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14.03.2023

14:53

Verteidigung

Wehrbeauftragte beklagt: „Die Bundeswehr hat von allem zu wenig“

Von: Frank Specht

Die Wehrbeauftragte Eva Högl sieht erhebliche Mängel bei Ausstattung und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen sei noch kein einziger Euro ausgegeben.

„Die Bundeswehr hat von allem zu wenig, und sie hat seit dem 24. Februar 2022 noch weniger.“ IMAGO/photothek

Wehrbeauftragte Eva Högl

„Die Bundeswehr hat von allem zu wenig, und sie hat seit dem 24. Februar 2022 noch weniger.“

Berlin Die „Zeitenwende“ nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist aus Sicht der Wehrbeauftragten Eva Högl bei den deutschen Streitkräften bisher erst in Ansätzen erkennbar. „Die Bundeswehr hat von allem zu wenig, und sie hat seit dem 24. Februar 2022 noch weniger“, sagte Högl am Dienstag bei der Vorstellung ihres Jahresberichts in Berlin. Auch beim Personal sei eine „Kraftanstrengung“ erforderlich.

Die SPD-Politikerin beklagte, dass aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen im vergangenen Jahr noch kein einziger Euro ausgegeben worden sei. Selbst Material, das an die Ukraine abgegeben worden sei, sei noch nicht nachbestellt worden. In der Konsequenz sei die Bundeswehr zwar im Bündnis mit den Nato-Partnern verteidigungsfähig, „aber sie ist nicht voll einsatzbereit“, sagte Högl.

Die Wehrbeauftragte, die sich als Anwältin der Soldatinnen und Soldaten versteht, hat im vergangenen Jahr rund 70 Truppenbesuche absolviert und auch Einsatzgebiete im Ausland besucht. Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sei die Bundeswehr „gefordert wie nie“. Aber die Rahmenbedingungen ließen doch sehr zu wünschen übrig.

Anders als in früheren Jahren informiert das Bundesverteidigungsministerium nicht mehr regelmäßig über die Einsatzbereitschaft der einzelnen Waffensysteme. Aber es gebe kaum ein großes Gerät, von dem die Bundeswehr nicht entweder eine größere Stückzahl oder eine bessere Funktionstüchtigkeit gebrauchen könnte, sagte Högl. Als Beispiel verwies sie auf die mangelnde Einsatzbereitschaft des Kampfhubschraubers Tiger.

Beim Beschaffungswesen sieht Högl weiter dringenden Reformbedarf. Die inzwischen zurückgetretene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht habe zwar mit dem Beschleunigungsgesetz und den höheren Schwellenwerten für Vergaben ohne Ausschreibung erste Schritte eingeleitet. Aber die Rechtsgrundlagen und vor allem die Verfahren und Prozesse müssten weiter reformiert werden. Dafür seien Mut, Verantwortungsbewusstsein und Entscheidungsfreude auf allen Ebenen erforderlich.

Bundeswehr

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Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat schon deutlich gemacht, dass er sein eigenes Haus mit rund 3000 Beschäftigten an den zwei Standorten Berlin und Bonn für überdimensioniert hält und es wieder klare Verantwortlichkeiten und kürzere Entscheidungswege geben müsse.

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Zwar hat die Bundeswehr mit dem Sondervermögen viel Geld für zentrale Beschaffungsprojekte wie das Kampfflugzeug F-35 erhalten. Doch Högl erwartet einen jährlichen Bericht, welche Summe abgeflossen ist und wofür das Geld ausgegeben wurde. Darüber hinaus sei es aber auch erforderlich, „den Verteidigungshaushalt dauerhaft auskömmlich auszugestalten“.

Im vergangenen Jahr hat Deutschland rund 1,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgegeben und damit das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jüngst noch einmal bekräftigte Zwei-Prozent-Ziel der Nato verfehlt. Sie drücke Verteidigungsminister Pistorius die Daumen, dass er sich mit der Forderung, den regulären Verteidigungshaushalt um zehn Milliarden Euro jährlich zu erhöhen, durchsetze, sagte Högl. „Das Geld ist gut investiertes Geld.“

Sorge bereitet Högl neben der materiellen Ausstattung auch das Personal. In der Bundeswehr dienten im vergangenen Jahr rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten – etwas weniger als im Vorjahr. Dabei verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Truppenstärke bis zum Jahr 2031 auf 203.000 Frauen und Männer zu erhöhen.

Zwar sei die Zahl der Neueinstellungen gegenüber dem Vorjahr um zwölf Prozent gestiegen. Doch die Zahl der Bewerbungen sei um elf Prozent gesunken, und die Abbrecherquote liege mit 21 Prozent innerhalb der ersten sechs Monate viel zu hoch, beklagte die Wehrbeauftragte. Leider passten fehlendes WLAN auf den Stuben oder verschimmelte Duschen nicht zu den tollen Imagefilmen. Die Bundeswehr müsse ihre bisherigen Anstrengungen zur Personalgewinnung noch einmal massiv steigern.

Personal und Gerät benötigen allerdings auch Platz. Doch bei der Infrastruktur wie beispielsweise den Kasernen gebe es einen gewaltigen Investitionsbedarf von 50 Milliarden Euro, sagte Högl. Jährlich könne jedoch nur rund eine Milliarde Euro verbaut werden, weil in den Planungsbehörden Personal fehle.

Dabei zeige der Bau des Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven, das innerhalb von 200 Tagen fertiggestellt wurde, dass es auch anders gehe, betonte die Wehrbeauftragte: „Dieses Deutschlandtempo hätte ich gern für die Bundeswehr.“

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