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05.07.2022

16:47

Zuwanderung

„Profitieren werden unzählige Unternehmen": Ampelkoalition bringt erstes Migrationspaket auf den Weg

Von: Dietmar Neuerer, Frank Specht

Der Gesetzentwurf, den das Kabinett an diesem Mittwoch verabschieden will, sieht unter anderem eine Bleibeperspektive für langjährig nur geduldete Ausländer vor. Auch die Erwerbsmigration wird erleichtert.

Migration imago images / photothek

Geflüchteter bei der Ausbildung in einer Lehrwerkstatt

Die Koalition will Geduldeten eine Bleibeperspektive eröffnen.

Berlin Die Bundesregierung will Ausländern, die schon mehr als fünf Jahre als Geduldete in Deutschland leben, eine dauerhafte Bleibeperspektive in Deutschland eröffnen. Der Gesetzentwurf von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht soll am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedet werden.

Die Ampelkoalition erhofft sich dadurch eine Linderung der akuten Personalengpässe in vielen Bereichen, wie die Migrationsexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Filiz Polat, dem Handelsblatt erklärte: „Profitieren werden auch unzählige Unternehmen, gerade aus dem Mittelstand, die händeringend Arbeitskräfte suchen und schon seit Längerem auf pragmatische Verfahren im Aufenthaltsrecht dringen.“

In der Großen Koalition war der „Spurwechsel“ vom Asylverfahren in die Erwerbsmigration noch ein großes Streitthema zwischen den Arbeitsmarkt- und den Innenpolitikern. Letztere fürchteten, dass die Perspektive auf einen Job in Deutschland ein zusätzlicher Anreiz für Menschen sein könnte, ihre Heimat zu verlassen.

Geduldete sind Ausländer, die nicht als Asylberechtigte oder Flüchtlinge anerkannt wurden, für die aber ein Abschiebeverbot greift, weil ihnen beispielsweise in der Heimat Folter oder andere unmenschliche Behandlung drohen. Nach dem Gesetzentwurf, der dem Handelsblatt vorliegt, lebten Ende vergangenen Jahres rund 242.000 geduldete Ausländer in Deutschland, davon 136.605 schon seit mehr als fünf Jahren.

Letztere sollen, sofern sie nicht straffällig geworden sind oder die Abschiebung durch falsche Angaben zu ihrer Identität verhindert haben, nun die Chance erhalten, innerhalb eines Jahres die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen. Dazu gehören vor allem die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts und ausreichende Sprachkenntnisse.

„Die Lebensplanung für langjährig in Deutschland aufhältige Menschen soll verlässlicher werden, wenn sie bestimmte Integrationsvoraussetzungen erfüllen“, heißt es im Entwurf. Werden die Voraussetzungen nicht innerhalb eines Jahres erfüllt, gilt wieder der Geduldetenstatus, bei dem die Abschiebung droht.

Grafik

SPD, Grüne und FDP haben im Koalitionsvertrag einen „Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik“ vereinbart, „der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird“. Das jetzt vorgelegte erste Migrationspaket der Ampel sieht auch Erleichterungen für die Erwerbsmigration vor, indem befristete Regelungen aus dem im März 2020 in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz entfristet werden.

Dazu gehört etwa die Regelung, dass Fachkräften mit Berufsausbildung, die in Deutschland einen Arbeitsplatz suchen, für bis zu sechs Monate eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Außerdem erleichtert es die Koalition ausländischen Fachkräften und IT-Spezialisten, ihre Familien nachzuholen. Um Geflüchtete besser zu integrieren und ihre beruflichen Perspektiven zu verbessern, soll zudem der Zugang zu Sprach- und Integrationskursen ausgeweitet werden.

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Härte will die Koalition dagegen gegenüber Ausländern zeigen, die Straftaten begangen haben. So enthält der Gesetzentwurf auch Regelungen, um Ausweisungen konsequenter umzusetzen. Ein zweites Migrationspaket will die Bundesregierung dann im Herbst vorlegen, wie Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) jüngst im Interview mit dem Handelsblatt erklärt hatte. Laut Koalitionsvertrag will die Ampel das Einwanderungsrecht um ein Punktesystem ergänzen.

Kommunen warnen vor „Pull-Effekt“ in die Sozialsysteme

Darauf drängt jetzt die FDP. „Um den akuten Arbeitskräftemangel in Deutschland in den Griff zu bekommen, ist der Gesetzentwurf noch nicht der entscheidende Schritt“, sagte Fraktionsvize Konstantin Kuhle dem Handelsblatt. „Dazu bedarf es einer gezielten Einwanderungsoffensive.“

Der FDP-Politiker nannte die im Koalitionsvertrag vorgesehene Einführung einer Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems, um Arbeitskräften einen gesteuerten Zugang zu, Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Deutschland müsse endlich dem Vorbild erfolgreicher Einwanderungsländer wie Kanada folgen, betonte Kuhle. Die Koalition müsse daher „noch dieses Jahr ein umfassendes Einwanderungsgesetz auf den Weg bringen“.

Der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm warf der Ampel-Koalition vor, mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht Personen zu belohnen, die nicht verfolgt oder schutzbedürftig seien, ausreisen müssten und sich trotzdem beharrlich weigerten. „Damit schafft die Ampel-Regierung in einer krisengeschüttelten Zeit massive Anreize für illegale Migration nach Deutschland“, sagte Throm dem Handelsblatt. Letztlich bedeute das Vorhaben eine Abkehr vom Prinzip „Migration zu ordnen, steuern und begrenzen“.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, begrüßte das erste Migrationspaket der Ampelregierung, forderte aber weitere Erleichterungen bei der Zuwanderung, weil davon Deutschlands Wohlstand abhänge: „Deswegen müssen wir die Bedingungen zur Einwanderung und Arbeitsaufnahme vereinfachen, um attraktiver für neue Arbeitskräfte zu werden.“

Insbesondere brauche es eine schnellere Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse: „Das ist ein Nadelöhr bei der Zuwanderung gerade von besonders Qualifizierten.“ Gleichzeitig gelte es aber, „Pull-Effekte in unsere Sozialsysteme zu vermeiden“, betonte Landsberg.

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