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22.03.2022

04:00

Unternehmensansiedlung

Tesla-Gigafactory nährt Hoffnung auf Investitionsschub in Ostdeutschland

Von: Dietmar Neuerer

An diesem Dienstag startet Tesla mit seiner neuen Fabrik in Grünheide. Diese und andere Investitionen nähren die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufbruch in Ostdeutschland.

Am Dienstag, 22. März, sollen die ersten in Grünheide produzierten E-Autos an Kunden übergeben werden. dpa

Tesla-Fabrik in Brandenburg

Am Dienstag, 22. März, sollen die ersten in Grünheide produzierten E-Autos an Kunden übergeben werden.

Berlin Führende Ökonomen in Deutschland messen den Standortentscheidungen des US-Elektroautobauers Tesla für Grünheide (Brandenburg) und des US-Chipherstellers Intel für Magdeburg (Sachsen-Anhalt) große Bedeutung bei.

„Wir erleben derzeit in den neuen Bundesländern, dass die Ausreifung von Ballungsräumen zu Wachstumskernen auch die ländlichen Regionen erfasst“, sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, dem Handelsblatt. „So ist ohne entsprechende bundesweite Wahrnehmung eine Reindustrialisierung in den neuen Bundesländern abseits von Sachsen zu beobachten.“

Als entscheidend für eine solche Entwicklung sieht Hüther eine gute Wissenschaftslandschaft und Verkehrsinfrastruktur. Aus den steigenden Investitionen entstünden Chancen auf Netzwerkeffekte.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, wertet die jüngsten Ansiedlungen zwar noch nicht als eine „Trendumkehr“ mit einem verstärkten Investorenfokus auf die neuen Bundesländer.

Er sieht aber gute Chancen, wenn Ostdeutschland eigene Stärken entwickele und nicht versuche, andere Regionen in Deutschland oder Europa zu kopieren. „Erneuerbare Energien und nachhaltige Technologien könnten eine solche Stärke und ein vielversprechendes Erfolgsmodell für den Osten werden“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt.

Neben Tesla in Grünheide weitere Investitionen in Ostdeutschland

Allerdings müssten ostdeutsche Regionen „dringend Reformen voranbringen“, fügte der DIW-Chef hinzu. „Sie müssen Bürokratie abbauen, öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Bildung erhöhen und eine Willkommenskultur mit hoher Toleranz für Vielfalt und Offenheit entwickeln“, sagte Fratzscher. Hier gebe es noch einigen Nachholbedarf.

An diesem Dienstag will Tesla aus der neuen Gigafabrik in Grünheide bei Berlin die ersten Elektroautos des Modells Y ausliefern. Geplant ist ein großes Event mit Tesla-Chef Elon Musk und prominenten Vertretern aus der Bundes- und Landespolitik. Der Tesla-Chef will persönlich die ersten Fahrzeuge an die Kundinnen und Kunden übergeben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird in Grünheide erwartet, ebenso der Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne).

Der US-Konzern ist aber nicht der einzige Großinvestor. Ebenfalls in diesem Jahr will BASF im brandenburgischen Schwarzheide die Herstellung von Batteriematerial starten. Der Batteriespezialist Microvast hat seine Europazentrale in Ludwigsfelde und montiert dort Batterien für Nutzfahrzeuge. Die deutsch-kanadische Rock Tech Lithium investiert fast eine halbe Milliarde Euro in Guben an der polnischen Grenze in eine Produktionsanlage für Lithiumhydroxid.

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Auch andere ostdeutsche Bundesländer verzeichnen Milliardeninvestitionen. In Thüringen baut der chinesische CATL-Konzern für bis zu 1,8 Milliarden Euro eine Batteriefabrik, die noch 2022 loslegen könnte. Seit Mitte 2021 produziert in Dresden bereits das Bosch-Halbleiterwerk, eine der modernsten Chipfabriken der Welt.

Elon Musk will persönlich die ersten Fahrzeuge übergeben

Vor allem aber die neuen Pläne von Intel wirken gigantisch. Der US-Konzern will in einer ersten Ausbaustufe zwei direkt benachbarte Halbleiterwerke in Magdeburg bauen, um dort ab 2027 Prozessoren und Grafikchips herzustellen. Das Unternehmen will zunächst rund 17 Milliarden Euro investieren. Laut Intel sollen etwa 3000 Hightech-Arbeitsplätze sowie Zehntausende zusätzliche Stellen bei Zulieferern entstehen.

Doch ein Engagement in Deutschland ist nicht ohne Tücken. So wollte etwa Tesla ursprünglich schon im vergangenen Sommer die ersten Autos vom Band rollen lassen. Doch das Genehmigungsverfahren verzögerte sich, unter anderem weil Tesla im Bauantrag eine Batteriefabrik ergänzte.

Am 4. März genehmigte das Land Brandenburg schließlich das Vorhaben. Das Autowerk steht bereits, erbaut auf eigenes Risiko über fast 20 vorzeitige Zulassungen. In einer ersten Phase ist vorgesehen, dass Tesla im neuen Werk mit rund 12.000 Beschäftigten etwa 500.000 Autos im Jahr baut.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zeigte sich erleichtert, dass Tesla nun loslegen kann. „Wir haben bewiesen, dass sich auch bei einem etwas komplizierten deutschen Genehmigungsrecht eine so große Investition innerhalb von kaum mehr als zwei Jahren realisieren lässt“, sagte er.

Woidke rechnet damit, dass die Gigafactory Signalwirkung für andere Investoren hat. „Wir erleben gerade eine Trendumkehr“, sagte er. Der Standort Ostdeutschland habe bei Investoren stark an Attraktivität gewonnen, was nicht zuletzt auch dem Angebot an Ökostrom geschuldet sei.

Brandenburg könne seinen Strombedarf rechnerisch bereits heute zu 94 Prozent aus erneuerbaren Energien decken, erklärte Woidke. „Da sind wir deutschlandweit führend.“

Bundesverkehrsministerium zieht positive Bilanz zu Tesla

Für den Vizepräsidenten des SPD-Wirtschaftsforums, Matthias Machnig, zeigen die jüngsten US-Investitionen, dass der Osten als Investitionsstandort immer unterschätzt worden sei. „Mit Tesla und Intel wird sich das verändern“, sagte Machnig dem Handelsblatt. „Nur über solche Investitionen und den sich daraus entwickelnden Struktureffekten kann es zu einer Angleichung von Ost und West kommen.“

Der Grünen-Wirtschaftspolitiker Dieter Janecek teilt die Einschätzung Woidkes. „Es wird immer deutlicher, dass der Osten und der Norden Deutschlands durch die hohe Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien einen zunehmend wichtigeren Standortvorteil haben“, sagte er dem Handelsblatt. „Gerade für Bayern mit seiner Windkraftblockade wird das ein Problem.“ Intel habe sich gegen einen möglichen Standort in Oberbayern entschieden.

Tesla-Gigafactory in Grünheide gilt als „Erfolgsgeschichte“

Auch das Bundesverkehrsministerium zieht eine positive Bilanz der Tesla-Ansiedlung. „Die Geschwindigkeit, mit der die Tesla-Fabrik genehmigt und gebaut wurde, zeigt, was geht, wenn der Wille da ist“, sagte FDP-Staatssekretärin Daniela Kluckert dem Handelsblatt. Dass diese „Erfolgsgeschichte“ aus Ostdeutschland komme, sei umso schöner.

Kluckert bekräftigte zugleich die Pläne der Ampelkoalition, die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren zu halbieren. „Tesla und Brandenburg zeigen uns nun, dass das auch geht“, sagte sie. Der Grünen-Politiker Janecek ergänzt: „Eine deutliche Vereinfachung von Genehmigungs- und Planungsverfahren ist absolut dringlich.“

Der SPD-Politiker Machnig sagte, die Tesla Ansiedlung habe gezeigt, was planungs- und genehmigungsrechtlich möglich sei, wenn Land, Kommunen und Behörden zusammenarbeiteten. „Das muss zum Standard in ganz Deutschland werden“, betonte er.

Zudem müsse das bisherige Planungs- und Genehmigungsrecht grundlegend überarbeitet werden. „Das darf nicht nur kosmetischen Charakter haben“, sagte Machnig. „Das Recht muss ein Ermöglichungsrecht werden.“

Auch für den Ökonomen Hüther ist ein „effizientes, verlässliches und schnelles Verwaltungshandeln“ von zentraler Bedeutung. „Eine generelle Beschleunigung hilft ohne Zweifel“, sagte der IW-Chef. Notwendig seien aber immer auch ein „direktes Kümmern und Ansprachebereitschaft bei großen Projekten“.

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