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22.06.2022

14:17

Verkehr

Die FDP gefährdet plötzlich das Verbrenner-Aus der EU

Von: Daniel Delhaes, Christoph Herwartz

Ab 2035 will die EU keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zulassen. Doch kurz vor der Entscheidung gefährden zwei FDP-Minister die nötige Mehrheit – und Deutschlands Glaubwürdigkeit.

Beide sprachen am Dienstag beim Tag der Industrie des BDI. Der FDP-Politiker sorgte für eine Überraschung. dpa

Kanzler Olaf Scholz und sein Finanzminister Christian Lindner

Beide sprachen am Dienstag beim Tag der Industrie des BDI. Der FDP-Politiker sorgte für eine Überraschung.

Berlin, Brüssel Am kommenden Dienstag werden Entscheidungen fallen, die das Klima massiv beeinflussen können. Die EU will die Chance wahren, bis 2050 klimaneutral zu werden und damit auch zum Vorbild für andere zu werden.

Doch nun gefährdet ein Schwenk in der FDP zum Verbrennungsmotor das Vorhaben. Die FDP-geführten Bundesministerien für Finanzen und Verkehr sperren sich gegen den Plan der Bundesregierung, das von der EU geplante Aus dieser Antriebsart ab 2035 mitzutragen. Und das kann weitreichende Folgen haben.

Denn für das gesamte Klimaschutzpaket steht eine wichtige Deadline an: Bis Ende Juni leiten französische Minister die Sitzungen des Rates. Sie wollen die Chance nutzen, die Eckpunkte festzuzurren. Danach übernimmt Tschechien die Ratspräsidentschaft – und wird das „Fit for 55“ genannte Paket auf der Prioritätenliste nach unten rutschen lassen, erwarten Klimaschützer.

Derzeit sind die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bei der EU dabei, letzte Feinheiten auszuhandeln. Dabei geht es bislang vor allem um die Verschärfung des Emissionshandels, um den CO2-Grenzausgleich und um den Klima-Sozialfonds.

Das Ende des Verbrennungsmotors galt bislang als konsensfähig. Zwar sind einige osteuropäische Staaten dagegen, gleichzeitig geht es anderen Staaten aber nicht schnell genug. Als vor zwei Wochen auch das Europaparlament das Aus des Verbrennungsmotors für das Jahr 2035 bestätigte, schien das Thema durch zu sein.

Jetzt aber hat das Zählen begonnen. Damit solche Vorschläge Gesetz werden, brauchen sie die Zustimmung der EU-Kommission, des EU-Parlaments und einer qualifizierten Mehrheit von EU-Mitgliedstaaten, die im Rat zusammenkommen.

Für die notwendige qualifizierte Mehrheit müssten 55 Prozent der Mitgliedstaaten, also 15 der 27, dafür stimmen, wobei 65 Prozent der EU-Bevölkerung durch diese Stimmen repräsentiert sein müssen. 15 Mitgliedstaaten werden ziemlich sicher zusammenkommen. Ob sie ohne Deutschland aber auch 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren werden, ist unsicher.

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Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Rumänien und die Slowakei werden wohl gegen das Gesetz stimmen. Zusammen mit Deutschland würden sie 30 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Ein weiteres großes Land wie Spanien oder Frankreich würde ausreichen, um das Gesetz abzulehnen. Und beide Länder gelten als Wackelkandidaten, die sich mit ihrem Stimmverhalten an Deutschland orientieren könnten. Auch Italiens Zustimmung ist nicht sicher.

Macht Deutschland sich unglaubwürdig?

Wenn Deutschland so kurzfristig, nur eine Woche vor der Abstimmung, seine Position ändert, wäre das sehr ungewöhnlich. „Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit“, sagt ein Lobbyist in Brüssel. Ebenso in der deutschen Bundesregierung heißt es: „Die Auswirkungen werden über das eine Dossier hinausreichen. Das Verhalten weckt Zweifel an der Zuverlässigkeit Deutschlands.“

Laut Geschäftsordnung der Bundesregierung muss sich Deutschland bei den Abstimmungen in Brüssel enthalten, wenn es keinen Konsens in Berlin gibt. Weil das in Zeiten der Großen Koalition oft vorkam, spricht man in der EU mittlerweile vom „German Vote“. Der Effekt einer Enthaltung ist der gleiche wie der einer Nein-Stimme. Aber dass es so kommt, sei rein hypothetisch und nicht abzusehen, spielt ein EU-Diplomat die Situation herunter.

Inhaltlich geht es bei dem Gesetz um den Vorschlag, ab 2035 keine neuen Autos und Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen mit Verbrennungsmotor mehr in der EU zuzulassen. Norwegen und Großbritannien haben sich bereits Ausstiegsdaten gegeben.

Das Gesetz ist ein bedeutendes Element im Klimaschutzpaket „Fit for 55“, dessen Ziel es ist, bis 2030 55 Prozent der Treibhausgase einzusparen, die noch 1990 ausgestoßen wurden. Das Aus des Verbrennungsmotors soll die CO2-Emissionen im Transport senken, die bisher weiter steigen, während andere Sektoren sparsamer werden. Außerdem hat es eine hohe symbolische Bedeutung – was wichtig ist, da die EU am Ende nicht nur selbst klimaneutral werden will, sondern daraufsetzt, dass andere Länder zu ähnlichen Schritten motiviert werden.

Die FDP will aber kein Verbot, sondern ein Schlupfloch, damit Verbrenner zumindest dann noch neu zugelassen werden können, wenn sie mit E-Fuels betrieben werden. Das sind Kraftstoffe, die mit Strom produziert werden und darum theoretisch klimaneutral hergestellt werden können.

Bislang schien es so, als hätte sich die FDP damit abgefunden, dass sie damit nicht erfolgreich sein würde, obwohl die Formulierung dazu im Koalitionsvertrag noch mehrdeutig war.

Im März und im Mai schickte das von der Grünen-Politikerin Steffi Lemke geführte Umweltministerium Weisungen nach Brüssel, aus denen klar hervorgeht, dass die Bundesregierung die dort diskutierten Vorschläge von Kommission und französischer Ratspräsidentschaft unterstützt. Abgestimmt waren diese Weisungen auch mit dem von FDP-Politiker Volker Wissing geführten Verkehrsministerium und dem von FDP-Chef Christian Lindner geführten Finanzministerium.

Kanzleramt sucht einen Kompromiss

Doch am vergangenen Dienstag forderte Lindner plötzlich „Technologieoffenheit“. „Ich habe entschieden, dass ich in der Bundesregierung, dass wir in der Bundesregierung dieser europäischen Rechtssetzung nicht zustimmen werden“, sagte er beim Tag der Industrie des BDI. Er erntete Applaus, was ihm angesichts der seit Monaten sinkenden Umfragewerte und des verpatzten Einzugs in den saarländischen Landtag sowie des Machtverlusts nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sichtlich guttat.

Interessant ist aber auch die Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Verbrennerfrage. Offensichtlich nimmt er vorsichtlich Rücksicht auf Lindner und seine FDP. In Berlin hieß es am Mittwoch, Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt habe sich der Sache angenommen und suche eine Einigung zwischen den Koalitionspartnern.

Dabei gibt es eigentlich nichts mehr zu besprechen – zumindest aus Sicht der Grünen. „Der Koalitionsvertrag ist in Sachen Flottengrenzwerte eindeutig, die Zustimmung ist vereinbart“, sagte Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. „Wirtschaft und Gesellschaft brauchen klare und verlässliche Signale.“

Auch Dorothee Martin, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion kritisierte: „Die Bundesregierung hatte bereits eine klare Haltung“, sagte sie. „Die Äußerungen von Herrn Lindner habe ich mit Verwunderung zur Kenntnis genommen.“

Verkehrsminister Wissing sieht das hingegen anders: „Herr Lindner hat daran erinnert, dass die Zulassung mit Verbrennungsmotoren mit synthetischen Kraftstoffen über 2035 hinaus einer Regelung bedarf“, sagte er. Seine Äußerungen stünden „nicht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag“.

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