Viele Arbeitsgeber wollen keine gesetzliche Verschärfung bei der Zeiterfassung. Arbeitsrechtler Vielmeier warnt aber davor, eine Regelung allein den Gerichten zu überlassen.
Arbeitszeiterfassung
In Unternehmen mit Mitbestimmung kann der Betriebsrat eine Zeiterfassung bereits verlangen.
Bild: dpa
Berlin Zusammen mit den Arbeitsrechtlern Julia Pfrogner und Volker Rieble führt Stephan Vielmeier die Kanzlei Vielmeier Rieble in München.
Das EuGH-Urteil hat für einigen Wirbel in Deutschland gesorgt. Zu Recht?
Es hat auch unter Juristen für einigen Wirbel gesorgt. Dass die europäische Arbeitszeitrichtlinie eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung enthalten soll, haben weder die Spanier so gesehen noch die Engländer und viele andere. Die Deutschen haben sich allerdings damals in ihrer Stellungnahme sehr bedeckt gehalten.
Welche Konsequenzen hat das Urteil ganz praktisch?
Da, wo Mitbestimmung herrscht, wird die Umstellung wohl nicht so groß sein. Denn laut Betriebsverfassungsgesetz kann der Betriebsrat heute schon verlangen, dass Arbeitszeit erfasst wird. Es gibt aber viele Branchen und Unternehmen, wo Beginn, Ende und genaue Lage der Arbeitszeit eben nicht erfasst werden, und wo es meist auch kaum Konsequenzen hat, wenn gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen wird. Dort wird die Umstellung groß sein.
Das heißt, der Gesetzgeber muss handeln?
Es gibt durchaus namhafte Juristen, die sagen, dass das EuGH-Urteil unmittelbar gilt – egal, was das nationale Recht sagt. Hier habe ich persönlich meine Zweifel. Das Urteil macht aus meiner Sicht aber schon sehr deutlich, dass zumindest das Wie einer Arbeitszeiterfassung im Ermessen der EU-Staaten liegt – also die konkrete Ausgestaltung. Und da gibt es große Spielräume.
Und wenn der Gesetzgeber nicht handelt?
Meine Sorge ist, dass sich dann irgendwann ein Kläger findet, der versucht, die Sache gerichtlich ganz nach oben zu treiben. Und dann wird sich irgendwann ein Arbeitsgericht, ein Landesarbeitsgericht und schließlich das Bundesarbeitsgericht mit dem Fall befassen. Und wenn das dann zu dem Schluss kommt, dass das EuGH-Urteil umzusetzen ist, kommt eben nichts mit Augenmaß heraus, sondern eine ganz undifferenzierte und maximal illiberale Lösung. Und dann haben wir den Salat.
Die Arbeitgeber stehen einer gesetzlichen Lösung skeptisch gegenüber …
Ich aus ihrer Sicht würde meine Hoffnungen eher auf eine gesetzliche Lösung setzen als auf eine faktische Umsetzung durch die Rechtsprechung. Ohne Gesetz können sich die Gewerkschaften und die SPD ganz entspannt zurücklehnen, denn dann haben wir möglicherweise irgendwann eine von den Gerichten bestimmte maximale Erfassungspflicht, die man politisch so nie durchgesetzt hätte.
Wird Vertrauensarbeitszeit weiter möglich sein?
Auch hier wird man Lösungen finden, etwa einen Zettel, auf dem die Arbeitszeit notiert wird, und am Ende der Woche zeichnet der Arbeitnehmer das ab. Aber die Arbeitszeit gar nicht zu erfassen, wird nach dem EuGH-Urteil nach Ansicht vieler Juristen schwierig.
Ist es möglich, die Aufzeichnung an die Beschäftigten zu delegieren?
Das ist die Lösung, die der Passauer Professor Frank Bayreuther in seinem Gutachten für das Bundesarbeitsministerium vorschlägt. Wenn man darauf eine zusätzliche behördliche Befugnis aufsattelt, dass die Behörde auch mehr anordnen kann, wenn sie Missbrauch feststellt, könnte das funktionieren. Mir persönlich geht es um Augenmaß. Man muss nicht bei jedem Arbeitgeber, der sich ehrlich verhält, draufhauen. Umgekehrt muss man aber Schlawiner, die es mit der Arbeitszeit nicht so genau nehmen, auch zu strengerer Erfassung verpflichten können.
Könnte man bei der Erfassungspflicht nach der Lohnhöhe differenzieren und Gutverdiener ausnehmen?
Es ist eine langgehegte Forderung von arbeitgebernahen Juristen, bei Gutverdienern das Arbeitsrecht zu lockern – so wie man es gerade beim Kündigungsschutz für Top-Banker getan hat. In der Schweiz etwa wird so etwas auch diskutiert. Trotzdem sind viele Juristen der Meinung, dass es auch für Gutverdiener keine Lösung ganz ohne Arbeitszeiterfassung geben kann. Die Frage ist nur, ob sie so strikt sein muss wie bei Menschen am unteren Rand der Lohnskala.
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