PremiumUngeimpfte in Quarantäne müssen damit rechnen, bald einen Teil ihres Lohns zu verlieren. Außerdem planen Bund und Länder eine Testpflicht, wie aus einem Beschlussentwurf hervorgeht.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn diskutiert mit Impfgegnern
Impfgegnern drohen schon bald härtere Maßnahmen – etwa keine Lohnfortzahlung im Quarantänefall.
Bild: imago images/Rene Traut
Berlin Ungeimpfte Beschäftigte in Quarantäne müssen damit rechnen, auf einen Teil ihres Lohns verzichten zu müssen. Arbeitgeber sollen für diesen Fall schon bald keine staatliche Entschädigung mehr für den Verdienstausfall erhalten. Das geht aus einem Beschlussentwurf zu dem Treffen der Gesundheitsminister am Mittwoch hervor, der dem Handelsblatt vorliegt.
Im Vorfeld der Beratungen mit seinen Amtskollegen aus den Ländern hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Pläne verteidigt, Ungeimpften in Corona-Quarantäne keinen Lohnersatz mehr zu zahlen. Das sei eine vom Bundestag beschlossene, gesetzliche Regelung, sagt der CDU-Politiker im ZDF-Morgenmagazin. „Warum sollen andere dafür zahlen, dass jemand für sich entscheidet, sich nicht impfen zu lassen?“, fragte Spahn. Auch bei der 2G-Option - also die Möglichkeit zum Beispiel bei Veranstaltungen nur Geimpfte und Genesene zuzulassen – sprach sich Spahn für eine einheitliche Regelung aus. Dafür werde er bei den Beratungen mit den Ländergesundheitsministern werben.
Dem Beschlussentwurf zufolge sollen die Länder spätestens ab dem 11. Oktober „denjenigen Personen keine Entschädigung mehr gewähren, die als Kontaktpersonen oder Reiserückkehrer aus einem Risikogebiet“ bei einer Quarantäne keinen vollständigen Impfschutz vorweisen können, obwohl für den Impfstoff eine öffentliche Empfehlung vorliegt.
Ausnahmen gelten laut dem Entwurf für die Personen, für die bis zu acht Wochen vor der Quarantäne-Anordnung keine Impfempfehlung vorlag. Gleiches gilt, wenn aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann. Dazu zählt das Robert Koch-Institut (RKI) beispielsweise hohes Fieber oder bestimmte Vorerkrankungen. Für ungeimpfte Beschäftigte, die selbst an Covid-19 erkranken, gilt weiterhin die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Ein zweiter Beschlussentwurf sieht eine Testpflicht für ungeimpfte Beschäftigte und Selbstständige in bestimmten Branchen vor. Aufgrund der Diskrepanz „zwischen einer rechtsverbindlichen 3G-Nachweispflicht im Publikumsverkehr einerseits und einer bloßen Angebotspflicht der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber andererseits wird ein dringender Handlungsbedarf gesehen“, heißt es in dem Papier. Die Regel solle angesichts der Infektionslage dort eingeführt werden, wo Beschäftigte mit „externen Personen in direkten Kontakt kommen“.
Mehrere Bundesländer wie Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bremen und Nordrhein-Westfalen waren in den vergangenen Tagen bereits mit einer Regelung des Verdienstausfalls vorgeprescht. Arbeitgeber erhalten vom Land eine Entschädigung, wenn Beschäftigte wegen einer angeordneten Quarantäne nicht arbeiten konnten.
Eine Handelsblatt-Umfrage unter allen Bundesländern hat ergeben, dass aufgrund der Regelung bereits mehr als 560 Millionen Euro von den Ländern ausgezahlt wurden. Allein Nordrhein-Westfalen bewilligte Mittel in Höhe von 120 Millionen Euro, Bayern 83 Millionen, Baden-Württemberg 77 Millionen, Niedersachsen 72,1 Millionen und Hessen 52,9 Millionen Euro.
Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, in Vorleistung zu gehen, wenn ein Anspruch auf Entschädigung besteht – das heißt, das Gehalt regulär auszubezahlen, die Sozialbeiträge abzuführen und die Erstattung bei der zuständigen Behörde zu beantragen. Im Infektionsschutzgesetz stehen allerdings Ausnahmen von dieser Regel, die nun einheitlich angewendet werden sollen.
Konkret besteht demnach kein Anspruch auf Entschädigung, wenn die Quarantäne durch eine Schutzimpfung hätte vermieden werden können. Gleiches gilt auch bei einer „vermeidbaren Reise“ in ein Corona-Risikogebiet mit hohen Infektionszahlen im Ausland, die eine Isolation zur Folge hat.
Zahlen Arbeitgeber künftig in diesen Fällen weiterhin Gehalt, können sie also nicht mehr mit einer Erstattung rechnen. Um darüber zu entscheiden, fordern die Länder vom Arbeitgeber Informationen über den Grund der Absonderung des Arbeitnehmers – etwa ein positiver Test, eine Kontaktperson oder eine Einreise aus einem Hochrisikogebiet – sowie Kenntnisse über den Impfstatus.
Ist ein Beschäftigter nicht geimpft, benötigen die Behörden eine Information darüber, ob ein medizinischer Grund – eine sogenannte Kontraindikation – gegen eine Impfung spricht. Baden-Württemberg etwa, wo die Regel bereits umgesetzt wird, weist auf Anfrage darauf hin, dass die Behörden in diesem Fall auf den Arbeitnehmer zugehen und ein Attest einfordern.
Die Einstellung der Lohnfortzahlung leite sich eindeutig aus Paragraf 56 des Infektionsschutzgesetzes ab, sagt der Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn, Gregor Thüsing: „Da sehe ich überhaupt keinen Spielraum, sie beizubehalten, und dass manche Ministerpräsidenten das noch anders sehen, ist mir rechtlich nicht erklärbar.“
Der Anspruchsausschluss sei bisher allein deshalb nicht zum Tragen gekommen, weil bislang nicht davon ausgegangen werden konnte, dass jeder die Gelegenheit hatte, sich vollständig immunisieren zu lassen. „Das ist in Zukunft wegen der breitflächigen Verfügbarkeit der Impfstoffe anders, und damit ist dann auch der Anspruchsausschluss gerechtfertigt“, sagt Thüsing.
Die Neuregelung erhöht den Druck auf Ungeimpfte – entsprechend kontrovers ist die gesellschaftliche Debatte. „Dass die Gesundheitsminister einen einheitlichen Weg gehen wollen, ist richtig, denn nachvollziehbare, bundeseinheitliche Regelungen führen zu mehr Akzeptanz für die Corona-Politik in der Bevölkerung“, sagte der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen dem Handelsblatt. „Einheitlichkeit ist jedoch kein Selbstzweck, die bundesweiten Regelungen müssen auch praxistauglich und in der Pandemiebekämpfung erkennbar von Vorteil sein.“
Der Vorstoß der Gesundheitsminister bliebe viele Antworten in der praktischen Umsetzung schuldig. „Viel wirkungsvoller wäre es, wenn am Arbeitsplatz verbindlich überall die 3G-Regel gilt“, sagte Dahmen.
„Wir müssen doch verhindern, dass sich ungeimpfte Angestellte aus Sorge vor Quarantäne-Anordnungen nicht mehr testen lassen, sonst könnte eine verdeckte Pandemie entstehen.“ Eine Yougov-Umfrage der Jobbörse Indeed hatte ergeben, dass fast die Hälfte aller Ungeimpften eine Quarantäne-Anordnung gegenüber ihrem Arbeitgeber verschweigen würde.
Der Sozialverband VdK lehnte die Pläne hingegen ab. „Der Verdienstausfall muss bei einer Quarantäne unabhängig vom Impfstatus gezahlt werden“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Sie wies darauf hin, dass es zu Recht keine allgemeine Impfpflicht gebe. Also dürfe es auch keine „existenzgefährdenden Folgen“ haben, wenn sich etwa chronisch Kranke gegen eine Impfung entschieden, weil Auswirkungen einer Impfung auf ihre Gesundheit noch nicht einschätzbar seien. Gerade Menschen mit angeschlagener Gesundheit und Arme würde die Streichung des Verdienstausfalls besonders treffen, mahnte Bentele und forderte eine einheitliche Regelung.
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Reiner Hoffmann, kritisierte die Entscheidung der vorpreschenden Bundesländer im Deutschlandfunk scharf und sprach von einer „Impfpflicht durch die Hintertür“. Aus seiner Sicht werde der Konflikt um eine Corona-Impfpflicht dadurch auf Beschäftigte und Betriebe verlagert – mit massiven arbeitsrechtlichen Konsequenzen.
Im Zweifel müssten hier auch sensible Gesundheitsdaten offengelegt werden, warum Beschäftigte sich nicht haben impfen lassen können, sagte Hoffmann im Deutschlandfunk. Es sei ein Gebot der Solidarität, sich impfen zu lassen, aber nicht mit dem Instrument, den Entgeltersatz zu streichen. Verdi-Chef Frank Werneke sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Die Politik steht im Wort, dass Impfen freiwillig bleiben soll.“
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