Angesichts der unsicheren Versorgungslage mit Öl und Gas ist Energiesparen angesagt – auch im Gebäudesektor. Mieter und Eigentümer, aber auch die Politik können allerdings handeln.
Neubauwohnungen
m Neubau erreicht bereits ein Großteil der Immobilien eine hohe Energieeffizienz.
Bild: dpa
Berlin Der Energieverbrauch der Haushalte beruht in Deutschland weitgehend auf nicht erneuerbaren Energiequellen. Wärme und Warmwasser werden hauptsächlich mit Erdgas und Heizöl erzeugt. Rund die Hälfte aller Wohnungen wird mit Erdgas beheizt, ein Viertel aller Wohnungen mit Öl – direkt und indirekt über Fernwärme. Bei einem Lieferstopp oder einer Verknappung von russischem Öl oder Gas müsste wohl niemand frieren. Haushalte sind besonders geschützt und würden prioritär mit Heizenergie versorgt. Trotzdem wird dazu aufgerufen, Energie zu sparen.
Für die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen und ehemaliges Mitglied im Umweltrat, steht fest: „Angemessenes Energiesparen ist keine Zusatzoption, sondern elementar. Sowohl im privaten als auch im öffentlichen und industriellen Bereich sind alle gefordert, Einsparreserven zu heben.“
Allein im Gebäudesektor ist die Größenordnung nicht unerheblich. Messari-Becker, unter anderem Mitglied im Expertenkreis „Zukunft Bau“ des Bundesbauministeriums, geht davon aus, dass allein über Kurzfristmaßnahmen bis zu einem Viertel der Energie einsparbar wäre.
Auch Julia Verlinden, stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, hält den Energieverbrauch in Gebäuden für „viel höher, als er sein müsste“. Noch mehr als bei der Stromerzeugung sei von den Vorgängerregierungen bei der Energiewende im Wärmebereich in den vergangenen Jahren zu wenig getan worden.
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Nach Zahlen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) liegt der Anteil erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung nur bei etwa 15 Prozent, während er in der Stromerzeugung knapp die Hälfte ausmacht. „Rein technisch könnte man den Energiebedarf in Gebäuden halbieren, wenn man es denn wollte“, sagte Verlinden dem Handelsblatt. Drei zentrale Maßnahmen im Gebäudesektor, die kurzfristig den Energiebedarf senken:
Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft (GdW), rät Gebäudeeigentümern dazu, den Betrieb von Heizungen in Gebäuden überprüfen und verbessern zu lassen.
Die Allianz für einen klimaneutralen Wohngebäudebestand erläutert, dass bestehende Heizungsanlagen häufig überdimensioniert seien. Sie laufen darum häufig nicht effizient und verschwenden Energie.
Wird eine Heizungsanlage ausgetauscht, orientiert sich die Leistung der neuen Anlage bislang oft eher an der alten Anlage als an dem konkreten Leistungsbedarf des Gebäudes. Heizleistung und Vorlauftemperaturen werden im täglichen Betrieb bisher häufig nur unzureichend an die Außentemperaturen angepasst.
Auch Messari-Becker hält die Optimierung von Heizungsanlagen für ein Muss. „Dazu gehört auch eine wirksame Nachtabsenkung der Temperaturen im Gebäudebestand. Das ist heute noch die Ausnahme.“
Laut Internationaler Energieagentur (IEA) liegt in der EU die durchschnittliche Temperatur in beheizten Gebäuden bei 22 Grad Celsius. Verzichten die Menschen nur auf ein Grad Wärme, hätte das in Europa sofortige jährliche Energieeinsparungen von etwa zehn Milliarden Kubikmetern Erdgas zur Folge.
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Für Deutschland schätzt das Umweltbundesamt, dass durch eine um zwei Grad niedrigere Raumtemperatur in allen deutschen Wohn- und Nichtwohngebäuden sowie durch den Einsatz von Duschsparköpfen rund zehn Prozent des russischen Erdgases einsparbar sind.
Messari-Becker sagt: „Die Faustregel lautet: Ein Grad weniger spart fünf bis sechs Prozent Energie.“ Beliebig skalierbar sei das zwar nicht, aber zwei bis drei Grad seien machbar. Unter 18 Grad dürfe die Temperatur allerdings nicht sinken. Ansonsten würden Gesundheitsrisiken und Schimmelgefahr gefördert.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert zudem als Sofortmaßnahme, in allen öffentlichen Gebäuden die Temperatur auf 19 Grad abzusenken.
Liest sich banal, ist es aber nicht. Durch dauerhaftes Lüften sinkt die Raumtemperatur, die Heizung läuft massiv hoch. Für den GdW ist das Nutzerverhalten denn auch ein entscheidender Hebel zur Senkung des Energieverbrauchs.
Fenster
Die richtige Art und Weise zu lüften kann den Energiebedarf senken.
Bild: imago images/blickwinkel
Zu verbrauchssparendem Heizen und Lüften sollte deshalb verstärkt aufgerufen und aufgeklärt werden, so GdW-Chef Gedaschko. Unterstützen könne der Einsatz von einheitlichen, einfach zu bedienenden und kostengünstigen Smart-Home-Geräten in den Wohnungen.
Drei zentrale Maßnahmen im Gebäudesektor, die mittelfristig den Energiebedarf senken:
Umweltverbände wie der BUND fordern, bestehende Heizungsanlagen zu optimieren beziehungsweise durch energiesparende Alternativen wie Wärmepumpen zu ersetzen. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) kritisiert, dass es bei den Sanierungsstandards an klarem Willen fehle. Gasheizungen sollten ab sofort nicht mehr verbaut werden und auch die Förderung von Holzheizungen müsse endlich gestoppt werden – es seien bereits zu viele.
Grünen-Politikerin Verlinden hält es für entscheidend, nicht nur auf einen Austausch der Heizungen zu setzen, sondern auch den Energieverbrauch zu senken. „Es reicht nicht, die Heizungen mit grünem Strom zu betreiben“, sagte sie. „So viel grüner Strom ist aktuell noch gar nicht vorhanden.“ Zudem gelte: „Je weniger Energie wir brauchen, desto schneller schaffen wir auch das Ziel, 100 Prozent erneuerbare Energien in allen Sektoren einzusetzen.“
Verlinden zufolge sollte der Fokus auf die Gebäude mit den schlechtesten Energiewerten gelegt werden, um voranzukommen. Das wäre ein Drittel der Wohngebäude in Deutschland. „Wenn es uns gelingt, diese Gebäude auf einen Effizienzhausstandard Stufe 55 zu sanieren, dann würden wir im Wohngebäudesektor nur noch etwa die Hälfte der Energie verbrauchen“, sagte Verlinden dem Handelsblatt.
Ein Effizienzhaus ist ein Gebäude, das eine bestimmte Energieeffizienzstufe erfüllt, die durch eine energetische Sanierung erreicht werden kann. Dabei gilt: Je kleiner die Kennzahl der Effizienzhausstufe ist, desto weniger Energie verbraucht die Immobilie. Im Neubau erreicht bereits ein Großteil der Immobilien den Effizienzhausstandard 55, gefördert wird derzeit ausschließlich die Effizienzhausstufe 40.
Verlinden, die acht Jahre lang energiepolitische Sprecherin ihrer Fraktion war, hält eine finanzielle Unterstützung von Hauseigentümern bei der Erstellung von Sanierungsfahrplänen für unerlässlich. „Die kostenlosen Sanierungsfahrpläne, die wir im Koalitionsvertrag verabredet haben, müssen in diesem Jahr kommen“, sagte Verlinden. „Nur so bekommen wir Tempo in die Gebäudesanierung.“
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Vor allem wenn sich Hauseigentümer aus Kostengründen dafür entscheiden würden, ihre Immobilie in Etappen zu sanieren, „müssen alle Schritte gut aufeinander abgestimmt sein, um unnötige Doppelarbeiten zu vermeiden“.
Als zukunftstaugliche Option vor allem in Städten gilt Fernwärme. Diese wird bislang noch vor allem durch die Verbrennung von Kohle und Erdgas erzeugt – kann aber auch per Abwärme aus Kraftwerken oder Industriebetrieben oder mithilfe von Geothermie, also Erdwärme, produziert werden. „Diese Potenziale müssen endlich geprüft und genutzt werden, bevor neue Kraftwerke gebaut werden“, ist Verlinden der Ansicht.
Bohrkopf bei der Erstellung einer Geothermieanlage
Einige Kommunen setzen auf Erdwärme bei der Wärmeversorgung
Bild: SWM Steffen Leiprecht
Zusätzlich „hat die Regierung ein Förderprogramm für die Dekarbonisierung der Wärmenetze in der Pipeline, das die EU-Kommission aber mit Blick auf das Beihilferecht noch prüfen muss“, sagte sie.
Die Herausforderungen sind komplex. Bauingenieurin Messari-Becker sagt: „Es gibt nicht ‚die‘ eine Lösung, die für alle gut funktioniert.“ Sowohl die Versorgungsinfrastruktur als auch die technischen Voraussetzungen in den Gebäuden selbst seien derart unterschiedlich, dass pauschale Lösungen schlicht unmöglich seien. „Wir brauchen technisch-offene Lösungen“, sagte sie.
Klar ist: Der Handlungsbedarf ist immens. „Bei einem Ausfall russischer Erdgasimporte und fehlendem Ersatz gäbe es verheerende Folgen mit Dominoeffekten“, warnt die Wissenschaftlerin.
Kämen Grundstoffindustrien wie Glas, Chemie, Stahl und Zement zum Erliegen, wären auch alle weiteren Bemühungen um eine Wärmewende nicht mehr zu stemmen: Keine Heiztechnik ohne Stahl, keine Solarmodule oder Fenster ohne Glas, keine Windräder ohne Zement für Betonfundamente, keine Dämmplatten ohne Chemieindustrie. Die Klimaziele wären damit ebenfalls passé.
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