Ärmere Länder fordern im Kampf gegen die Pandemie eine Patentfreigabe. Kanzlerin Merkel klammert ein besonders heißes Eisen in ihrer Video-Ansprache aus.
Tedros Adhanom Ghebreyesus
Der WHO-Generaldirektor kritisiert eine skandalöse globale Ungleichverteilung bei der Versorgung mit Impfstoffen.
Bild: AFP
Genf Angela Merkel fasste sich kurz – und ließ einiges aus. In ihrer Videoansprache zum Auftakt der 74. Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) machte sich die Bundeskanzlerin für ein Pandemieabkommen stark, das bislang nur eine Idee ist. Ein globaler Pakt könne die Kooperation der Länder verbessern und sie vor neuen Erregern schützen, so die Hoffnung.
„Auf die nächste Pandemie sollte die Welt möglichst gut vorbereitet sein“, erläuterte Merkel vor der Versammlung, die bis Dienstag kommender Woche tagt.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Weltgemeinschaft auf globale Gesundheitsgefahren nicht besonders gut vorbereitet ist und nationale Egoismen oft eine größere Rolle spielen als internationale Solidarität. Während viele ärmere Staaten noch auf Impfstoffe warten, verhängten reiche Nationen wie die USA Exportrestriktionen.
Ein besonders heißes Eisen fasste Merkel denn auch gar nicht erst an: den Patentstreit. In der Auseinandersetzung um den Schutz geistigen Eigentums auf Impfstoffe, Heilmittel oder Diagnostika verteidigen Deutschland, Großbritannien, die Schweiz und andere Industriestaaten seit Monaten Pharmafirmen wie Biontech.
Auch EU-Ratspräsident Charles Michel sieht in einem Aushebeln der Patente keine „Wunderlösung“. Ein Hauptargument der Patent-Verteidiger: Fallen die Eigentumsrechte, werden auch Anreize für Forschung und Entwicklung in der nächsten Pandemie wegfallen.
Doch während der ersten Stunden der Weltgesundheitsversammlung bestimmten Befürworter einer vorübergehenden Aufhebung des Patentschutzes den Ton – wie WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Der Äthiopier prangerte die „skandalöse“ globale Ungleichverteilung der Impfstoffe an. „75 Prozent der Vakzine sind in nur zehn Länder gegangen.“
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa betonte, nach einer „begrenzten“ Patentaufhebung könnten Entwicklungs- und Schwellenländer in die Produktion der Covid-19-Wirkstoffe einsteigen. Südafrika macht sich mit Indien für eine Patentfreigabe stark und wird von den USA unterstützt.
Eine Entscheidung darüber wird aber nicht in der WHO, sondern in der Welthandelsorganisation (WTO) fallen. Derzeit feilschen die Länder im sogenannten Trips-Rat, der über handelsbezogene Aspekte geistigen Eigentums wacht. Erschwert wird eine Einigung durch das traditionelle Konsensprinzip, wonach alle 164 WTO-Mitglieder einvernehmlich entscheiden sollen.
Doch machte Südafrikas WTO-Botschafterin Xolelwa Mlumbi-Peter gegenüber dem Handelsblatt klar, dass ihr Land und seine Verbündeten im Patentstreit notfalls eine Abstimmung in den WTO-Entscheidungsgremien beantragen könnten. Das WTO-Regelwerk sehe Voten durchaus vor.
„Wir haben diesen Punkt noch nicht erreicht“, sagte sie. Ziel sei es, den Konflikt ohne einen Showdown zu lösen. Falls es jedoch zur Stimmabgabe in der WTO kommen sollte, rechnen Diplomaten mit guten Chancen für Südafrika, Indien und ihre Unterstützer.
Ende vergangener Woche hatte der erste Gesundheitsgipfel der G20-Staaten nach den Worten von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen noch „ein klares Bekenntnis zum Multilateralismus“ und ein „klares Nein zu Gesundheitsnationalismus“ und Exportblockaden abgegeben.
Alle Länder hätten der Passage der Gipfelerklärung zu „offenen“ und „verlässlichen“ Lieferketten für Impfstoffe, Vorprodukte und medizinische Güter zugestimmt, betonte von der Leyen mit Blick etwa auf die USA oder Großbritannien.
Für neue internationale Spannungen könnte ein Bericht des „Wall Street Journal“ über den Ursprung des Corona-Erregers sorgen. Danach fragten laut US-Geheimdienstinformationen drei Wissenschaftler eines virologischen Instituts im chinesischen Wuhan bereits im November 2019 um eine Klinikbehandlung nach.
Die Forscher hätten Symptome wie bei Covid-19 und anderen saisonalen Erkrankungen aufgewiesen. Der Bericht könnte die Theorie unterstützen, wonach das Virus aus einem chinesischen Labor stammt.
Eine Ermittlerkommission der WHO hatte diese Option zwar unlängst so gut wie ausgeschlossen – doch die US-Regierung verlangt weitere Untersuchungen. Chinas Außenministerium wies den Bericht als unwahr zurück.
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