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02.03.2022

14:22

Versorgungskrise

Habeck lässt für 1,5 Milliarden Euro Gas beschaffen – was dahintersteckt

Von: Klaus Stratmann

PremiumDas Bundeswirtschaftsministerium stockt die Gasvorräte auf. Der ungewöhnliche Schritt stößt auf Zustimmung. Doch die Lage bleibt angespannt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Erdgasspeicher befüllen und so die Versorgungssituation entspannen. dpa

Vizekanzler Robert Habeck

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Erdgasspeicher befüllen und so die Versorgungssituation entspannen.

Berlin Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) kauft für 1,5 Milliarden Euro verflüssigtes Erdgas (LNG) ein, um damit die Erdgasspeicher zu befüllen und so die Versorgungssituation zu entspannen. Die ersten Verträge wurden bereits am Dienstag geschlossen. Nach Angaben eines Ministeriumssprechers wird die Trading Hub Europe GmbH (THE) mit der Beschaffung beauftragt.  

Die Bundesregierung hat THE finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um das LNG zu beschaffen und in deutsche Gasspeicher einzuspeichern. Woher das Gas kommen soll, dazu äußerte sich THE bisher nicht. „Über die genauen Vertragsdetails und das Volumen können wir derzeit keine Auskünfte geben. THE beschafft das LNG diskriminierungsfrei auf Basis verfügbarer Angebote und beginnt umgehend mit der Beschaffung“, schreibt THE.

Die THE spielt eine Schlüsselrolle im deutschen Gasmarkt. Das Unternehmen ist Träger der Marktgebietsverantwortung für ganz Deutschland und muss dafür sorgen, dass Erdgasangebot und Erdgasnachfrage kontinuierlich ausbalanciert werden.

Die Aufgaben des Unternehmens sind im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) festgeschrieben. THE macht keine Gewinne, es finanziert sich aus den Netzentgelten, die von den Gasverbrauchern gezahlt werden. Gesellschafter der Trading Hub Europe sind Unternehmen wie Open Grid Europe (OGE), Gasunie Deutschland oder Thyssengas.

Das Bundesfinanzministerium hat der Beschaffung von LNG im Auftrag des Wirtschaftsministeriums bereits zugestimmt. In einem Schreiben von Florian Toncar, parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium, an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vom 1. März heißt es, sein Haus habe auf Antrag des Wirtschaftsministeriums eine Einwilligung für eine außerplanmäßige Ausgabe bis zur Höhe von 1,5 Milliarden Euro gegeben. Daraus sollten alle Kosten der kurzfristigen Beschaffung, Speicherung und des Transports von zusätzlichen Gasreserven finanziert werden.

Der Bundestag wurde nicht informiert. Trotz der Höhe der außerplanmäßigen Ausgabe sei eine Ausnahme von der Pflicht zur Unterrichtung des Haushaltsausschusses des Bundestages „aus zwingenden Gründen geboten“, schreibt der Staatssekretär.

Zur Begründung heißt es in dem Brief weiter, die erste Gaslieferung habe bereits am 1. März erfolgen sollen, die Zahlungen hätten „sehr zeitnah geleistet“ werden müssen. Über Toncars Brief hatte zuerst das Nachrichtenportal „The Pioneer“ berichtet.

Industrievertreter begrüßten die Maßnahme. Sie sei geeignet, zur Beruhigung der Märkte beizutragen. „Das ist das richtige Signal“, sagte ein Manager.

Neue Preisrekorde am Gasmarkt

Am Mittwoch erreichten die Gaspreise im kurzfristigen Handel neue Höchststände. Auslöser dafür ist die Sorge, Gaslieferungen aus Russland könnten ausbleiben. Allerdings gibt es dafür im Moment keine konkreten Anzeichen.

So läuft beispielsweise der Transit von russischem Erdgas durch die Ukraine trotz des Angriffs der Russen auf das Land auf Hochtouren. Das belegen aktuelle Zahlen des ukrainischen Gastransportnetzbetreibers GTSOU.

Habeck hatte am Montag den Entwurf eines Gesetzes zur Schaffung einer nationalen Gasreserve vorgelegt. Im Fokus der geplanten Regelung steht allerdings nicht die Gasbeschaffung durch den Bund, wie Habeck sie jetzt kurzfristig umgesetzt hat. Vielmehr verlagert die Regelung die Pflicht zu einer systematischen Befüllung der Gasspeicher auf die Akteure des Gasmarktes. Im Zentrum der Regelung steht ein Drei-Stufen-Plan.

Eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Gesetzes spielt auch hier die Trading Hub Europe GmbH. Sie soll in Stufe eins des Plans dafür sorgen, dass schon deutlich vor Beginn der Heizperiode ein Füllstand von zehn bis 30 Prozent erreicht ist. Dazu soll das Unternehmen langfristig Gasmengen zur Einspeicherung ausschreiben, die zu einem bestimmten Zeitpunkt beschafft und gespeichert werden müssen.

Stufe zwei des Gesetzes sieht vor, dass die Speichernutzer – also etwa Gasimporteure oder Gashändler – verpflichtet werden, jeweils bis Anfang Oktober einen Speicherfüllstand von 80 Prozent zu erreichen, Anfang Dezember sollen es 90 Prozent sein.

Speicherung folgt bislang allein den Gesetzen des Marktes

Wenn auf dem Weg zu diesem Ziel die Füllstände nicht erreicht worden sind, würde die THE Gas mittels Sonderausschreibung beschaffen. Sollte das auch nicht zu den erwünschten Füllständen führen, würde als Ultima Ratio Stufe drei des neuen Konzepts greifen: Die THE würde das erforderliche Gas direkt selbst kaufen.

Bislang folgt die Speicherung von Erdgas allein den Gesetzen des Marktes, eine strategische Bevorratung wie beim Erdöl gibt es nicht. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Erdgasspeicher zu Beginn der noch laufenden Heizsaison niedrige Füllstände aufwiesen.

Denn in den Monaten zuvor, also im Frühjahr und Sommer vergangenen Jahres, waren die Erdgaspreise wegen der raschen Konjunkturerholung nach der ersten Coronakrise hoch. Viele Händler waren zurückhaltend damit, Gas einzukaufen und zu speichern. Später kamen weitere Faktoren hinzu. Insbesondere lieferten die Russen nur die Mengen, die vertraglich vereinbart waren, boten aber nur sehr wenig Gas auf dem Spotmarkt an.

Deutschland verfügt in Mittel- und Westeuropa über die mit Abstand größten Speicherkapazitäten für Erdgas. Rechnerisch reichen die Kapazitäten aus, um Deutschland für zwei bis drei durchschnittlich kalte Wintermonate mit Gas zu versorgen. Das setzt allerdings voraus, dass die Speicher zu Beginn der Heizsaison gut gefüllt sind.

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