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05.10.2019

08:30

Unregulierter Milliardenmarkt

Grüne fordern Zulassungspflicht für Vitaminpillen

Von: Dietmar Neuerer

Bei dem problematischen Geschäft mit Nahrungsergänzungsmitteln sind dem Gesetzgeber die Hände gebunden. Ein Unding, finden die Grünen und fordern Konsequenzen.

Als Klassiker unter den Nahrungsergänzungsmitteln gelten Vitamine und Mineralstoffe, die zwei Drittel des gesamten Nahrungsergänzungsmittel-Markts ausmachen. dpa

Pillen und Tabletten

Als Klassiker unter den Nahrungsergänzungsmitteln gelten Vitamine und Mineralstoffe, die zwei Drittel des gesamten Nahrungsergänzungsmittel-Markts ausmachen.

Berlin Ob klassische Mineralstoffe und Vitamine oder spezielle Präparate, die der Herz- und Kreislaufgesundheit oder der Schönheitspflege dienen sollen: Die Anwendungsbereiche für Nahrungsergänzungsmittel sind vielfältig. Dabei sind die meisten aus Sicht von Verbraucherschützern überflüssig, manche mitunter sogar gefährlich.

Dem Gesetzgeber sind bislang aber weitgehend die Hände gebunden. Die Grünen sehen deshalb dringenden Handlungsbedarf. „Das Geschäft mit Nahrungsergänzungsmitteln, die wenig bis keinen Nutzen haben und schlimmstenfalls bei Überdosierung sogar gefährlich sind, muss endlich reguliert werden“, sagte die ernährungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, dem Handelsblatt.

„Wir brauchen eine staatliche Zulassungspflicht mit einer behördlichen Sicherheitsprüfung für Nahrungsergänzungsmittel und eine öffentliche Liste im Internet, die darüber informiert, welche Produkte geprüft wurden.“ Zudem müsse es eine Stelle geben, bei der Verbraucher „unerwartete Wirkungen“ eines Nahrungsergänzungsmittels melden können.

Künast trifft mit ihrer Forderung einen wunden Punkt. Denn in der Europäischen Union gibt es bisher keine gesetzlich festgelegten europaweit geltenden Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln. Daher haben viele EU-Mitgliedstaaten und andere europäische Länder eigene Empfehlungen oder auch gesetzliche Vorgaben herausgegeben. In Deutschland hat das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) Höchstmengen festgelegt. Produkte, die die Empfehlungen der Behörde einhalten und von den Verbrauchern laut Anweisungen eingenommen werden, seien für Menschen ab 15 Jahren risikofrei, erklärte BfR-Präsident Andreas Henschel im vergangenen Jahr.

Verbraucherschützer warnen indes regelmäßig vor Risiken. „Nicht nur bei Internetprodukten, auch im stationären Handel gibt es immer wieder Rückrufe beispielsweise wegen Salmonellenbelastung von pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln, zu viel Jod in Algenprodukten oder Überdosierungen von Vitamintabletten“, heißt es auf dem Portal „Klartext Nahrungsergänzung“ der Verbraucherzentralen. Online vertriebene angeblich „natürliche“ Produkte enthielten häufig nicht deklarierte Arzneistoffe, die „riskant bis gesundheitsschädlich, teilweise sogar lebensgefährlich“ seien.

Wegen einer möglichen Gefahr für die Gesundheit durch Sulfit hatte etwa Anfang August die Nestmann Pharma GmbH alle im Verkehr befindlichen Chargen des Nahrungsergänzungsmittels „Nepro-Rella“ zurückgerufen. Betroffen waren demnach die Verpackungsgrößen mit 400, 1500 und 5000 Tabletten. Das Problem: Bei dem Produkt konnte ein Sulfitgehalt von mehr als zehn Milligramm pro Kilogramm nicht ausgeschlossen werden. Für Menschen mit Allergie oder Unverträglichkeit könne das Sulfit jedoch ein Gesundheitsrisiko darstellen, so das Unternehmen.

Milliardenumsatz mit Nahrungsergänzungsmitteln

In einem anderen Fall stoppte das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) die Werbeaussagen des Betreibers eines „Anti Hangover Drinks“. Ein Nahrungsergänzungsmittel dürfe nicht als Behandlungsmittel oder Vorbeugung eines Alkohol-Katers beworben werden, urteilten die Richter (Az. 6 U 114/18). Bei einem „Kater“ handele es sich um eine Krankheit.

Dessen ungeachtet boomt der Markt für Nahrungsergänzungsmittel. Laut einer Analyse des Marktforschungsinstituts „Insight Health“ wurden in Deutschland im Jahr 2018 insgesamt 225 Millionen Packungen Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Das sind 12 Millionen Packungen mehr als im Jahr 2017. Der Umsatz ist demnach von 1,31 Milliarden Euro (2017) auf 1,44 Milliarden Euro (2018) gestiegen. Als Klassiker unter den Nahrungsergänzungsmitteln gelten laut der Analyse Vitamine und Mineralstoffe, die zwei Drittel des gesamten Nahrungsergänzungsmittel-Markts ausmachen.

Gekauft werden Nahrungsergänzungsmittel „Insight Health“ zufolge zum größten Teil in Drogeriemärkten (41,4 Prozent) und jede dritte Packung im Lebensmitteleinzelhandel (32,5 Prozent). Im Vergleich zum Vorjahr haben demnach die Drogeriemärkte mit einem Plus von 10,5 Prozent den Lebensmitteleinzelhandel damit als größten Vertriebskanal nach Absatz abgelöst. Auch der Apothekenversandhandel kann ein Absatzwachstum verzeichnen, wenn auch auf einem noch vergleichsweise geringen Niveau.

Dass Nahrungsergänzungsmittel immer wieder in die Kritik geraten, liegt auch daran, dass das Geschäft mit den Produkten weitgehend unter dem Radar der Behörden stattfindet. Die Verantwortung dafür, dass die Gesundheit nicht geschädigt und Verbraucher durch Aufmachung und Werbung nicht getäuscht würden, liege beim Hersteller und Inverkehrbringer, erklärt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) auf seiner Webseite.

Klöckner setzt auf europäische Regelungen

Im Unterschied zu Arzneimitteln gebe zudem kein behördliches Zulassungsverfahren. „Die Mittel müssen lediglich angezeigt werden, bevor sie auf den Markt kommen.“ Und sie würden von den zuständigen Lebensmittel-Überwachungsbehörden in den Bundesländern lediglich „stichprobenartig kontrolliert“.

Das zuständige Bundesernährungsministerium von Ressortchefin Julia Klöckner (CDU) lehnt indes eine nationale Regulierung ab. Das Ministerium setzt stattdessen auf eine europäische Regelung, wie der Parlamentarische Staatssekretär Michael Stübgen (CDU) auf eine entsprechende Frage der Grünen-Politikerin Künast mitteilt. Eine Regelung auf EU-Ebene sei aufgrund des „intensiven“ Warenaustauschs zwischen den EU-Mitgliedstaaten einer nationalen Regelung „deutlich überlegen“, heißt es in dem Dokument, das dem Handelsblatt vorliegt.

Das Ministerium werde sich daher bei der neuen EU-Kommission „erneut dafür einsetzen, die bereits begonnenen Arbeiten zu Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe auf EU-Ebene wieder-aufzunehmen“. Stübgen betonte, dass für ein EU-weit einheitlich hohes gesundheitliches Schutzniveau für Verbraucher eine „harmonisierte“ Festsetzung solcher Höchstmengen notwendig sei. Außerdem habe die fehlende Harmonisierung „erhebliche Störungen des Binnenmarktes und die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen zur Folge“, warnte der CDU-Politiker.

Andererseits gibt das Ministerium zu bedenken, dass Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe einer wissenschaftlichen Bewertung bedürften. Daher sei das BfR beauftragt worden, so Stübgen, aktuelle Risikobewertungen in Nahrungsergänzungsmitteln vorzunehmen, die das Ministerium in die Diskussion zu Höchstmengen einbringen werde.

Die Grünen-Politikerin Künast kritisierte das zögerliche Handeln. Statt im Sinne des „vorsorgenden“ Verbraucherschutzes nationale Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe festzulegen wie es das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bereits gefordert habe, „steht die Ministerin wieder mal auf der Bremse und wartet auf die EU“, sagte die Bundestagsabgeordnete. „Die politische Mutlosigkeit der Ministerin legt die Vermutung nahe, dass ihr die Profitinteressen der Wirtschaft wichtiger sind als das Wohlergehen und die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher.“

Mehr: Die Umsatzskala von Vitaminpillen & Co. ist nach oben offen, bei der Sinnfrage aber wird es eng. Lesen Sie hier, warum Forscher raten, für Nahrungsergänzungsmittel kein Geld auszugeben.

Kommentare (1)

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Account gelöscht!

08.10.2019, 09:01 Uhr

Der Beitrag ist leider sehr einseitig und schlecht recherchiert. Nahrungsergänzungsmittel sind konzentrierte Lebensmittel. Sie unterliegen dem Lebensmittelgesetz. Liebe Frau Künast, ein Lebensmittel kann man nicht zulassen!
wenn man mal die Herstellungskette eines Nahrungsergänzungsmittels verfolgt, stellt man fest, dass die Herstellung bis zum Endprodukt sich in einem sehr engen gesetzlichen Rahmen bewegt und strengen Qualitätsrichtlinien unterliegt.
NEM‘s werden zwar nicht zugelassen wie Arzneimittel. Aber es ist auch längst nicht so, dass keine Überwachung erfolgt.
Hersteller und Inverkehrbringer werden von eine ganze Reihe Behörden überwacht:
- Landesuntersuchungsamt
- Überwachungsbehörden
- Veterinäramt auf Kreisebene, z. B. in Rheinland-Pfalz
- Taskforce Überwachungsmannschaft der jeweiligen Landesbehörde
- Eichamt
- Gewerbeaufsichtsamt
- BVL

Dann gibt es weitere europäische Behörden:
- EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)
- Europäische Kommission

Hier mal eine Auflistung von wichtigen rechtlichen Vorschriften, Normen und Richtlinien die von Herstellern eingehalten werden müssen.
- Nahrungsergänzungsmittel-Verordnung (NemV)
- Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB)
- Lebensmittelinformations-Verordnung
- Europäische Zusatzstoff-Zulassungsverordnung (ZzulV)
- Lebensmittelhygiene-Verordnung
- Los-Kennzeichnungs-Verordnung (LMKV)
- Health-Claim Verordnung
- HACCP und GLP (Good Laboratory Practices)
- DIN EN ISO 9001
- DIN EN ISO 22000
- Codex Alimentarius
- Positivliste für die Verwendung von Mikronährstoffen (Vitamine,
Mineralstoffe)
- Mess- und Eichgesetz
- Novel food –Verordnung
Kaum ein anderes Lebensmittel wird so streng überwacht! Das weiß natürlich der Endverbraucher nicht, umso trauriger dass er durch solche Beiträge wir Ihrer noch mehr verunsichert wird.

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