Deutschland schafft es mit Verzug, eine EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern umsetzen. Unternehmen müssen künftig auch auf anonyme Tippgeber reagieren, die Missstände aufdecken.
Marco Buschmann (FDP)
Der Bundesjustizminister meint: „Beschäftigte in Unternehmen und Behörden nehmen Missstände oftmals als erste wahr und können durch ihre Hinweise dafür sorgen, dass Rechtsverstöße aufgedeckt, untersucht, verfolgt und unterbunden werden.“ Damit übernähmen sie Verantwortung für die Gesellschaft und verdienten daher Schutz vor Benachteiligungen.
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Berlin Mit einem Jahr Verspätung soll der Bundestag an diesem Freitag neue Schutzregelungen für Hinweisgeber in Unternehmen und Behörden beschließen. Wer künftig zum Beispiel Korruption, Steuerbetrug oder die Verletzung von Umweltstandards aufdeckt, ist dann vor Repressalien geschützt.
Zuletzt hatte es im Rechtsausschuss noch Änderungen am Entwurf für das Hinweisgeberschutzgesetz gegeben, so etwa zum Umgang mit anonymen Meldungen. Bislang war vorgesehen, dass sich Unternehmen oder öffentliche Stellen mit anonymen Meldungen von Missständen hätten beschäftigen „sollen“. Nun ist vorgesehen, dass sich die Meldestellen damit beschäftigen „müssen“.
Neu ist durch den Antrag der Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP auch, dass Whistleblower „Äußerungen von Beamtinnen und Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen“, melden können, und zwar auch dann, wenn diese unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegen.
Die Koalitionsfraktionen verweisen auf aktuelle Diskussion um die „Entfernung von Extremisten aus dem öffentlichen Dienst, zum Beispiel von Verfassungsfeinden, die der sogenannten Reichsbürgerszene zuzurechnen sind“. Die Verfassungstreue sei insbesondere verletzt, wenn ein Beamter etwa die Existenz der Bundesrepublik Deutschland in Abrede stelle und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehne. „Er verletzt so seine gesetzlich normierte Verfassungstreuepflicht in schwerwiegender Weise“, heißt es.
Klargestellt wird, dass solche Äußerungen auch in Chats erfolgen könnten, mündlich oder in Form von Gebärden.
Eigentlich hätten die Regelungen bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. So sah es die zugrunde liegende EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern vor. Allerdings konnte sich die Vorgängerregierung von Union und SPD nicht auf eine gemeinsame Linie einigen, obwohl bereits ein fertiger Gesetzentwurf der damaligen Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) vorlag.
Die EU-Kommission hatte wegen der Verzögerung bereits ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Deutschland droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.
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Kritiker bemängeln, die Regelungen nützten in erster Linie Denunzianten, die jemanden gezielt anschwärzen wollten. Befürworter sehen in den Vorschriften einen wichtigen Schutz von Whistleblowern, durch die Betrugsfälle wie der Gammelfleischskandal, die Dieselaffäre oder der milliardenschwere Skandal rund um Wirecard schnell aufgedeckt werden könnten.
Denn aus Angst vor Repressalien wie Kündigung, Abmahnung, Versagung einer Beförderung, Disziplinarverfahren oder Mobbing halten sich potenzielle Hinweisgeber bislang häufig zurück.
Der mittlerweile zuständige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) meint: „Beschäftigte in Unternehmen und Behörden nehmen Missstände oftmals als Erste wahr und können durch ihre Hinweise dafür sorgen, dass Rechtsverstöße aufgedeckt, untersucht, verfolgt und unterbunden werden.“ Damit übernähmen sie Verantwortung für die Gesellschaft und verdienten daher Schutz vor Benachteiligungen.
Im Gesetzentwurf, den das Kabinett Ende Juli beschlossen hatte, heißt es, der Schutz von Whistleblowern sei bislang „lückenhaft und unzureichend“.
Geplant ist nun, dass alle Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine interne Meldestelle einrichten müssen, an die sich Hinweisgeber wenden können. Konzerne können eine gemeinsame interne Meldestelle schaffen.
Gammelfleischskandal
Befürworter sehen in den Vorschriften einen wichtigen Schutz von Whistleblowern, durch die Betrugsfälle wie der Gammelfleischskandal, die Dieselaffäre oder der milliardenschwere Skandal rund um Wirecard schnell aufgedeckt werden können.
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Hinweisgeber können sich aber auch an eine externe Meldestelle beim Bundesamt für Justiz (BfJ) wenden, wenn sie zum Beispiel kein Vertrauen zu ihrem Arbeitgeber haben. Das BfJ ist auch die Anlaufstelle für den öffentlichen Dienst.
Whistleblower sind in bestimmten Fällen auch geschützt, wenn sie mit den Missständen an die Öffentlichkeit gehen. Reagiert zum Beispiel die externe Meldestelle nicht innerhalb von drei Monaten auf die mitgeteilten Informationen, dürfen diese offengelegt werden. Auch wenn Gefahr im Verzug ist oder irreversible Schäden drohen, können Hinweisgeber die Straftaten oder Missstände direkt öffentlich machen.
Die Vorgaben aus Brüssel sahen vor, dass Hinweisgeber vor Repressalien geschützt sein sollen, wenn sie Verstöße gegen EU-Recht aufdecken. Zwar hat Buschmann schon weniger Tatbestände in den Gesetzentwurf aufgenommen als noch seine Vorgängerin Lambrecht. Dennoch umfasst der Anwendungsbereich auch die Meldung von Verstößen gegen bestimmtes nationales Recht – etwa bestimmte ordnungsrechtliche Regelungen, die bußgeldbewehrt sind und dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit dienen oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten.
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Konkret muss die Meldestelle eines Unternehmen Folgemaßnahmen wie interne Untersuchungen einleiten, wenn ein Hinweisgeber auf Straftaten oder Missstände aufmerksam macht. Das Verfahren kann aber auch aus „Mangel an Beweisen“ eingestellt werden.
Werden Whistleblower aktiv, gelten für sie künftig – anders als bislang – bestimmte Schutzregelungen. Erfolgt dann eine Benachteiligung im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, soll laut Gesetzentwurf vermutet werden, dass es sich um eine Repressalie handelt. „In diesem Fall hat die Person, die die hinweisgebende Person benachteiligt hat, zu beweisen, dass die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte oder dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte“, heißt es im Entwurf.
Der Anwendungsbereich ist weit gefasst: Geschützt sind zum Beispiel Arbeitnehmer, Beamte, Soldaten, Anteilseigner, Mitarbeiter von Lieferanten, Praktikanten und Personen, die bereits vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses Kenntnisse von Verstößen erlangt haben.
Erfolgen Repressalien, besteht eine Schadenersatzpflicht durch den Verursacher. Nach Änderungen im Rechtsausschuss können Whistleblower, die Repressalien erleiden, auch dann eine Entschädigung in Geld verlangen, wenn es sich nicht um einen Vermögensschaden handelt. Außerdem drohen Unternehmen Bußgelder, wenn sie keine interne Meldestelle einrichten oder deren Nutzung behindern.
Es ist aber auch Schadenersatz nach einer Falschmeldung vorgesehen: „Der Hinweisgeber ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen entstanden ist“, heißt es im Gesetzentwurf.
Die Pflichten zur Wahrung der Verschwiegenheit durch Rechtsanwälte bleiben ebenso bestehen wie jene für Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Angehörige anderer Heilberufe. Eine Ausnahme soll es für Tierärzte geben, soweit es um Verstöße gegen Rechtsvorschriften zum Schutz von gewerblich gehaltenen landwirtschaftlichen Nutztieren geht.
Bei der praktischen Umsetzung müssten sich Unternehmen nun vor allem die Frage stellen, auf welchem Weg Hinweisgebende Meldungen abgeben können sollen, erklärte Rechtsanwalt Florian Block von der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland: „Nicht zuletzt aufgrund der nun vorgesehenen Verpflichtung für Unternehmen, auch anonyme Hinweise zu bearbeiten und eine Kommunikation mit anonymen Hinweisgebern zu ermöglichen, dürften althergebrachte Meldewege, wie ein schlichter Briefkasten oder auch eine E-Mail-Adresse, nicht mehr ausreichen.“
Die Nichtregierungsorganisation „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ kritisierte trotz letzter Änderungen, dass Hinweise auf sonstiges Fehlverhalten wie etwa Machtmissbrauch nicht erfasst seien: „Es ist inakzeptabel, dass zum Beispiel Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nach dem Hinweisgeberschutzgesetz nicht gemeldet werden können.“ In der Praxis gebe es gerade im Bereich Diskriminierung und Belästigung viele unternehmensinterne Meldungen.
Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU), rechnete vor, dass rund 90.000 Unternehmen verpflichtet würden, interne Meldestellen einzurichten. Er kritisierte: „Gerade auf kleine und mittelständische Unternehmen kommen neue bürokratische Belastungen und zusätzliche Kosten zu.“ Ob im konkreten Fall ein Hinweisgeber tatsächlich geschützt sei und die Unternehmen ihren Pflichten nachgekommen seien, werde in Zukunft vor allem „die ohnehin überlasteten Gerichte“ beschäftigen.
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