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02.06.2022

04:00

Energiesicherheit

Pipeline durchs Mittelmeer: Wie Spanien Europa mit Gas versorgen will

Von: Sandra Louven, Christian Wermke

Spanien besitzt den größten Umschlagplatz für Flüssiggas in der EU. Nun will das Land in Rekordzeit neue Leitungen bauen, um die Abhängigkeit des Kontinents von Russland zu reduzieren.

Spanien verfügt über große LNG-Lagerkapazitäten. via REUTERS

LNG-Tanker

Spanien verfügt über große LNG-Lagerkapazitäten.

Madrid, Rom Spanien rückt mit einem neuen Pipelineprojekt in den Fokus der europäischen Energiepolitik. Um Gas ins Ausland zu transportieren, ist eine neue Unterwasser-Leitung geplant, die von Barcelona durch das Mittelmeer nach Norditalien verläuft. Entsprechende Pläne bestätigte der Chef des spanischen Gasnetzbetreibers Enagás, Arturo Gonzalo, vor Auslandskorrespondenten in Madrid.

Enagás und der italienische Betreiber SNAM lassen derzeit in einer Machbarkeitsstudie die technischen Details prüfen, in drei Monaten sollen die Ergebnisse für das Projekt vorliegen, das rund 2,5 bis drei Milliarden Euro kosten soll.

Im Zuge des Ukrainekrieges versuchen die Staaten der EU verzweifelt, Ersatz für russische Energielieferungen zu finden. Deutschland etwa hofft auf langfristige Lieferungen von Flüssiggas aus Katar und führte im Mai intensive Gespräche mit Scheich Tamim bin Hamad bin Khalifa Al Thani.

Nun richten sich die Hoffnungen auch auf Spanien, denn das Land besitzt EU-weit die größten Kapazitäten für die Regasifizierung von Flüssiggas (LNG). Dieser Vorgang ist nötig, um den per Schiff gelieferten Energieträger nutzen zu können. Enagás-Chef Gonzalo sagte, durch die Mittelmeer-Pipeline werde das Gas von Spanien „in das Herz Europas gelangen“.

Von Norditalien läuft die Transitgas-Pipeline in die Schweiz und verbindet das italienische Verkehrsnetz mit dem deutschen und dem französischen. Eine weitere Pipeline verbindet Italien mit Österreich und wurde bislang für den Transport von Gas aus Russland genutzt.

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Die Mittelmeer-Pipeline könne schon „in einem Jahr fertig sein und in ein bis zwei Jahren funktionieren“, erklärt der Enagás-Chef. SNAM-Chef Stefano Vernier ergänzt, die Verbindung werde eine jährliche Kapazität von 15 bis 30 Milliarden Kubikmetern Erdgas erreichen.

Pläne für die 700 Kilometer lange Pipeline gibt es schon seit Jahren, bislang verstaubten sie aber in der Schublade. Neuen Schub bekam das Projekt durch die Energiesanktionen im Zuge des Russlandkriegs.
Die Kapazitäten von Spanien sind enorm: Das Land besitzt 34 Prozent aller Regasifizierungsanlagen in der EU sowie 45 Prozent der Lagerkapazitäten an Flüssiggas-Terminals.

Spanien könnte dem Rest Europas sofort 20 Milliarden Kubikmeter Gas zur Verfügung stellen. „Das ist bereits ein relevanter Teil der Lösung“, sagt Enagás-Chef Gonzalo. Die EU importierte im vergangenen Jahr 155 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland.

Spanien selbst muss sich vor den Ausfällen weniger fürchten als viele andere Staaten des Kontinents. Das Land bezog 2021 nur zehn Prozent seiner Gasimporte aus Russland, weil es in der komfortablen Situation ist, neben Flüssiggas-Terminals auch eine direkte Pipeline zum großen Erdgasproduzenten Algerien zu betreiben.

Bislang jedoch konnten andere Staaten der EU jedoch nur unzureichend vom Energiereichtums Spaniens profitieren: Es fehlte eine Anbindung der Iberischen Halbinsel an den Rest Europas via Pipelines: Zwar existieren zwei Gasleitungen nach Frankreich, ihre Kapazitäten sind mit insgesamt sieben Milliarden Kubikmetern aber beschränkt.

Spanien will Europa aus der Abhängigkeit von russischem Gas helfen. Reuters

LNG-Terminal in Spanien

Spanien will Europa aus der Abhängigkeit von russischem Gas helfen.

Das soll sich in naher Zukunft ändern, und zwar nicht nur durch die Mittelmeer-Pipeline. Spanien plant darüber hinaus noch eine weitere Verbindung nach Frankreich namens Midcat. Da die über die Pyrenäen laufen müsste, würde der Bau allerdings länger dauern. Für die sieben Milliarden Kubikmeter Gas, die Midcat transportieren soll, veranschlagt Gonzalo eine Bauzeit von rund zweieinhalb Jahren.

Auch das Konzept für diese Pipeline ist nicht neu: Die ersten 80 Kilometer wurden bereits vor Jahren verbaut. 2019 wurde Midcat eingestellt, weil Spanien und Frankreich es nicht für wirtschaftlich hielten.

Die russische Invasion in der Ukraine ist aber nicht der einzige Grund für die Reaktivierungen der Pläne: Die neuen Leitungen sollen perspektivisch auch grünen Wasserstoff von Spanien nach Nordeuropa transportieren. Spanien verfügt über viel Sonne, Wind und freie Flächen und kann so wettbewerbsfähig diese Art des Wasserstoffs herstellen.

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Die Regierung in Madrid sieht darin eine große Chance und will zu einem der führenden Exporteure von Wasserstoff werden, der der große Hoffnungsträger für die Energiewende ist.

Technisch würden die neuen Leitungen vom ersten Tag an in der Lage sein, auch 100 Prozent Wasserstoff zu transportieren, sagte Enagás-Chef Gonzalo. Da Wasserstoff eine geringere Dichte als Erdgas besitzt, muss auch der Stahl der Pipelines für diese Energieform geeignet sein. Einige Leitungen sind bereits voll für Wasserstoff einsetzbar, die älteren müssten möglicherweise beschichtet werden, um sie für den Transport von reinem Wasserstoff nutzen zu können.

Auch die Kompressoranlagen, die das Gas in den Transportnetzen immer wieder verdichten, um den optimalen Druck aufrechtzuerhalten, müssten für Wasserstoff umgebaut werden. Wichtig ist sowohl Gonzalo als auch der spanischen Regierung, dass die Kosten für die Pipelines nicht die spanischen Verbraucher zahlen, sondern die EU. Schließlich profitierten davon vor allem andere Länder, heißt es in Madrid.

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