PremiumDie Bundesregierung hat entschieden: Der chinesische Konzern wird beim Aufbau neuer Netze nicht pauschal ausgeschlossen, dürfte aber kaum noch zum Zuge kommen.
5G-Mobilfunkmast
Berlin geht mit dem zweigleisigen Genehmigungsverfahren einen Weg, der sich von den 5G-Entscheidungen wichtiger Partnerländer unterscheidet.
Bild: Reuters
Berlin Fast zwei Jahre hat die Bundesregierung über die Sicherheitsvorschriften für das 5G-Netz gestritten, jetzt gibt es eine Einigung: Der chinesische Technologieanbieter Huawei wird nicht pauschal ausgeschlossen, die Nutzung von Huawei-Komponenten aber stark eingeschränkt. Das erfuhr das Handelsblatt aus den beteiligten Ministerien. Regierungsintern wird damit gerechnet, dass auf die Telekommunikationsanbieter jetzt Milliardenkosten zukommen.
Die Bestimmungen sollen im IT-Sicherheitsgesetz 2.0 geregelt werden. Der überarbeitete Entwurf wird derzeit finalisiert, im November soll sich das Kabinett damit befassen. Die wichtigsten Punkte konnten vorab geklärt werden: Demnach schwebt der Regierung ein zweistufiges Verfahren vor, bei dem eine technische Prüfung einzelner Bauteile mit einer politischen Bewertung der Vertrauenswürdigkeit von Herstellern kombiniert wird. Berlin will verhindern, dass das neue Mobilfunknetz für Sabotageakte missbraucht wird.
Kritische Komponenten sollen vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert werden. Parallel dazu fordert die Regierung eine Vertrauenswürdigkeitserklärung der 5G-Lieferanten an. Deren Glaubwürdigkeit soll mithilfe nachrichtendienstlicher Informationen von den Ministerien – Innen, Außen, Wirtschaft und womöglich dem Kanzleramt – überprüft werden.
Nur wenn alle zustimmen, dürfen Produkte eines Herstellers verbaut werden. Martin Schallbruch, IT-Experte an der Hochschule ESMT, sagt: „De facto kommt das Verfahren einem Huawei-Ausschluss gleich.“
Die Huawei-Debatte ist nicht von der Diskussion über den chinesischen Überwachungsstaat zu trennen. Das Misstrauen, das dem Unternehmen in vielen westlichen Ländern entgegenschlägt, speist sich vor allem aus den Sicherheitsgesetzen der Volksrepublik. Diese zwingen chinesische Unternehmen dazu, sensible Informationen mit den Sicherheitsorganen zu teilen.
Das Auswärtige Amt stuft den Einsatz chinesischer Technologie im deutschen 5G-Netz als zu riskant ein: „Die Vertrauenswürdigkeit chinesischer Unternehmen ist im Zusammenhang mit den Sicherheitserfordernissen beim Aufbau von 5G-Netzen nicht gegeben“, hieß es einem internen Papier, über das das Handelsblatt zu Jahresbeginn berichtete.
Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) warnte wiederholt vor chinesischer Netztechnologie: Seine Behörde sei zu dem Schluss gekommen, dass die deutsche Infrastruktur „kein tauglicher Gegenstand ist für einen Konzern, dem man nicht voll vertrauen kann“, sagte BND-Präsident Bruno Kahl Ende 2019 im Bundestag.
Als größte Gefahr gilt, dass das 5G-Netz für Sabotage-Aktionen gegen wichtige Infrastrukturen und gegen Unternehmen genutzt werden könnte. Die Mobilfunknetze der fünften Generation ermöglichen eine ultraschnelle Datenübertragung und geringe Reaktionszeiten.
Sie dürften daher eine neue Ära der Vernetzung einleiten, könnten selbstfahrenden Autos zum Durchbruch verhelfen und vollautomatische Lenkung von Fabriken ermöglichen. Die deutsche Wirtschaft hofft auf einen Produktivitätsschub.
Um den Sicherheitsbedenken Rechnung zu tragen, hat sich die Regierung nun darauf verständigt, die „gesamtpolitische Situation“, in der Technologielieferanten wie Huawei operieren, stärker zu berücksichtigen. Konkret geht es dabei vor allem um den Einfluss der chinesischen Regierung und der Kommunistischen Partei auf Unternehmen und ihre Produkte.
Für Huawei ist das eine schlechte, für die skandinavischen Netzausrüster Nokia und Ericsson dagegen eine gute Nachricht: Sie kommen als Alternative zu Huawei infrage und gelten gemeinhin als vertrauenswürdig.
Die Restriktionen des IT-Sicherheitsgesetzes beziehen sich auf „kritische Komponenten“. Welche Produkte darunterfallen, wird ständig der technischen Entwicklung angepasst. „Kritische Komponenten“ finden sich nicht nur im Kernnetz, wo die Datenströme der Mobilfunkanbieter zusammenlaufen, sondern auch im sogenannten Zugangsnetz.
Dahinter steht die Einsicht, dass sich bei 5G die Datenverarbeitung zunehmend in die äußeren Bereiche der Netzinfrastruktur verlagert, also hin zu Basisstationen und perspektivisch auch zu Antennen. Erst das ermöglicht die höheren Geschwindigkeiten und geringeren Latenzzeiten.
Huawei ist nicht irgendein chinesisches Unternehmen, sondern der Stolz der chinesischen IT-Wirtschaft. Besonders Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatten sich lange gegen strenge Vorgaben für die chinesischen Anbieter gewehrt, unter anderem, weil sie die Reaktion Pekings fürchteten: Chinas Botschafter hat mit Vergeltungsmaßnahmen gegen deutsche Autokonzerne gedroht, sollte Huawei vom Netzausbau ausgeschlossen werden.
Im Handelsblatt-Interview betonte Altmaier noch vergangene Woche: „Ich möchte in der internationalen Handelspolitik keinen Protektionismus.“ Auf Nachfragen zum Stand der Regierungsgespräche reagierte er schmallippig. Der Grund dürfte sein, dass sein Haus in der finalen Entscheidungsfindung zwischen Innenministerium und Auswärtigem Amt übergangen wurde.
Bei der Einladung für das Treffen der beteiligten Ministerien habe es ein „Büroversehen“ gegeben, heißt es in Regierungskreisen – der Vertreter des Wirtschaftsministeriums fehlte deshalb in der entscheidenden Sitzung.
Die erzielte Einigung ist nun ein typisch-deutscher Regierungskompromiss: ein kompliziertes bürokratisches Verfahren, das zwar den Weg zu einer erheblichen Verringerung des Anteils chinesischer Technologie in den deutschen Mobilfunknetzen vorzeichnet, aber explizite Festlegungen vermeidet. Kein dezidiertes Huawei-Verbot also und auch keine pauschale Einstufung chinesischer Hersteller als Hochrisiko-Lieferanten.
Stattdessen setzt die Regierungen darauf, dass große Mobilfunkanbieter wie die Deutsche Telekom, Vodafone oder Telefónica von sich aus ihre Bestellungen bei Huawei reduzieren: „Das gesamte Genehmigungsverfahren wird so langwierig sein und der Ausgang so ungewiss, dass die Netzbetreiber nur bei anderen Anbietern Investitionssicherheit bekommen“, sagt Schallbruch, Vizedirektor des Digital Society Institute an der Hochschule ESMT und früherer Abteilungsleiter im Bundesinnenministerium.
So müssten die Mobilfunkanbieter für Dutzende von kritischen Komponenten zunächst die kostspielige BSI-Zertifizierung durchlaufen, um dann in einem ebenfalls zeitraubenden Prozess auf die politische Freigabe zu hoffen.
Huawei äußerte sich auf Anfrage zurückhaltend zu den Informationen: „Wir können keine Bewertung eines Gesetzesentwurfs vornehmen, der uns nicht vorliegt“, sagte ein Sprecher. Grundsätzlich könne man nur wiederholen, dass Huawei ein rein privates Unternehmen sei, und man „keinerlei nachvollziehbare Gründe für Marktzugangsbeschränkungen erkennen“ könne. Auch die deutschen Mobilfunkanbieter lehnten eine Bewertung des Gesetzesvorhabens ab.
Berlin geht mit dem zweigleisigen Genehmigungsverfahren einen Weg, der sich von den 5G-Entscheidungen wichtiger Partnerländer unterscheidet. Großbritannien etwa hat sich nach langem Hin und Her auf einen klaren Huawei-Ausschluss festgelegt.
Die französische Regierung hat Lizenzen für Huawei-Produkte zeitlich limitiert und damit die Weichen für einen schrittweisen Ausschluss gestellt. Der Abschied von Huawei fällt vielen Mobilfunkanbietern schwer, da sie sich in vielen europäischen Märkten in eine prekäre Abhängigkeit begeben haben.
Das Arrangement erschien lange äußerst attraktiv: Huawei bietet Spitzentechnologie zu Niedrigpreisen an. Die politischen Risiken der Geschäftsbeziehung mit chinesischen Lieferanten wurden in den europäischen Vorstandsetagen lange vernachlässigt. Noch im vergangenen Jahr versuchte die Deutsche Telekom, die strategische Bindung an Huawei auszubauen, wie das Handelsblatt anhand interner Unterlagen dokumentierte.
Auch die Telekom-Konkurrenten Vodafone und Telefónica sind stark von Huawei abhängig. Vor zwei Wochen warnten Telekom-Chef Timotheus Höttges, Vodafone-Deutschlandchef Johannes Ametsreiter und die Telefónica-Managerin Valentina Daiber bei einem Treffen mit SPD-Abgeordneten einmütig davor, Huawei aus dem Netz zu werfen: Der europäischen Mobilfunkbranche drohten Mehrkosten von 55 Milliarden Euro. Der 5G-Ausbau würde sich stark verzögern.
Die Bundesregierung und unabhängige Experten halten solche Warnungen für übertrieben. In Regierungskreisen wird aber eingeräumt, dass die Unternehmen eine niedrige Milliardensumme investieren müssen, um die Netze umzurüsten.
Verzögerungen beim Aufbau erwartet Schallbruch indes nicht: „Nokia oder Ericsson werden voraussichtlich längere Lieferfristen haben, aber die Ausbauziele sind nicht sonderlich ehrgeizig, und die Provider haben genug Gestaltungsspielraum.“
Zudem ist auch bei Huawei fraglich, ob es seine Lieferversprechen einhalten könnte. Denn die USA halten Huawei für das „Rückgrat des chinesischen Überwachungsstaats“ und haben ihre Strafmaßnahmen gegen das Unternehmen zuletzt so stark angezogen, dass Huawei von der Versorgung mit Chips abgeschnitten ist, die es für seine 5G-Ausrüstung benötigt.
Washington übt auch starken Druck auf die europäischen Regierungen aus. Der Staatssekretär im US-Außenministerium, Keith Krach, warb vergangene Woche in Anwesenheit von Telekom-Chef Höttges in Berlin für seine Initiative für „saubere Netze“, womit Huawei-freie Netze gemeint sind.
In der Bundesregierung wird die Kampagne für den Ausschluss chinesischer Ausrüster zurückhaltend gesehen: Sie diene vor allem der innenpolitischen Positionierung der US-Administration, heißt es in Berlin.
Sobald die Bundesregierung den Gesetzentwurf verabschiedet hat, muss dieser noch durch den Bundestag. Dort gab es auch innerhalb der Fraktionen von Union und SPD Forderungen nach einem klaren Ausschluss chinesischer Lieferanten. Die Bundesregierung stellt sich auf kontroverse Diskussionen mit dem Parlament ein.
Die ersten Reaktionen auf den 5G-Kompromiss fallen allerdings positiv aus. „Wenn sich das so bewahrheitet, ist das eine sehr gute Entwicklung“, sagt SPD-Politiker Falko Mohrs. „Uns ist wichtig, dass nicht nur das Kern-, sondern auch das Zugangsnetz gesichert wird.“
Auch Unionsfraktionsvize Torsten Frei zeigt sich zufrieden: „Die Regelung kommt dem, was wir als CDU/CSU-Fraktion anstreben, schon sehr nah.“ Selbst aus der Opposition kommt verhaltenes Lob: „Es bewegt sich in die richtige Richtung“, sagt die grüne Europapolitikerin Franziska Brantner. Unklar bleibe jedoch, wie sich die Regierung auf mögliche Schadensersatzforderungen der Hersteller vorbereite.
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