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08.02.2022

10:25

www.bayern.by - Marc Oeder, BayernTourismus

Algäu

Urlaub

Eine Woche Allgäu für 73,50 Euro: Wie coronamüde Familien günstig Ferien machen können

Von: Laura Ewert

Ein Programm der Bundesregierung ermöglicht pandemieerschöpften Eltern und Kindern billige Deutschlandreisen. Lohnt sich die „Corona-Auszeit“?

Es liegt Schnee, vor dem Kamin stapeln sich Holzscheite, das Kruzifix hängt in der Ecke – und an der Holzwand steht eingeschlagen: „Saufst, stirbst. Saufst ned, stirbst a.“ Eine Woche Allgäu für rustikale 73,50 Euro. Das zahlt Julia für sich und ihren Sohn für ein geräumiges Zimmer in diesen Winterferien.

Die 43-Jährige, die eigentlich anders heißt, hat Anfang des Jahres von der „Corona-Familien-Auszeit“ gehört, einer Förderung, mit der sich durch die Pandemie belastete Familien erholen sollen. So kann Julia vergünstigt in gemeinnützigen Ferienstätten in ganz Deutschland Urlaub machen. Das Programm läuft noch bis Ende des Jahres. Auf der Website des Familienministeriums findet man eine Deutschlandkarte mit den teilnehmenden Einrichtungen. Regelmäßig kommen neue hinzu.

Mittlerweile beteiligen sich 111 Häuser an dem Angebot: Jugendherbergen auf Rügen oder Norderney, eine ländliche Volkshochschule in Waldenburg, ein Diakonissenmutterhaus in Neustadt an der Weinstraße, das ehemalige Klostergut der Benediktinerinnen „Irmengard-Hof“ am Chiemsee. Zugegeben: Alles nicht Mallorca. Aber wollte man Deutschland nicht schon immer näher kennenlernen?
Um den passenden Urlaubsort zu finden, braucht es ein bisschen Geduld. „Ich fand die Deutschlandkarte auf der Homepage ganz hilfreich zur Orientierung“, sagt Julia. „Auch wenn fast überall stand, dass es keine freien Plätze gibt, lohnt es sich, immer wieder auf den Seiten zu schauen.“

Die Mutter eines Elfjährigen, der in wechselnder Betreuung bei beiden Elternteilen aufwächst, hat in der Pandemie ein Studium angefangen. Das „Corona-Auszeit“-Angebot kam da genau richtig. „Die Antragstellung ist wirklich total niedrigschwellig“, sagt Julia.

Einige Herbergen sind bereits komplett ausgebucht

Familien, die nicht von den Schulferien abhängig sind oder frühzeitig planen, hätten es auch leichter, freie Zimmer zu finden. Die Berliner Mutter entdeckte mehrere Orte, die ihr gut gefielen. „Zwar alles nicht so schick, aber man bekommt Vollpension, und die Frage ist ja immer, was man erwartet.“
Sie erwartete einen Ausgleich zwischen Aktivitäten draußen und drinnen. Ganz oben auf ihrer Liste stand das Haus Zauberberg in Pfronten im Allgäu, es hat eine Saunalandschaft und eine Kegelbahn. Aber da sei schon alles belegt gewesen, erzählt Julia.

Eine Woche Allgäu

Das Programm

Die „Corona-Auszeit“ ist eine Maßnahme des Bundesfamilienministeriums und ermöglicht Ferien in teilnehmenden Einrichtungen in ganz Deutschland zu etwa einem Zehntel des regulären Preises. Es läuft noch bis Ende 2022.

Die Voraussetzungen

Die Förderung kann von Familien genutzt werden, die mit einem oder mehreren Kindern verreisen wollen, für die Anspruch auf Kindergeld besteht. Zudem muss eine von drei Bedingungen erfüllt sein:
• Sie haben ein kleineres oder mittleres Einkommen unterhalb der auf der Ministeriums-Website einsehbaren Grenze.
• Ein Kind hat einen Behindertengrad von mindestens 50 Prozent. In dem Fall ist das Einkommen unerheblich.
• Sie als Elternteil haben einen Behindertengrad von mindestens 50 Prozent. Auch hier spielt das Einkommen keine Rolle.

Urlaubsorte

Bundesweit beteiligen sich 111 Einrichtungen, oft kommen neue hinzu. Die meisten sind gemeinnützige Ferienstätten, viele mit kirchlichem Hintergrund. Von der Jugendherberge auf Rügen über die Volkshochschule in Waldenburg bis zum ehemaligen Klostergut der Benediktinerinnen „Irmengard-Hof“ am Chiemsee finden sich zahlreiche Angebote auf der Website des Ministeriums (hier klicken).

„Wir haben dann einen Platz in Langau bekommen, auch im Allgäu, und da gibt es eine Indoor-Kletterhalle.“ Und Vollpension mit Lunchpaketen für den Ausflug auf die Skipiste. „Man zahlt mit der Förderung dann nur zehn Prozent des normalen Preises.“ Bloß die Anfahrt und das Skifahren kosten extra.

Förderberechtigt sind Familien in ganz unterschiedlichen Lagen

Seit dem 1. Oktober 2021 können Familien die Förderung beantragen, die vom Bundesfamilienministerium entwickelt und im Mai 2021 vom Bundeskabinett verabschiedet wurde. „Dafür stehen in den Jahren 2021 und 2022 insgesamt 50 Millionen Euro zur Verfügung“, sagt Katharina Bergmann, Pressereferentin des Ministeriums.

Berechtigt für die Förderung sind zum Beispiel Familien, in denen eine Person im Haushalt schwerbehindert ist, oder solche, die Kinderzuschlag, Wohngeld oder Grundsicherung erhalten und mindestens ein minderjähriges Kind haben. Auch wer unter eine bestimmte Einkommensgrenze fällt, kann von dem Programm profitieren.

Wo sie liegt, hängt davon ab, wie viele Personen im Haushalt leben, man kann sie auf der Website des Ministeriums checken lassen. Für Alleinerziehende mit einem Kind etwa beträgt die Einkommensgrenze 4993 Euro brutto im Monat. Die Häuser auf der Homepage des Ministeriums lassen sich direkt anschreiben. Wenn die Unterkunft für den gewünschten Zeitraum noch freie Zimmer hat, bekommen die Familien das „Corona-Auszeit-Formular“. Sobald das geprüft ist, kann gebucht werden.

Im Allgäu gibt es die unterschiedlichsten Freizeitaktivitäten. dpa

Ausritt vor Alpenpanorama

Im Allgäu gibt es die unterschiedlichsten Freizeitaktivitäten.

Das kann derzeit allerdings ein bisschen dauern. Es laufe gerade sehr gut, sagt Hanno Heil, Hausleiter des Familienferiendorfs Hübingen e.V. – das Telefon hätten sie wegen des Dauerklingelns schon mehr oder weniger stillgelegt, Anfragen beantworten sie nur noch per Mail. „Wir haben hier einen wunderbaren Speisesaal mit Panoramablick über den Westerwald bis hin zum Feldberg“, schwärmt er und erzählt von den tobenden Kindern in seinem Feriendorf, das er als großen Naturspielplatz beschreibt.

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Das Dorf gibt es seit 53 Jahren, es ist in der Babyboomer-Zeit entstanden. „Wir haben deswegen Häuser mit vier bis acht Betten“, erklärt Heil. Jetzt kämen auch wieder Großfamilien mit über zehn Personen. Die fänden es schon toll, eine Woche lang nicht kochen zu müssen. Auf dem Frühstückstisch stehen Wurst- und Käseplatten, zum Mittag Salatbuffet und Fisch mit Kräuterkartoffeln, am Abend Brote, Rohkost, gefüllte Pfannkuchen.

5 Euro pro Nacht und Person

Das habe sogar den Kindern immer geschmeckt, schreibt im Internet eine Besucherin, die gerade im Rahmen der „Corona-Auszeit“ im Westerwald war. „Wir haben getöpfert und gemalt, es gab ein Lagerfeuer mit Stockbrot und Marshmallows, auf dem Gelände gibt es drei Ziegen, und die Aussicht ist großartig.“

50,50 Euro kostet die Nacht je Person im Familienferiendorf. Mit der Förderung durch den Bund sind es nur knapp fünf Euro. „Wir versuchen, die Preise so niedrig wie möglich zu halten. Aber ob man 100 oder zehn Prozent zahlt, ist natürlich ein Unterschied“, sagt Heil.

Er findet, dass die Politik in mehrfacher Hinsicht das Geld gut ausgegeben habe. „Es hilft den belasteten Familien, den von den Einschränkungen gebeutelten Betrieben, also auch unseren Mitarbeitenden, da wir dieses Jahr wohl auf Kurzarbeit verzichten können“, sagt er.

Urlaubsorte haben sowohl private als auch kirchliche Träger

Julia, die Berliner Mutter, meldet sich aus ihrem Urlaub im Allgäu. „Sehr schönes Haus, frisch saniert. Das Essen ist naja … Jugendherbergsstyle, ansonsten Angebote für Kids und großer Toberaum auf zwei Ebenen mit Sprungturm“, schreibt sie. Aus dem Fenster sehe man in weiter Ferne Neuschwanstein, dazu verschneite Berge und Felder. Viele Berliner Familien seien da, ein sehr gemischtes Publikum.
Die Bildungs- und Erholungsstätte Langau e.V. ist nicht nur wie die meisten Häuser auf der Ministeriumsliste barrierefrei, sie hat auch eine Kapelle, denn sie gehört dem Diakonischen Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern an.

Viele der Urlaubsorte, die für die „Corona-Auszeit“ gebucht werden können, haben einen kirchlichen Hintergrund, werden vom katholischen Verband der Kolpinghäuser oder von Diözesen finanziert. Andere aber auch von privaten Stiftungen wie der Björn-Schulz-Stiftung, die schwer kranken Kinder ein gutes Leben ermöglicht.

Programm führt zu Anfragenflut bei den Erholungsorten

Weitere Häuser werden von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) getragen, etwa die „Kajüte“ auf der Nordseeinsel Langeoog. Nur ein paar Minuten vom Strand liegt das 2017 renovierte Haus. Für manche Zeiträume gibt es Yoga-Kurse oder Holzbläser-Workshops.

Auch ein Urlaub an der Nordsee ist mit dem Programm der Bundesregierung möglich. dpa

Stürmisches Wetter

Auch ein Urlaub an der Nordsee ist mit dem Programm der Bundesregierung möglich.

Allerdings sind für 2022 keine Plätze mehr frei. „Nach Veröffentlichung des Programms im September 2021 kam es innerhalb weniger Tage zu mehreren Tausend Anfragen“, sagt Melanie Böers von der AWO. „In der Zeit vor dem Förderprogramm haben wir zu keinem Zeitpunkt eine solche Menge an Anfragen in kürzester Zeit erlebt.“

Innerhalb des „Corona-Auszeit“-Programms befinden sie sich auf Langeoog zwar im teureren Bereich – je nach Saison und Zimmergröße liegen die Preise ohne Förderung zwischen 54 und 118 Euro –, sind aber immer noch günstiger als Hotels. Und deswegen auch nach Ende des Programms noch interessant für Familien.

Pädagogisches Programm im Westerwald

Überhaupt: das Geld. Auf die Frage, wie sich das Feriendorf im Westerwald finanziere, antwortet Leiter Hanno Heil: „Mit Mühe.“ Die ersten 30 Jahre wurden sie durch das Bistum unterstützt, vor 18 Jahren hat ein kleiner Trägerverein übernommen. Da sei die „Corona-Auszeit“ ein Segen.

In der Schulzeit kommen Schulklassen zur Klassenfahrt, in den Ferien und an den Wochenenden Familien, Chöre, Sportvereine – aber nun eben deutlich mehr Menschen mit Kindern. Zwischen den Jahren war das Dorf mit 35 Familien voll. „Wir wollen ein pädagogisches Programm anbieten, das macht nur Sinn, wenn viele Familien da sind.“
Es gibt eine Bogenschießanlage, eine Bildhauer- und eine Keramik-Werkstatt mit eigenem Brennofen. Die darin hergestellten Werke werden den Familien nach dem Urlaub zugeschickt. Das Highlight sei aber der „BaSalto Mitmachzirkus“, sagt Heil.

Wintersport-Urlaub ist recht teuer, mit dem Rabatt kann er auch für ärmere Familien erschwinglich werden. dpa

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Im Feriendorf gibt es ein großes Zelt, auch ein Zirkuspädagoge wurde angestellt. „Am Anfang ihrer Ferien können Teilnehmer alles ausprobieren und entscheiden dann, was sie intensiver lernen wollen: jonglieren, Einrad fahren, auf Scherben laufen, auf dem Seil balancieren.“

Der artistische Ferienworkshop endet am Tag vor der Abreise mit einer Show samt Scheinwerfern und Moderation. Es sei toll anzusehen, wenn der Vater sich auf die Scherben lege und die Tochter über seinen Rücken laufe, erzählt Heil.

Auch Julia ist mit ihrem Urlaub zufrieden. Den Tag über seien sie auf der Piste gewesen, berichtet die Berlinerin aus ihrer Allgäu-Auszeit, das Skigebiet sei klein, aber sehr nett. Dann schickt sie noch Fotos von langen Gängen, Holztreppen, Holzeckbänken und – saufst ned, stirbst a – diversen Jesussen. Rustikal, nicht Mallorca. Aber endlich mal wieder aus Berlin rausgekommen.

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