Russland habe keine ökonomischen Probleme und sei Opfer eines Wirtschaftskriegs: Auf einem Forum in St. Petersburg zeigt der Kremlchef, dass er eine andere Realität sieht als der Westen.
Wladimir Putin
Der Westen glaube, seine Dominanz der Welt sei ewig, die USA fühlten sich als „Bote Gottes auf Erden“, wetterte der Präsident.
Bild: dpa
Düsseldorf Es war der Tag des Näherrückens der Ukraine an die EU, an dem Wladimir Putin vor der Wirtschaftselite seines Landes in St. Petersburg seine Sicht der Dinge erklärte. Sie offenbarte, wie weit der Kremlchef von der Wahrnehmung in der EU und den USA entfernt ist.
Putin trat beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg auf. Und nutzte diese Bühne für scharfe Worte gegen die westlichen Staaten.
Da ist zum einen die Wirtschaftslage: Die Sanktionen Europas und Nordamerikas als Reaktion auf Moskaus Einmarsch in der Ukraine bezeichnete Putin als „wirtschaftlichen Blitzkrieg“, als „verrückt“ und „gedankenlos“. Sie hätten das Ziel gehabt, die russische Wirtschaft zu schwächen. „Das hat nicht geklappt“, sagte er den Unternehmern.
„Wir normalisieren die russische Wirtschaft Schritt für Schritt“, erklärt der Kremlchef weiter. Auch die pessimistischen Prognosen haben sich Putin zufolge nicht bewahrheitet. „Wir können jede Herausforderung meistern“, führte Putin seine Rede weiter fort.
Es seien allerdings weiterhin „die Wirtschaft, die Märkte und die Prinzipien des globalen Wirtschaftssystems“ bedroht. Viele Handels-, Produktions-, und Logistikbeziehungen seien gestört. Wer die Schuld daran trägt? „Unsere Partner im Westen“, sagte Putin, „mit Absicht“ fügte der Kremlchef hinzu. Die Strafmaßnahmen träfen die EU jedoch ebenfalls hart. Er bezifferte den Schaden für Europa auf 400 Milliarden Dollar.
Dass das russische Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 8,5 Prozent sinken dürfte, so zumindest die Prognose des Internationalen Währungsfonds, dass die russische Notenbank davon spricht, dass die Wirtschaftstätigkeit „erheblich“ eingeschränkt sei, das alles ließ Putin unerwähnt. Er folgerte stattdessen: „Genau wie unsere Ahnen werden wir jedes Problem lösen.“
Der Kremlchef konzentrierte sich in seiner Argumentation auf die Stabilität des Rubel. Der Kurs der russischen Währung zum US-Dollar hat sich in der Tat nach einem scharfen Einbruch Ende Februar und Anfang März deutlich erholt hat und liegt derzeit auf dem höchsten Stand seit fünf Jahren.
Dies ist allerdings fast ausschließlich den weitreichenden Kapitalverkehrskontrollen zu verdanken, die Unternehmen und Privatpersonen im Umtausch ihres Vermögens drastisch einschränken und für deren weitgehendes Ende sich Notenbankchefin Elvira Nabiullina erst einen Tag zuvor ausgesprochen hatte.
Dass sich ausländische Unternehmen aus Russland zurückziehen, dass das Vermögen russischer Oligarchen auf den Sanktionslisten gepfändet wird, wertete Putin auf seine eigene Art: „Zuhause fühlen wir uns am besten“, sagte er den Unternehmern.
Putins Rede
Die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg ist nach einem Cyberangriff verschoben worden.
Bild: IMAGO/ITAR-TASS
Nachdem viele Unternehmen im Westen viel Geld verloren hätten, gebe es jetzt „große Potenziale“ in Russland, in der Infrastruktur oder der Bildung etwa. Wichtige Werte wie der Ruf von Geschäften, oder „die Unantastbarkeit von Privateigentum“ seien in Gefahr – durch den Westen. „Um veraltete geopolitische Illusionen aufrechtzuerhalten“.
Die gut 17 Prozent Inflationsrate in Russland würden weiter gesenkt. Und sie seien immerhin noch niedriger als die 20 Prozent in der EU. Wie der Kreml auf diese Zahl für die EU kommt, ist unklar. Eurostat veröffentlichte wenige Stunden vor seiner Rede die aktuelle Inflationsrate der EU für Mai mit 8,8 Prozent.
Ähnlich eigen ist Putins Bild zur geopolitischen Lage: Der Westen glaube, seine Dominanz der Welt sei ewig. Die USA fühlten sich als „Bote Gottes auf Erden“, wetterte der Präsident. Doch die westlichen Länder seien da „Sklaven ihrer eigenen Irrtümer“, bestraften die, die anderer Meinung seien, wirtschaftlich. „Unsere westlichen Kollegen denken immer noch in Kategorien des vergangenen Jahrhunderts, sie behandeln andere Länder wie Kolonien“, meinte der Kremlchef.
>> Lesen Sie hier: Die aktuellen Entwicklungen im Ukrainekrieg im Liveblog
Der 69-Jährige beanspruchte für Russland, das sich mit seinem Angriff auf die Ukraine, in vielen Teilen der Welt, isoliert hat, eine führende Rolle bei der künftigen Gestaltung der globalen Machtverhältnisse. Dies begründete er vor allem damit, dass Russland seiner Ansicht nach ein mächtiges und starkes Land ist. Macht und Stärke gilt dem Kremlchef Russlandexperten zufolge als dominantes Argument in der Geopolitik.
Manche seiner Ausführungen klangen zynisch. So warf Putin dem Westen vor, die Souveränität anderer Staaten in Frage zu stellen und nannte als Beispiel Syrien und den Iran. Doch just Putin negiert die Souveränität der Ukraine in Reden und vor allem mit dem bereits dreieinhalb Monate währenden Angriffskrieg auf das Land, der auf beiden Seiten täglich neue Tote fordert.
Die Rede spiegelte jedoch auch die militärische Fokusverschiebung Moskaus wider. Nachdem die Strategie die ukrainische Hauptstadt Kiew schnell zu erobern gescheitert ist, hat sich Russland auf die Eroberung des Donbass im Osten der Ukraine konzentriert.
Putin sprach denn auch von einer „militärischen Spezialoperation im Donbass“, und nicht mehr „in der Ukraine“. Diese werde fortgesetzt. Das Hauptziel des Einmarsches? Weiterhin die Verteidigung „unseres“ Volkes im überwiegend russischsprachigen Gebiet. Westliche Staaten sehen darin nur eine vorgeschobene Rechtfertigung des Angriffskriegs, der bislang zur Besetzung von Teilen der Südukraine weit über den Donbass hinaus geführt hat.
Wer in dieser Rede des Kremlchefs, die nach einem Hackerangriff auf das als „russisches Davos“ bekannte Wirtschaftsforum erst mit Verspätung begonnen hatte, nach Hinweisen für ein Abwägen, ein kritisches Hinterfragen oder gar ein Einlenken gesucht hatte, der tat dies vergebens.
Die Welt, wie Wladimir Putin sie zumindest öffentlich darstellt, wirkt immer mehr wie eine Parallelwelt zu der, die in Brüssel, Paris und Berlin, Washington und vor allem Kiew wahrgenommen wird.
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