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24.03.2023

07:41

Warnstreik

Bahn stellt Fernverkehr ein – Deutschland droht am Montag der Verkehrs-Infarkt

Von: Anja Holtschneider, Jens Koenen, Frank Specht

Verdi und die Bahngewerkschaft EVG rufen zu gemeinsamen Streiks im Verkehrssektor auf. Betroffen sind die Bahn, der Luftverkehr, die Autobahnen und Wasserstraßen.

Die Gewerkschaft EVG empfiehlt, schon am Sonntag möglichst frühzeitig ans Ziel zu kommen. dpa

ICE stehen im Frankfurter Hauptbahnhof

Die Gewerkschaft EVG empfiehlt, schon am Sonntag möglichst frühzeitig ans Ziel zu kommen.

Düsseldorf, Frankfurt, Berlin Der Verkehr in Deutschland dürfte am kommenden Montag in großen Teilen zum Erliegen kommen. Grund sind Streikaufrufe mehrerer Gewerkschaften in sich überlagernden Tarifkonflikten. Neben dem Nahverkehr sind die Deutsche Bahn, Flughäfen und auch Autobahnen betroffen.

„Es wird im gesamten Bundesgebiet zu starken Verzögerungen bis hin zum Erliegen der Verkehrsdienste in allen genannten Bereichen kommen“, teilten die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und Verdi am Donnerstag in Berlin mit. Der Streik soll in der Nacht auf Montag beginnen und um 24 Uhr enden. „Dieser Streiktag wird massive Wirkung haben“, sagte Verdi-Chef Frank Werneke.

Betroffen sind der Fern-, Regional-, und S-Bahn-Verkehr der Deutschen Bahn sowie zahlreicher privater Bahnunternehmen. Inzwischen hat die Deutsche Bahn angekündigt, den gesamten Fernverkehr bundesweit einzustellen. Im Regionalverkehr seien nahezu keine Züge unterwegs.

Verdi ruft zudem zu Arbeitsniederlegungen an mehreren Flughäfen auf sowie im Bus- und Bahnverkehr von Städten und Gemeinden in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Sachsen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bayern.

Am Flughafen Frankfurt findet am Montag kein regulärer Passagierverkehr statt, in München wird der Flugverkehr am Sonntag und Montag eingestellt. Das teilten die Flughafenbetreiber mit. Nach Angaben des Flughafenverbands ADV könnten bis zu 380.000 Fluggäste von den Streiks des Flughafenpersonals betroffen sein.

Auch Autobahnen betroffen

Auch die Autobahngesellschaft soll bestreikt werden, ebenso die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Die Autobahngesellschaft ist zwar als privatrechtliche GmbH organisiert, lehnt sich aber bei der Bezahlung der Beschäftigten an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes an.

Sollten sich in größerem Umfang Beschäftigte in den neun Verkehrszentralen beteiligen, die unter anderem für die Überwachung des Verkehrs in Tunneln verantwortlich sind, könnte auch die Sperrung von Tunneln auf Autobahnen drohen.
>> Lesen Sie hier: Die konzertierte Streikaktion ist legal, aber nicht legitim – ein Kommentar

„Wir werden bestimmte Tunnel in den Blick nehmen“, sagte Verdi-Vize Christine Behle am Donnerstag in Berlin. Verdi könne zunächst noch nicht konkret sagen, welche Tunnel betroffen seien. Es würden aber bestimmte Tunnel geschlossen, „durch die man dann faktisch nicht fahren kann, beispielsweise der Elbtunnel“ in Hamburg.

Der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert, empfiehlt, schon am Sonntag möglichst frühzeitig ans Ziel zu kommen. „Weil es durchaus Schichten geben kann, die schon ab Sonntagabend in den Montag hineingehen“, sagte er bei der Ankündigung des gemeinsamen Arbeitskampfs mit der Gewerkschaft Verdi in Berlin.

Koordination sorgt für Streik-Wucht

Auch wenn die einzelnen Tarifkonflikte nichts miteinander zu tun haben, entfaltet die Koordinierung der Streikaktivitäten eine große Wucht. Zum einen geht es um die Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Hier fordern Verdi und der Beamtenbund für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen 10,5 Prozent mehr Geld für ein Jahr, mindestens aber 500 Euro pro Monat. Zwei Verhandlungsrunden brachten bisher kein Ergebnis.

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Die Arbeitgeber hatten angeboten, die Entgelte in zwei Stufen um insgesamt fünf Prozent zu erhöhen und 2500 Euro Inflationsprämie zu zahlen, bei einer Laufzeit von 27 Monaten.

Darüber hinaus laufen im Organisationsbereich von Verdi noch örtlich Tarifverhandlungen für die Bodenverkehrsdienste an den Flughäfen sowie bundesweit für die Mitarbeiter der Luftsicherheit. Im öffentlichen Nahverkehr wird in den Bundesländern gestreikt, die eine Anbindung an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes haben oder in denen gerade über einen Tarifvertrag für den Nahverkehr verhandelt wird.

Die EVG fordert in bereits laufenden oder anstehenden Verhandlungen bei rund 50 Bus- und Bahnunternehmen zwölf Prozent mehr Geld, mindestens aber 650 Euro im Monat. Im Konflikt mit der Deutschen Bahn hat der Konzern in der zweiten Verhandlungsrunde fünf Prozent mehr Geld in zwei Stufen und ebenfalls 2500 Euro Inflationsprämie angeboten. Die Gewerkschaft hatte die Offerte als „Scheinangebot“ zurückgewiesen.

Zum Streik aufgerufen sind neben Beschäftigten der Deutschen Bahn und ihrer Busgesellschaften unter anderem auch Mitarbeiter von Transdev, AKN, Erfurter Bahn, Osthannoversche Eisenbahnen, Erixx, Vlexx, Eurobahn sowie der Länderbahn und anderen Gesellschaften.

Bahn und Flughafenverband üben scharfe Kritik

Die Deutsche Bahn kritisierte den flächendeckenden EVG-Warnstreik als grundlos und unnötig. „Jetzt streiken und dann vier Wochen lang nicht verhandeln, das kann nicht der Ernst der Gewerkschaft sein“, sagte Personalvorstand Martin Seiler. Der nächste Verhandlungstermin ist für den 24./25. April angesetzt. Seiler hatte die EVG schon im Vorfeld der massiven Streikankündigung aufgerufen, die Tarifgespräche „umgehend“ wieder aufzunehmen.

Der Konzern versprach, so bald wie möglich ausführlicher über die Warnstreik-Auswirkungen zu informieren. Fahrgäste, die für Montag oder Dienstag eine Fernreise gebucht haben, könnten das Ticket noch bis einschließlich zum 4. April flexibel nutzen, kündigte die Bahn an. Sitzplatzreservierungen könnten kostenlos storniert werden.

Auch der Flughafenverband übt scharfe Kritik. „Die Gewerkschaften verabschieden sich von der bewährten Tradition, dass in Deutschland Lösungen am Verhandlungstisch erreicht werden“, sagte ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. Die für Montag angekündigten Streikaktionen würden jedes vertretbare Maß sprengen. „Das hat nichts mehr mit einem Warnstreik zu tun. Vielmehr ist es der Versuch, per Generalstreik französische Verhältnisse in Deutschland einziehen zu lassen.“

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„Wer so handelt, handelt unverhältnismäßig und gefährdet die Akzeptanz für das Streikrecht“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Kampeter kritisierte: „Großstreiks, die ein Land lahmlegen sollen, sind keine Warnstreiks.“ Der BDA-Chef mahnte, der Kampf um Mitglieder dürfe die Tarifautonomie in Deutschland nicht radikalisieren. „Ein Blick nach Frankreich zeigt, wohin es führt, wenn man sich auf die schiefe Ebene begibt.“ In Frankreich wird vergleichsweise häufig gestreikt – zuletzt besonders heftig gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron.

Die Verhandlungsführerin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), Karin Welge, hatte den Gewerkschaften vorgeworfen, aus Gründen der Mitgliedergewinnung die Tarifkonflikte zu eskalieren. „Die Streiks an den Flughäfen oder in den Kitas sind ein Machthebel, den die Gewerkschaften bewusst nutzen“, sagte die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin dem Handelsblatt. „Aber sie müssen aufpassen, dass sie demokratische Rechte wie das Streikrecht nicht übermäßig ausreizen. Sonst nimmt irgendwann die Demokratie Schaden.“

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