Bei der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr gehen dieses Jahr deutlich mehr Beschwerden ein. Nicht nur bei Flugreisenden wächst der Ärger.
Ausgefallene Flüge am Flughafen München
Die Zahl unzufriedener Reisender mit Beschwerden über Flugstornierungen oder -verspätungen hat sich 2022 mehr als doppelt.
Bild: dpa
Berlin Annullierte Flüge und abgesagte Bahnfahrten lassen die Zahl der Kundenbeschwerden in die Höhe schnellen. Das geht aus vorläufigen Zahlen der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) über das zu Ende gehende Jahr 2022 hervor, die dem Handelsblatt vorliegen.
Bis zum Stichtag 19. Dezember gingen bei der Einrichtung insgesamt 28.021 Schlichtungsanträge ein. Das entspricht einem Anstieg der Beschwerden um rund 86 Prozent im Vorjahresvergleich (15.040 Schlichtungsanträge).
Bei den meisten Kundenbeschwerden ging es auch in diesem Jahr um Flüge und um die Deutsche Bahn. 2022 wandten sich wegen Flugstornierungen oder -verspätungen 23.607 Verbraucherinnen und Verbraucher an die SÖP und damit mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr (11.736).
Auch bei der Bahn gingen die Beschwerdezahlen deutlich nach oben. Die SÖP registrierte seit Januar 2022 insgesamt 3524 Verbraucherbeschwerden – vor allem wegen Zugausfällen und -verspätungen. Das entspricht einem Anstieg um rund 51 Prozent im Vergleich zu 2021 (2330 Schlichtungsanträge).
Die SÖP ist von der Bundesregierung als Schlichtungsstelle für Verkehr und Reisen anerkannt. Sie kümmert sich auch um Beschwerden bei Fahrten mit dem Fernbus oder dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Diese machen den Angaben zufolge aber jeweils einen deutlich kleineren Teil der Anträge aus. Beim Fernbus waren es zum Beispiel lediglich 247 Schlichtungsanträge – etwa 30 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
Der Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion, Detlef Müller, fordert angesichts des hohen Beschwerdeaufkommens Konsequenzen. „Die Fluggesellschaften und Flughäfen müssen ihre Anstrengungen für mehr Pünktlichkeit schnellstmöglich intensivieren“, sagte Müller dem Handelsblatt. „Für die Bahn müssen wir die Verfahren zur Sanierung, Modernisierung und zum Ausbau der Schieneninfrastruktur beschleunigen, damit die Kapazität verlässlich zunimmt.“
Der Unionsfraktionsvize Steffen Bilger (CDU) verlangte von der Bundesregierung, die „massiven Beschwerden“ der Bahn- und Flugreisenden endlich ernst zu nehmen und auch für deren Entschädigungsechte einzutreten. Das müsse für die Minister Volker Wissing (FDP; Verkehr) und Steffi Lemke (Grüne; Verbraucherschutz) Chefsache sein.
„Die vielen Beschwerden zeigen aber auch, dass Deutschland dringend seine Verkehrsinfrastruktur ertüchtigen muss“, fügte Bilger hinzu. „Dass die grüne Verbraucherschutzministerin in ihrer Funktion als Umweltministerin die notwendige Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren blockiert, ist einfach ein Unding.“
Die Beschwerden betreffen insbesondere das Reisegeschehen in diesem Sommer. Vor allem wegen Personalengpässen an Flughäfen und bei Fluggesellschaften mussten Tausende Verbindungen gestrichen werden. Bevor ein Schlichtungsantrag möglich ist, müssen sich Reisende mit ihrem Anliegen immer erst an das jeweilige Unternehmen wenden.
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Die Bahn sorgt indes für permanenten Unmut bei ihren Kunden. Das liegt vor allem an der mangelnden Qualität und Zuverlässigkeit, die selbst Bahn-Chef Richard Lutz im Gespräch mit dem Handelsblatt als „nicht akzeptabel“ bezeichnete. Zwar hat der Konzern Anfang des Jahres ein Pünktlichkeitsziel von 80 Prozent in Aussicht gestellt, dieses Vorhaben aber nach wenigen Wochen wieder kassiert.
Die Fernzüge der Deutschen Bahn waren im September zwar zuverlässiger unterwegs als in den Monaten davor – doch viele kommen noch immer zu spät. Knapp 63 Prozent erreichten laut Konzernangaben ohne größere Verzögerung ihr Ziel.
Hauptproblem bleiben die zahlreichen Baustellen, die den Verkehr bei gleichzeitig hoher Nachfrage ausbremsen. Insbesondere in den trockenen Sommermonaten wurden laut Bahn zudem zahlreiche Gütertransporte vom Schiff auf die Schiene verlagert. Aufgrund des Niedrigwassers konnten Schiffe auf vielen Abschnitten des Rheins nicht fahren.
Fern-, Regional- und Güterzüge wiederum bremsen sich auf dem an vielen Stellen überlasteten Netz dann gegenseitig aus. Das Neun-Euro-Ticket hatte besonders auf touristischen Strecken die Auslastung im Personenverkehr in den Sommermonaten weiter erhöht. Bahn und Bund wollen das Problem mit einer Generalsanierung der besonders hoch ausgelasteten Strecken in den kommenden Jahren in den Griff bekommen.
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