Kordel (15. Juli)
Ein Regionalzug steht im Bahnhof des Ortes in Rheinland-Pfalz, der vom Hochwasser der Kyll überflutet ist.
Bild: dpa
Tote, Vermisste, Häusereinstürze, unabsehbare Schäden: Tief „Bernd“ verwandelt weite Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in Katastrophengebiete.
Düsseldorf Am Mittwoch hatte es auf Twitter noch böse Kommentare gegeben: Während Nordrhein-Westfalen „absaufe“, fahre CDU-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Armin Laschet zum Wahlkampf nach Bayern, schrieb ein empörter Nutzer: „Der Schönwetterministerpräsident darf kein Kanzler werden.“
Innerhalb weniger Stunden ist der Tweet veraltet. Angesichts der verheerenden Überschwemmungen in Teilen Westdeutschlands, angesichts von zahlreichen Toten und Vermissten ist Laschet am Donnerstag ins Katastrophengebiet gefahren, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Seinen ursprünglich geplanten Besuch bei der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe im oberbayerischen Kloster Seeon sagte er ab.
„Wir werden die Kommunen, die betroffenen, nicht allein lassen“, versicherte der Ministerpräsident, der die besonders vom Unwetter heimgesuchten Orte Altena und Hagen besucht hatte. Das Landeskabinett solle am Freitag die Lage analysieren.
Laschet dankte den Helfern und der Bundeswehr, die die Hilfsmaßnahmen unterstützt und mit schwerem Gerät Wege freiräumt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drückte während ihres Staatsbesuchs in den USA ihre „tief empfundene Anteilnahme” aus. „Es ist eine Katastrophe, man kann sagen, eine Tragödie”, sagte sie in der Residenz der deutschen Botschafterin Emily Haber in Washington.
„Ich trauere um die, die in dieser Katastrophe ihr Leben verloren haben”, fügte die Kanzlerin hinzu und versprach, dass die Bundesregierung auch finanzielle Hilfe bei den Aufbauarbeiten leisten werde. „Alles, was getan werden muss, tun wir”, sagte Merkel. Für den Moment stehe aber „die akute Situation im Fokus, und die Notwendigkeit, Menschenleben zu retten”.
Stunde um Stunde werden mehr Details über das Ausmaß der Schäden durch die Starkregenfälle und Überflutungen bekannt. Bis zum späten Donnerstagnachmittag meldeten die Behörden mehr als 40 Todesopfer, doch gelten noch rund 70 Menschen nach dem Einsturz mehrerer Häuser im Eifel-Ort Schuld bei Adenau als vermisst.
In der Gemeinde Kordel im Landkreis Trier-Saarburg, in Solingen und anderen Ortschaften mussten Hunderte Menschen mit Booten vor den Fluten in Sicherheit gebracht werden. In Stolberg bei Aachen bewacht eine Polizei-Hundertschaft die verlassenen Häuser, nachdem Plünderungsversuche gemeldet worden waren.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hat die Lage in den Hochwassergebieten als bisher noch nie erlebte Katastrophe geschildert. „Es gibt Tote, es gibt Vermisste, es gibt viele, die noch in Gefahr sind“, sagte sie. Das Land habe zwar schon einige Hochwasser erlebt. „So eine Katastrophe haben wir noch nicht gesehen. Es ist wirklich verheerend.“ Ganze Orte seien überflutet, Häuser seien einfach weggeschwommen.
In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind nach Angaben des Strom-Verteilnetzbetreibers Westnetz zudem mindestens 200.000 Menschen ohne Strom. Aus Sicherheitsgründen würden Umspannanlagen bei eindringendem Wasser abgeschaltet, teilte das Unternehmen mit. Wegen überfluteter Straßen könnten die Anlagen teilweise nicht erreicht werden, erläuterte eine Sprecherin. „Wir sind mit allen verfügbaren Kräften im Einsatz.“
Im Kreis Euskirchen droht der Damm der Steinbachtalsperre zu brechen, zwei Ortsteile der Gemeinde Rheinbach wurden deshalb evakuiert. In Teilen der Katastrophengebiete sind Internet und Telefonverbindungen eingeschränkt oder ausgefallen, teilweise auch die Notrufnummern.
Auch der Bahnverkehr ist durch die Überflutungen und den Dauerregen massiv beeinträchtigt. Die Bahn rief dazu auf, Fahrten von und nach Nordrhein-Westfalen nach Möglichkeit zu verschieben. Aufgrund von Streckensperrungen fahren zahlreiche S-Bahn- und Regionallinien nicht oder nur eingeschränkt, wie die Deutsche Bahn mitteilte. Auch auf den Autobahnen gibt es erhebliche Wetter-Folgen.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Laschet hat bei seinem Besuch im Katastrophengebiet betont, er spekuliere nicht auf wahlkampfträchtige Bilder. „Das ist keine Frage, mit der man Bilder erzeugen will“, sagte er.
Doch auch Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wollte sich am Donnerstag gemeinsam mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Dreyer vor Ort ein Bild von der Lage machen. Er werde alles dafür tun, dass auch der Bund finanzielle Hilfe leiste, kündigte der Finanzminister an. Die Grünen teilten mit, Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock lasse sich laufend über die aktuelle Lage informieren und werde vorzeitig aus dem Urlaub zurückkehren.
Dass demonstratives Auftreten und entschlossenes Anpacken sich durchaus in der Wählergunst niederschlagen können, zeigen prominente Beispiele. So tat sich der damalige brandenburgische Umweltminister Matthias Platzeck (SPD) 1997 bei der Oderflut als Krisenmanager hervor. Später wurde er Ministerpräsident und als „Deichgraf“ geadelt.
In Gummistiefeln und Regenjacke demonstrierte auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) beim Elbehochwasser 2002 Tatkraft als Krisenkanzler. Die Bilder hätten sicher nicht geschadet, um bei der Bundestagswahl im gleichen Jahr das Blatt noch zugunsten der rot-grünen Regierung zu wenden, sagte Schröder später in einem Interview.
Kurz vor der Bundestagswahl 2013 machte sich auch Kanzlerin Merkel ein Bild von der Situation in den süd- und ostdeutschen Hochwassergebieten. Passau zum Beispiel hatte gerade die höchste Donau-Flut seit 500 Jahren erlebt. Merkel sagte den betroffenen Regionen 100 Millionen Euro Soforthilfe zu.
Auch jetzt ist die Hilfsbereitschaft groß: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bot Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Unterstützung an. In dieser schlimmen Situation sei Solidarität gefragt. „Unsere Gedanken sind bei den Opfern der Fluten und ihren Angehörigen.“
Söder wie auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt äußerten vollstes Verständnis dafür, dass Laschet seinen Besuch bei der Klausurtagung abgesagt hatte. Es werde einen Nachholtermin geben. FDP-Chef Christian Lindner forderte rasche Unterstützung des Bundes für die Opfer der Unwetterkatastrophe. „Dafür kann der Bundesfinanzminister den Aufbauhilfefonds neu aktivieren, der nach der Flut 2013 gebildet wurde“, sagte Lindner. Damit stünden erprobte und bereits eingeführte Instrumente bereit, die schnell und unkompliziert wirken könnten.
Wie meist nach solchen Unwetterlagen begann auch gleich die Debatte über notwendige Konsequenzen. Die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Gerda Hasselfeldt, forderte, für Katastrophenfälle ausreichend Notunterkünfte, Zelte, Decken, Feldbetten, Trinkwasser und anderes Material zur Verfügung zu stellen.
Das DRK habe mit anderen Hilfsorganisationen schon vor Längerem bundesweit zehn Reservelager für die Versorgung der Bevölkerung vorgeschlagen, sagte sie der „Rheinischen Post“. Der Bund habe mit der Finanzierung von zwei dieser Versorgungszentren einen Anfang gemacht: „Jetzt sollte rasch das komplette Konzept mit zehn Logistikzentren umgesetzt werden“, forderte die frühere CSU-Politikerin.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte, die extremen Wetterkapriolen seien die Folgen des Klimawandels. „Wir müssen uns viel besser darauf vorbereiten, auch beim Hochwasserschutz“, sagte er der „Bild“-Zeitung.
Feuerwehrleute arbeiten in der Ostparksiedlung in Düsseldorf
Die Helfer versuchen, die Wassermassen mit Sandsäcken zu stoppen.
Bild: dpa
Nach Angaben seines Ministeriums waren am Donnerstag insgesamt mehr als 15.000 Kräfte von Feuerwehr, Polizei, Hilfsorganisationen, THW und Bundeswehr im Einsatz, um Menschen zu retten sowie Wohnungen, Betriebe und Infrastruktur vor den Wassermassen zu schützen.
Richtige Entwarnung können die Meteorologen nach den starken Überflutungen noch nicht geben. Das Tief „Bernd“ bestimmt mit feuchtwarmen Luftmassen weiter das Wetter in Deutschland. Dem Deutschen Wetterdienst zufolge bleibt es in den nächsten Tagen wechselhaft mit Schauern und Gewittern, teils mit heftigem Starkregen.
Es ist nicht das erste Wetterextrem in den vergangenen Monaten. Stürme, Überschwemmungen, Starkregen und Hagel dürften aus Sicht der Versicherungsbranche in diesem Jahr bereits besonders hohe Schäden angerichtet haben.
Es zeichne sich ab, dass sich 2021 „zu einem der schadensträchtigsten Jahre seit 2013 entwickeln könnte“, teilte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, am Donnerstag mit. „Bereits im Juni haben Starkregen und Hagel einen geschätzten versicherten Schaden von 1,7 Milliarden Euro verursacht.“
Mit Material von dpa und Reuters
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