. Zentrales Gremium sei ein „Rat“. Dieser verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Außen und Gesundheit. „Die Mitglieder des „Rates“ haben sich seit November 2021 regelmäßig im Verborgenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen“, teilte die Bundesanwaltschaft mit.

Mutmaßliches Terror-Netzwerk

Razzia gegen Reichsbürger: Polizei verhaftet „Reussen-Prinz“

Mutmaßliches Terror-Netzwerk: Razzia gegen Reichsbürger: Polizei verhaftet „Reussen-Prinz“

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Ein „militärischer Arm“ sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen „beseitigen“, hieß es. Der Vereinigung sei bewusst, dass es dabei zu Toten kommen werde. „Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten „Systemwechsels auf allen Ebenen“ zumindest billigend in Kauf.“

Mitglieder der Bundeswehr als Reichsbürger

Einige mutmaßliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet. Auch hätten sie vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren wollen. Bei mindestens vier Treffen in Baden-Württemberg im Sommer hätten mutmaßliche Mitglieder für die terroristische Vereinigung und ihre Ziele geworben.

Im Herbst hätten Beschuldigte in Norddeutschland gezielt Polizeibeamte für die Vereinigung gewinnen wollen. Angehörige des „militärischen Arms“ hätten Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, „um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren“.

Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Der aktive Soldat sei im Stab des KSK eingesetzt, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes (MAD).

Nach Informationen der dpa handelt es sich um einen Unteroffizier. Demnach wurden sein Haus und sein Dienstzimmer in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw (Baden-Württemberg) durchsucht.

Reichsbürger: AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann zählt zu den Festgenommenen

Auch die AfD-Politikerin und ehemalige Bundestagsabgeordnete, Birgit Malsack-Winkemann, zählt zu der Gruppierung. Die 58-Jährige besitzt als Sportschützin mehrere Schusswaffen. Derzeit arbeitet Malsack-Winkemann als Richterin in Berlin.

„Wir werden alle Instrumente ausschöpfen, um die Beschuldigte vollständig aus dem Richterdienst zu entfernen“, sagte Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) am Mittwoch auf dpa-Anfrage. Kreck hatte zuletzt versucht, die Rückkehr der 58-Jährigen in den Richterdienst zu verhindern, war damit jedoch vor dem Dienstgericht für Richter gescheitert. „Die Ermittlungen sind abzuwarten, aber offenbar lag die Senatsverwaltung in ihrer Einschätzung richtig“, sagte sie nach der Festnahme.

Zu den Verdächtigen, die bei der bundesweiten Razzia gegen die sogenannte Reichsbürgerszene festgenommen wurden, gehört auch die Berliner Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann. dpa

Richterin Malsack-Winkemann

Zu den Verdächtigen, die bei der bundesweiten Razzia gegen die sogenannte Reichsbürgerszene festgenommen wurden, gehört auch die Berliner Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann.

Der Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, forderte weitergehende Konsequenzen. „Wer den Staat und seine Institutionen ablehnt, kann nicht selbst Teil des öffentlichen Dienstes sein. Gefährliche Extremisten müssen aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden“, sagte Kuhle dem Handelsblatt.

Das gelte auch nach der aktiven Dienstzeit. „Es ist absurd, dass Beamte im Ruhestand durch staatliche Pensionszahlungen alimentiert werden und gleichzeitig an Umsturzplänen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung beteiligt sind.“

Wer so agiere, habe im öffentlichen Dienst nichts mehr verloren. Dass mehrere aktive und ausgeschiedene Soldaten und Polizisten Teil der Gruppierung seien, sei besorgniserregend, so Kuhle. Der FDP-Politiker äußerte die Erwartung an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), nun zügig die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reform des Beamtenrechts anzugehen, damit, wie es dort heißt, „Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können“.

Der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter unterstützt dies. Es sei „erforderlich, das öffentliche Dienstrecht anzupassen, um alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, Verfassungsfeinde vom Staatsdienst schneller auszuschließen“, sagte er dem Handelsblatt. „Zugleich stellt sich die Frage, ob angesichts der Dimension der Pläne eines Staatsstreiches und der Vernetzung der Beteiligten, also einer offenbar terroristischen Gruppe, hier weitere Ansätze gegeben sind, die gesamte AfD als Beobachtungsfall einzustufen.“

Festgenommen wurden Personen den Angaben zufolge in Baden-Württemberg (8), Bayern (4), Hessen (3), Niedersachsen (3), Sachsen (2), Thüringen (2) und Berlin (1) sowie jeweils eine Person in Österreich und Italien. Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben. Noch am Mittwoch wollte die Bundesanwaltschaft mit der Vernehmung der ersten Festgenommenen beginnen.

Bundesjustizminister Buschmann: „Anti-Terror-Einsatz“ gegen Reichsbürger

Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete die bundesweite Razzia als „Anti-Terror-Einsatz“. „Demokratie ist wehrhaft: Seit heute Morgen findet ein großer Anti-Terror-Einsatz statt“, schrieb der FDP-Politiker am Mittwochmorgen auf Twitter. „Die Ermittlungen lassen in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürger-Milieu blicken“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Die Fraktionsvorsitzenden der Ampel-Koalition betonten nach der Razzia gegen Verdächtige der Reichsbürgerszene die Wehrhaftigkeit der Demokratie. Dass auch eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD unter den Verdächtigen sei, beunruhige sehr, sagte Rolf Mützenich (SPD) am Mittwoch in Berlin bei einem gemeinsamen Presseauftritt.

Er sagte: „Dass das Parlament offensichtlich mehr und mehr in den Fokus auch derjenigen gerät, die bereit sind, möglicherweise auch Gewalt anzuwenden, das macht Parlamentarierinnen und Parlamentarier betroffen, aber das darf sie nicht an ihrer Arbeit hindern.“

Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge sagte: „Wir nehmen das, was wir heute erfahren mussten, sehr ernst. Der rechtsextreme Terrorismus gehört zur größten Gefahr für unsere Demokratie.“ FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte, wenn es sich bestätige, dass eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete in eine Verschwörung verstrickt sei, zeigt das, in welchem Sumpf sich die AfD als Partei befinde.

Dürr: „Denen geht es mitnichten um Deutschland, sondern in Wahrheit um die Zerstörung der parlamentarischen Demokratie. Und gerade als Fraktionsvorsitzende stellen wir uns schützend vor diese parlamentarische Demokratie, die von dieser Seite angegriffen wird.“

Die SPD im Bundestag begrüßte den Großeinsatz der Polizei gegen Verdächtige aus der sogenannten Reichsbürgerszene begrüßt. „Unsere Demokratie war, ist und bleibt wehrhaft“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Schlag gegen Reichsbürger in Deutschland begrüßt. Auf die Frage nach einer Reaktion des Kanzlers sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit, dass die Aktivitäten und die Planungen etwa eines bewaffneten Überfalls auf den Bundestag „brandgefährlich“ gewesen seien. „Wir tolerieren keinen Terrorismus“, fügte er hinzu. Von dem Polizeieinsatz mit mehr als 3000 Beamten gehe ein klares Signal aus.

Mutmaßliches Terror-Netzwerk

25 Festnahmen bei bundesweiter Razzia gegen Reichsbürger

Mutmaßliches Terror-Netzwerk: 25 Festnahmen bei bundesweiter Razzia gegen Reichsbürger

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„Unsere Werte müssen jeden Tag aufs neue verteidigt werden“, stellte Mast fest. „Es gibt Kräfte, die tagtäglich daran arbeiten, unsere Demokratie zu zersetzen. Und dagegen muss und kann sich unser Rechtsstaat wehren.“

Ausgangspunkt der Ermittlungen sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zu Angehörigen der Gruppe „Vereinte Patrioten“ sein, die im April festgenommen worden waren und geplant haben sollen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen.

Reichsbürger waren in der Vergangenheit schon polizeiauffällig

„Reichsbürger“ sind Menschen die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Oft stehen sie im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu.

Bei etwa fünf Prozent von ihnen, also rund 1150, handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten. Im Jahr 2021 rechnete der Verfassungsschutz der Szene „Reichsbürger und Selbstverwalter“ 1011 extremistische Straftaten zu.

Bei einer Razzia im Jahr 2016 hatte ein sogenannter Reichsbürger im bayerischen Georgensgmünd auf vier Polizisten geschossen. Einer von ihnen erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das Spezialeinsatzkommando wollte die Waffen des Jägers beschlagnahmen.

Erstpublikation am 07.12.22, um 07:47 Uhr.

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