Vor dem Untersuchungsausschuss muss Verkehrsminister Scheuer erklären, warum er die Pkw-Maut übereilt einführen wollte – und dabei der Telekom schadete.
Telekom-Chef Timotheus Höttges
Der Mautmarkt in Europa gehöre für die Telekom zu den „strategischen Geschäftsfeldern“, die die Konzerntochter T-Systems anbietet.
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Berlin An diesem Donnerstag kommt es im Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut zum Showdown. Um 10.30 Uhr werden die Abgeordneten zunächst einen Geschäftsführer der Autoticket GmbH befragen. Das Unternehmen war vom Bund beauftragt worden, das Mautsystem bis zum September 2020 aufzubauen.
Auch die Chefs der Unternehmen, die die Autoticket gebildet haben, der Ticketvermarkter Eventim und der österreichische Mautsystemanbieter Kapsch, werden gehört. Am Abend soll Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Rede und Antwort stehen. Es wird eine Mammutbefragung.
Im Zentrum steht die Frage: Warum hat der Minister den Vertrag mit den Unternehmen bereits zum 30. Dezember 2018 geschlossen und nicht abgewartet, bis der Europäische Gerichtshof entschieden hat, ob die Maut auch europarechtskonform war. Sie war es nicht, wie sich am 18. Juni mit dem Urteil der Richter herausstellte. Scheuer kündigte die Verträge. Seither fordern die Unternehmen 560 Millionen Euro, die ein Schiedsgericht verhandelt.
Das Pikante daran: Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenberg hatte dem Minister bei einem Geheimtreffen am 29. November 2018 „angeboten, mit einer Vertragsunterzeichnung bis zu einer Entscheidung des EuGH zu warten“, wie es in einem Gedächtnisprotokoll der Unternehmen steht. Scheuer habe das Angebot aber „abgelehnt, da die Maut noch im Jahr 2020 eingeführt werden solle, weshalb die Zeit dränge“. Scheuer bestreitet, dass es ein Angebot gegeben hat.
Die Parlamentarier werden nachfragen, die FDP fordert sogar schon den Rücktritt des Ministers. Und sie werden wissen wollen, warum überhaupt Eventim und Kapsch den Zuschlag erhielten, hat sich doch in den vergangenen Sitzungen des Ausschusses schon gezeigt, dass das Vergabeverfahren alles andere als sauber gelaufen war.
Nicht nur der Steuerzahler trägt den Schaden. In der letzten Sitzung kam gar ein Leidtragender zu Wort: Der Chef der Deutschen Telekom AG, an der der Bund mit knapp 32 Prozent beteiligt ist. Das Protokoll der Befragung von Timotheus Höttges liegt dem Handelsblatt vor. Und es bringt den Minister weiter in Erklärungsnöte.
Der Mautmarkt in Europa gehört laut Höttges für die Deutsche Telekom zu den „strategischen Geschäftsfeldern“, die die Konzerntochter T-Systems anbietet. Der Chef des Bonner Telekommunikationsriesen mit 236 Millionen Mobilfunk-, 27 Millionen Festnetz- und 21 Millionen Breitbandkunden hätte deshalb nie geahnt, dass ausgerechnet sein größter Anteilseigner, der Bund, ihn um jenes Geschäftsfeld bringen würde.
Die Telekom hatte 15 Jahre lang das Lkw-Mautsystem betrieben und allen Grund zur Hoffnung gehabt, nach Ablauf des Betreibervertrags erneut den Zuschlag zu erhalten. Am liebsten hätte die Telekom es genutzt, um auch die Pkw-Maut darüber zu erheben.
Doch weil dies nicht erlaubt war, musste die Telekom im August 2018 als zweitletzter Bieter aussteigen – und erfuhr dann auch noch wenige Monate später aus der Zeitung, das alles noch viel schlimmer kommen würde.
Höttges erklärte in der letzten Sitzung des Maut-Untersuchungsausschusses, dass er und sein Vorstand „sehr verärgert“ Anfang 2019 darüber diskutieren mussten, was offenkundig rund um die Vergabe des Betriebs des Ausländer-Mautsystems passiert war. Wäre er nicht ein höflicher Mensch, hätte er vor den Abgeordneten wohl einen anderen Ausdruck benutzt.
Er und seine Vorstandskollegen hätten Mitte Januar im Handelsblatt gelesen, dass Minister Scheuer am 30. Dezember mit den Unternehmen Eventim und Kapsch den Vertrag zum Betrieb des Ausländer-Mautsystems unterzeichnet hatte. Weil das Angebot als Letztbietender aber deutlich zu hoch gewesen war, war das Ministerium in sogenannten „Aufklärungsgesprächen“ bereit, einen Großteil der Aufgaben auf die Toll Collect zu übertragen.
Nur so war das Prestigeprojekt der CSU zu retten. Der Mautbetreiber war Ende August an den Bund zurückgefallen, die Anteile sollten eigentlich neu vergeben werden. Doch nun war klar: Toll Collect würde staatlich bleiben.
Für Höttges war das ein doppelter Schlag: Nicht nur, dass der Traum vom Weiterbetrieb des Lkw-Mautsystembetriebs zerstoben war. Seine Experten hatten im Bieterverfahren zur Pkw-Maut eigens beim Bund nachgefragt, ob etwa das Vertriebssystem der Lkw-Maut mitgenutzt werden könne, etwa die Ticketterminals an Tankstellen. Das hätte die Aufbaukosten gedrückt, was für die Telekom angesichts ihrer hohen Verschuldung ein gewichtiges Argument war.
„Wir haben immer darauf hingewiesen, dass eine Kombination der Toll Collect und ihrer Digitalisierungsmöglichkeiten, der Einsatz der Automaten, die wir in der Fläche haben, die Erhebung für die Pkw-Maut deutlich erleichtert hätten“, sagte auch Höttges im Ausschuss. Das Ministerium aber hatte die Möglichkeit seinerzeit ausgeschlossen. Die Telekom stieg aus.
Eventim und Kapsch aber durften Risiken und damit Kosten auf die Toll Collect auslagern. Obendrein übernahm der Bund die Portokosten von bis zu 100 Millionen Euro, von denen die Telekom zum Systemstart auch dringend entlastet werden wollte. Das Porto war für die Millionen Briefe nötig, um inländische Fahrzeughalter darüber zu informieren, dass sie künftig statt der Kfz-Steuer die Maut zahlen würden.
Höttges’ Aussagen sind für Minister Scheuer nicht nur vergaberechtlich heikel. Höttges erklärte sogar im Ausschuss, er habe „aus Höflichkeitsgründen“ den Minister angerufen. „Ich habe am 13. August 2018 dann ein Gespräch mit dem Herrn Minister Scheuer darüber geführt, und ich habe ihm in diesem Gespräch erklärt, dass wir kein Angebot abgeben werden unter den Rahmenbedingungen und dass insbesondere der hohe Finanzierungsbedarf es nicht für uns ermöglicht, hier weiter in dem Ausschreibeverfahren zu verbleiben.“
Andreas Scheuer
Im Ausschuss zeigt sich, dass sein Ministerium schon frühzeitig den Plan verfolgte, die Lkw- und Pkw-Mautsysteme zu verschmelzen
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Für die SPD-Politikerin Kirsten Lühmann ein Skandal. Bislang habe das Ministerium behauptet, „die Pkw-Maut sei kein Thema des Gespräches gewesen“, sagte sie nach der Befragung. Es habe sich auch herausgestellt, dass T-Systems „eigentlich ein wirtschaftlicheres Angebot“ als die Letztbietenden „hätte abgeben können – wenn sie das gleiche Entgegenkommen des Ministers erhalten hätten. Nun sind noch mehr Fragen offen. Der Minister wird sich dazu erklären müssen.“
Die Telekom hätte laut Höttges für 2,4 Milliarden Euro geboten und damit rund 600 Millionen Euro niedriger als Eventim und Kapsch. Im Telekom-Vorstand habe es laut Höttges nach der Medienberichterstattung Anfang 2019 „ein hohes Ungerechtigkeitsempfinden“ gegeben, nachdem auch die Anteile an Toll Collect perdu waren. Nun stellte sich der Vorstand in Höttges’ Erinnerung die Frage: „Ist eigentlich das Geschäftsfeld Maut, was wir bei der T-Systems besitzen, ist das überhaupt noch zukunftsweisend?“
Die Vorstände diskutierten, ob sie wegen fehlerhafter Ausschreibungsbedingungen klagen sollten oder auf Schadensersatz. Oder ob sie einfach nur deutlich machen sollten, dass man sich eine Klage vorbehalte. Sie entschieden sich für die letzte Variante, schickten einen Beschwerdebrief ans Ministerium.
Dabei zielte die Telekom weniger auf das Ausländer-Mautsystem ab als auf die Lkw-Maut, der Zukunftsmarkt schlechthin in Europa. Bei der Pkw-Maut hatte der Telekom-Vorstand laut Höttges das Gefühl, es handele sich weniger um eine digitale Plattform als um „einer quasi Behörde mit einem extrem hohen Personalaufwand“. Er habe diesem Projekt „nicht eine Sekunde hinterhergeweint“.
Im Ausschuss zeigt sich nun, dass das Ministerium schon frühzeitig den Plan verfolgte, beide Mautsysteme zu verschmelzen – allerdings staatlich und nicht mit einer Telekom. Das geht aus einem Gesprächsprotokoll von Kapsch und Eventim zu einem Geheimtreffen mit Minister Scheuer am 3. Oktober 2018 in einem Separee am Flughafen Tegel hervor, das dem Untersuchungsausschuss und dem Handelsblatt vorliegt.
Gemäß dem Protokoll hatte Scheuer nach den Synergien gefragt und Kapsch darauf erwidert, dass sich das bestehende Vertriebsnetz wie auch die Strom- und Datenleitungen für die Kontrollbrücken nutzen ließen und damit wesentliche Teile des Erhebungssystems. Firmenchef Georg Kapsch sprach gar davon, dass die beiden Mautsysteme im Laufe der Jahre „zusammenwachsen“ würden.
Scheuers Staatssekretär Gerhard Schulz, im Ministerium nur „Mr. Maut“ genannt, hatte bei dem Treffen bestätigt, dass es im Ministerium „diese Überlegungen auch gebe, weshalb es wichtig sei“, dass man das Ausländer-Mautsystem „jederzeit übernehmen könne“. Damit meinte er den Staat.
Die Verschmelzung war auch wichtig, um die Verstaatlichung der Toll Collect zu rechtfertigen. Nur mit der zusätzlichen Aufgabe war ein Staatsbetrieb möglicherweise wirtschaftlicher als eine privatwirtschaftliche Variante, wie sich das Ministerium kurzfristig in einem Wirtschaftlichkeitsgutachten der KPMG bestätigen ließ.
Trotz des Aus der Ausländer-Maut wird Toll Collect weiter staatlich betrieben. Geschäftsführer ist seit März 2019 Schulz, der als beurlaubter Beamter nun gut verdient: Er erhielt 254.000 Euro in dem Geschäftsjahr und kommt demnach jährlich auf gut eine halbe Million Euro, inklusive Altersrückstellungen. Auch er wird sich noch an diesem Donnerstag im Ausschuss erklären müssen – auf Antrag der Union wurde er am Mittwoch auf die Zeugenliste aufgenommen.
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