Deutsche Unternehmen produzieren wegen teurem Gas, Öl und Strom bereits weniger. Die Wirtschaft fordert mehr Freiheit für weitere Einsparungen.
Hochofen des Stahlwerks Thyssen-Krupp in Duisburg
Aufgrund der steigenden Energiekosten und des hohen Gasverbrauchs stellt ein Teil der energieintensiven Wirtschaft bereits die Produktion ein.
Bild: imago images/simme
Berlin Wegen der stark gestiegenen Energiepreise geben immer mehr Unternehmen ihre Produktion auf oder haben ihren Betrieb bereits eingeschränkt. Das zeigt eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) unter 3500 Unternehmen, die dem Handelsblatt vorliegt.
16 Prozent der Industriebetriebe wollen demnach ihre Produktion zurückfahren. Knapp ein Viertel davon hat das nach eigenen Angaben bereits realisiert, ein weiteres Viertel ist gerade dabei.
Etwa die Hälfte der Unternehmen gibt an, entsprechende Schritte noch zu planen. „Das sind alarmierende Zahlen“, sagt DIHK-Präsident Peter Adrian. „Vielen Unternehmen bleibt nichts anderes übrig, als zu schließen oder die Produktion an andere Standorte zu verlagern.“
Ökonomen werten das aber auch als sinnvolle Entwicklung beim Energiesparen, insbesondere von Gas. „Solange alle den gleichen Gaspreis zahlen, heißt das, dass die Produktion zurückgefahren wird, auf die wirtschaftlich am ehesten verzichtet werden kann“, erklärt der Bonner Wirtschaftswissenschaftler Christian Bayer.
Durch einen geringeren Verbrauch können die Speicher schneller befüllt werden und die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass es im Winter zu einem Gasmangel in Deutschland kommt. Diese Gefahr ist angesichts der Drohungen Russlands, den Gashahn wieder abzudrehen, weiter nicht gebannt.
Besonders stark betroffen ist der DIHK-Auswertung zufolge die energieintensive Wirtschaft. Dazu gehören unter anderem die Branchen Stahl, Glas und Papier. 32 Prozent dieses Sektors wollen die Produktion zurückfahren oder einstellen. Acht Prozent haben das bereits getan.
Für DIHK-Präsident Adrian ist die Sache klar. „Das, was wir aktuell an Rückgang des Gasverbrauchs in der Industrie beobachten, geht vor allem auf die Stilllegung von Maschinen und Anlagen zurück“, sagt er. Dabei gebe es durchaus Potenzial, Energie zu sparen, indem man sie effizienter einsetzt. Doch da stünden vielfach gesetzliche Regularien im Weg. „Die Politik lässt bei all dem viel zu viel Zeit vergehen.“
Adrian hat deshalb nach eigener Aussage im Kanzleramt vorgeschlagen, einen gesetzlichen Ausnahmeparagrafen zu schaffen, der bestimmte Formalien vorübergehend außer Kraft setzt. Als Beispiele nannte er die Notwendigkeit neuer Genehmigungen, wenn Firmen ihre Anlagen von Gas auf Öl umstellen, oder Restriktionen bei der Installation von Photovoltaik.
Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, sieht noch einen weiteren Punkt: „Das betrifft besonders Fragen zu Raumtemperaturen – im Winter, aber auch bei der Kühlung im Sommer.“
Das geltende Arbeitsrecht sieht Richtwerte für Temperaturen am Arbeitsplatz vor. Demnach sollen die unteren Mindestwerte der Lufttemperatur je nach Schwere der Tätigkeit zwischen zwölf und 20 Grad Celsius betragen.
Produktion
Das geltende Arbeitsrecht sieht Richtwerte für Temperaturen am Arbeitsplatz vor.
Bild: IMAGO/Kirchner-Media
Zwölf Grad gelten für harte körperliche Arbeiten, für physisch weniger Anstrengendes sind es 17 bis 20 Grad. „Hier lässt sich viel Energie einsparen – was natürlich nicht heißt, dass unsere Beschäftigten bald im Kalten arbeiten“, sagte Kampeter der dpa. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte am Donnerstag neue Maßnahmen zum Energieeinsparen vorgestellt.
Im Winter soll in Bürogebäuden und öffentlichen Einrichtungen nicht mehr überall geheizt werden. Das gilt für die Räume, in denen man sich nicht regelmäßig aufhält. Das Ministerium nennt Flure, große Hallen, Foyers oder Technikräume.
>>Lesen Sie hier: Habeck will mit Maßnahmen-Paket Gaskrise verhindern
Sechs Monate lang soll das so bleiben. Einer allgemeinen Absenkung der Temperaturvorgaben für Arbeitgeber hat Habeck bislang aber eine Absage erteilt. Stattdessen sollen Unternehmen, die mehr als zehn Gigawattstunden im Jahr verbrauchen, verpflichtet werden, bestimmte Investitionen in die Energieeffizienz zu tätigen. Der Wirtschaftsminister will verordnen, dass geplante Maßnahmen, die sich innerhalb von zwei Jahren wirtschaftlich rechnen, jetzt auch umgesetzt werden müssen.
Ab Oktober soll zudem das angekündigte Auktionsmodell für Gas starten. Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sollen ab dem 15. September erste Angebote abgegeben werden können. Das Modell soll industriellen Verbrauchern Anreize bieten, Gas einzusparen.
Verbraucht ein Unternehmen eine bestimmte Menge Gas nicht, das es eingekauft hat, bekommt es dafür ein Entgelt. Dieses Gas kann dann eingespeichert werden. Das Auktionsmodell sei ein „großer Schritt“, sagt der Ökonom Benjamin Moll von der London School of Economics. Doch hätte dieser vor dem Herbst kommen müssen.
>>Lesen Sie hier: Rettungspaket der Bundesregierung für Uniper steht
Nach Handelsblatt-Informationen laufen in der Bundesnetzagentur darüber hinaus Planungen, ein Auktionsmodell für den Fall eines Gasmangels zu schaffen. Die zu knappen Mengen an Gas würden dann versteigert werden, um zu erkennen, welche Firmen es am dringendsten benötigen.
Das wäre ein alternatives Verfahren zur bislang vorgesehenen staatlichen Zuteilung des Gases im Mangelfall. Ob und wann dieses Auktionsmodell zum Einsatz kommt, ist noch unklar.
Erstpublikation: 24.07.22, 15:22 Uhr.
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