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19.08.2021

13:15

Afghanistan-Diplomatie

„Katastrophe für die Glaubwürdigkeit des Westens“ – Borrell plädiert für einheitliches Vorgehen der EU

Von: Eva Fischer

Wie verhält sich die EU zum Afghanistandesaster? Der Außenbeauftragte der EU hält eine neue Migrationswelle für möglich.

Im Zuge der Afghanistankrise müsse die EU ihre diplomatischen Bemühungen ausbauen und weitere Bündnisse schmieden. AP

Josep Borrell im Juli bei der Vorbereitung eines diplomatischen Treffens

Im Zuge der Afghanistankrise müsse die EU ihre diplomatischen Bemühungen ausbauen und weitere Bündnisse schmieden.

Brüssel Um kurz nach 9 Uhr erscheint Josep Borrells Gesicht auf dem Bildschirm. Der Außenbeauftragte der Europäische Union ist an diesem Donnerstag bei einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments zugeschaltet. Es ist das erste Mal, dass er öffentlich das weitere Brüsseler Vorgehen in der Afghanistankrise erläutert.

„Es ist eine Katastrophe für die Afghanen, für die Glaubwürdigkeit des Westens, für die internationalen Beziehungen“, war einer der ersten einleitenden Sätze des EU-Chefdiplomaten, die er an die EU-Abgeordneten richtete. Aber man könne nicht alle Menschen aus dem Land rausbringen. Dennoch wolle man sich für diejenigen einsetzen, mit denen die EU vor Ort zusammengearbeitet habe.

Borrell erläuterte weiter: „Die EU-Außenminister haben sich geeinigt, sich zunächst um Frauen, Mädchen und Menschenrechtsaktivisten zu kümmern.“ Auch diejenigen, die im Land bleiben, müsse man unterstützen.

Es sei gut möglich, dass in den kommenden Wochen und Monaten viele Afghanen versuchen werden, zu fliehen. „Und diese Welle kann auch bei uns ankommen“, so der spanische EU-Politiker. Man sollte diese Menschen allerdings nicht als Migranten bezeichnen: „Sie flüchten, um ihr Leben zu retten.“

Bislang wurden 106 EU-Mitarbeiter aus Afghanistan nach Madrid ausgeflogen, sagte Borrell. Außerdem seien bereits 400 Afghanen, die für den Staatenverbund gearbeitet hätten, nach Europa gebracht worden. Rund 300 weitere versuchten, Kabul zu verlassen.

Schwierig, zum Flughafen zu kommen

Das größte Problem sei dabei, überhaupt zum Flughafen zu gelangen. Die einzige Straße, die zum Flughafen führt, kontrollieren die Taliban. Deswegen seien vier Mitarbeiter nach Kabul geschickt worden, um zu helfen. Aber natürlich seien die Handlungsmöglichkeiten gegenüber den Taliban begrenzt.

Zum Zweck des Afghanistan-Einsatzes sagte Borrell: „Nach der Bekämpfung von al-Qaida ging es darum, einen modernen Staat aufzubauen.“ Das sei nicht gelungen, weswegen man sich nun detailliert mit der Frage beschäftigen müsse, warum es so weit gekommen sei. „Niemand konnte erwarten, dass es so schnell gehen würde, bis die Taliban alles kontrollieren. Ich glaube, nicht mal die Taliban sind davon ausgegangen, dass es so schnell geht“, so der Politiker der spanischen Sozialisten.

Zu der Frage, ob man beginnen solle, mit den Taliban Beziehungen aufzubauen, erläuterte Borrell: „Dass man mit den Taliban spricht, heißt nicht, dass man sie auch anerkennt.“ Einerseits müsse man den Taliban „den Geldhahn zudrehen“, andererseits müsse aber auch sichergestellt werden, dass der Bevölkerung geholfen werde. „Solange wir unsere Mitarbeiter noch vor Ort haben, müssen wir sehr vorsichtig sein“, sagte er weiter.

Da die Türkei, China und Russland bereits dabei seien, ihren Einfluss vor Ort auszubauen, und auch Indien und Pakistan diesbezüglich aktiv sind, müsse die EU ihre Diplomatie ausbauen. Das betonte der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, wie Borrells Amt offiziell heißt, mehrmals.

Als Beispiel dafür nannte Borrell ein Bündnis mit den USA und anderen Partnerländern, um die geopolitischen Auswirkungen abzufedern. „Wir können es jetzt nicht den Chinesen und Russen überlassen, sich die Situation in Kabul zu eigen zu machen.“

„Wir Europäer sind auch ein geopolitischer Akteur, aber das müssen wir mehr zeigen“, sagte Borrell weiter und plädierte in Richtung EU-Mitgliedstaaten, sich auf ein einheitliches Vorgehen zu einigen. „Die Erklärung, in der gefordert wurde, dass Afghanen das Land verlassen können, wenn sie wollen, haben viele Mitgliedsländer der EU unterschrieben. Aber nicht alle“, kritisierte er.

„Afghanistan ist auf jeden Fall eine sehr wichtige Region für uns. Die neue Situation wird sich sicher auch auf Europa auswirken“, fügte Borrell zum Ende seiner Rede vor dem Ausschuss hinzu.

Nach etwas mehr als einer halben Stunde meldete sich der Außenpolitiker schließlich aus dem Meeting ab und schaltete seine Kamera aus. Er müsse noch das G7-Treffen am selben Tag vorbereiten. Die Aufgabe, noch einmal auf die Redebeiträge der Abgeordneten einzugehen, übernahm sein Generalsekretär Fernando Gentilini.

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