Deutlicher Gegenwind für den Anti-Europa-Kurs der AfD: Laut einer Studie sehen viele Deutsche einen großen Nutzen in der EU – sowohl politisch als auch wirtschaftlich.
Europafahne.
76 Prozent der Befragten sind danach der Meinung, dass Deutschland seine politischen Ziele eher mit als ohne die EU erreichen kann.
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Berlin Die Botschaften, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jüngst anlässlich seiner Tour bei den östlichen EU-Partnern verkündete, waren klar und deutlich: Europa müsse in diesen rauer werdenden Zeiten Einigkeit zeigen. Bei den Wahlen in wenigen Wochen komme es darauf an, dass die Bürger die pro-europäischen Kräfte stärken. Steinmeier sorgt sich, weil auch Kräfte zur Wahl stünden, „die Europa grundsätzlich infrage stellen und den Rückzug ins Nationale propagieren“. Die Warnung hat einen realen Hintergrund.
Rechtspopulisten auf europäischer Ebene sind derzeit noch zersplittert, doch soll es eine neue vereinigte Rechte geben. Zumindest wenn es nach der AfD und Italiens Innenminister Matteo Salvini geht. Auch andere Rechtsparteien wollen sich dieser Allianz anschließen. „Das Einzige, was sie eint, ist die Ablehnung der EU“, stellt der Politologe Hans Vorländer im Deutschlandfunk nüchtern fest. Der Experte hat damit einen wunden Punkt der Populisten getroffen. Denn was diese wollen, eine Abkehr von Europa, das wollen viele Europäer eben nicht.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung und des Progressiven Zentrums, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Für die Untersuchung mit dem Titel „Vom Zahlmeister zum Zukunftsmeister - Ein neues Selbstverständnis Deutschlands in der EU“ hat das Meinungsforschungsunternehmen Civey online 5.000 Personen in Deutschland befragt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren.
Den Nutzen der EU sehen die Deutschen demnach in erster Linie politisch und in zweiter Linie wirtschaftlich. 76 Prozent der Befragten sind danach der Meinung, dass Deutschland seine politischen Ziele eher mit als ohne die EU erreichen kann. 66 Prozent glauben, dass Deutschland unterm Strich wirtschaftlich mehr Vor- als Nachteile von der EU hat.
Überraschend ist etwa folgender Befund: Eine Mehrheit von 61 Prozent hält den finanziellen Beitrag Deutschlands zum EU-Budget nicht für zu hoch. Davon meinen 51 Prozent, dass der Beitrag angemessen ist und 9 Prozent halten ihn für zu niedrig.
Während die AfD Vorurteile schürt, meint eine große Mehrheit der Bundesbürger, Deutschland erreiche seine politischen Ziele eher mit als ohne die EU.
In ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, die Europäische Union finanziell zu stärken, „damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann“. Über Details schweigt sich die Bundesregierung aber aus. Wohl auch, weil Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) den großen EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 erst mit der nächsten EU-Kommission verhandeln will.
Für Deutschland sind die Haushaltsverhandlungen von besonderer Bedeutung. Die Bundesrepublik trägt als größter Nettozahler der Union rund 20 Prozent zum EU-Etat bei. Die größten Brocken im Haushalt sind Zahlungen an Landwirte und vergleichsweise arme Regionen in den EU-Ländern. Zudem finanziert die EU zum Beispiel Forschungsvorhaben und Projekte zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.
Ellen Ueberschär, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, sieht indes kritisch, dass der deutsche Europadiskurs bis heute auch von der These geprägt sei, Deutschland sei „Zahlmeister Europas“ und tue bereits mehr als genug für die EU. Das sei aber, betont sie, sei „ein Mythos, der nicht stimmt“. Pro Kopf zahlten die Bundesbürger nicht mehr als andere in den EU-Haushalt. Zudem, so Ueberschär, profitiere Deutschland als Exportnation überdurchschnittlich vom Binnenmarkt.
Auch die Autoren der Studie, Johannes Hillje und Christine Pütz, betonen mit Blick auf die Umfrageergebnisse, dass die Zahlmeisterthese im Widerspruch zu den Einstellungen in der deutschen Bevölkerung stehe. „Die Mehrheit der Deutschen reflektieren die EU-Mitgliedschaft weit über den wirtschaftlichen Nutzen hinaus und wünschen sich mehr politisches und finanzielles Engagement von Deutschland und den EU-Partnern“, so Hillje und Pütz.
Eine klare Mehrheit der Deutschen von jeweils über 75 Prozent wünscht sich zudem künftig ein kooperativeres und aktiveres Auftreten Deutschlands in der EU. Nur 22 Prozent präferieren ein dominantes Auftreten gegenüber den anderen EU-Ländern und knapp 20 Prozent ein weniger aktives Verhalten.
„Die Ergebnisse sind ein klarer Appell, Zurückhaltung und Stillstand in der deutschen Europapolitik der letzten Jahre nicht länger auf die Wähler zu schieben“, resümiert Böll-Stiftung-Vorstand Ueberschär. „Die deutsche Europapolitik muss vielmehr mit konkreten Strategien in den zukunftsbestimmenden Politikfeldern die Glaubwürdigkeit des europäischen Versprechens von Frieden, Freiheit und Wohlstand wiederherstellen.“ Das sei die zentrale Herausforderung künftiger Europapolitik, gerade auch in Deutschland.
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