Biontech, Moderna und Johnson & Johnson verpflichten sich, im großen Stil ärmere Länder zu versorgen. Die EU will mit der Initiative beweisen, dass Partnerschaften besser als eine Patentfreigabe sind.
Covax-Lieferung nach Ghana
Entwicklungsländer sollen deutlich weniger zahlen müssen als EU und USA.
Bild: REUTERS
Brüssel, Rom Die EU hat eine Partnerschaft mit den Impfstoffherstellern Biontech/Pfizer, Johnson & Johnson und Moderna zur Versorgung Afrikas geschlossen. Auf dem Weltgesundheitsgipfel der G20 verkündeten die Unternehmenschefs, Impfdosen im Milliarden-Maßstab in Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen zu liefern. Insgesamt sollen es 1,3 Milliarden Dosen bis zum Ende des Jahres sein und mindestens weitere 1,3 Milliarden im Laufe des Jahres 2022.
Der größte Teil kommt von Biontech/Pfizer: Pfizer-CEO Albert Bourla sprach von jeweils einer Milliarde Dosen für 2021 und 2022. Von Moderna sollen bis zum Jahreswechsel 59 Millionen Dosen, dann weitere 900 Millionen kommen. Der Konzern Johnson & Johnson, bei dessen Impfstoff eine einzige Dosis für eine vollständige Impfung ausreicht, hat das Ziel, dieses Jahr 200 Millionen und nächstes Jahr 300 Millionen Dosen anzubieten.
Die Hersteller wollen zu einem reduzierten Preis liefern, in Länder mit geringem Einkommen sogar zum Selbstkostenpreis. Ein Teil der Dosen soll auch über das Covax-Programm gespendet werden. 100 Millionen Dosen bis zum Ende des Jahres wollen die Europäer bezahlen.
Deutschland will nach Angaben von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bis Jahresende zusätzlich 30 Millionen Corona-Impfdosen an Covax spenden. Voraussetzung sei, dass die von Deutschland bestellten Impfstoffe auch tatsächlich ankämen, sagte Merkel am Freitagabend, nachdem sie sich zum Weltgesundheitsgipfel“ online dazu geschaltet hatte. Deutschland habe zudem weitere 100 Millionen Euro für die Unterstützung von Covax zugesagt, erklärte Merkel. Die deutschen Beiträge zur Impfhilfe seien damit nun bei mehr als einer Milliarde Euro.
Die EU will gleichzeitig langfristig planen und in Afrika regionale „Impfstoff-Hubs“ aufbauen – im Süden, Osten und Westen des Kontinents. Dafür stellen Kommission und Mitgliedstaaten eine Milliarde Euro zur Verfügung.
Afrika soll so in die Lage versetzt werden, künftig selbst moderne Impfstoffe herzustellen, auch solche, die auf der innovativen mRNA-Technologie basieren. Gespräche zwischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und afrikanischen Unternehmen, die als Produzenten infrage kommen, laufen bereits.
„In mehr als 180 Ländern wurden fast 1,5 Milliarden Impfstoffdosen verabreicht“, sagte der italienische Ministerpräsident Mario Draghi als Gastgeber des Treffens. Nur 0,3 Prozent davon seien an ärmere Länder gegangen. Das sei nicht nur inakzeptabel. „Es ist auch eine Bedrohung.“
Solange das Virus weltweit zirkuliere, könne es durch etwaige Mutationen zur Gefahr werden – und selbst die erfolgreichste Impfkampagne untergraben.
Die EU und die Impfstoffhersteller reagieren mit ihrer Impfpartnerschaft auch auf den Druck der USA. Die Regierung von Präsident Joe Biden hatte vor drei Wochen überraschend die Freigabe von Patenten gefordert, um die globale Impfstoff-Produktion zu beschleunigen.
Die Hersteller und die EU lehnen diesen Schritt ab, gerieten aber unter erheblichen Zugzwang, eigene Vorschläge zu machen. Denn unbestreitbar ist, dass die globale Impfkampagne zu langsam voranschreitet und gerade afrikanische Länder von der Versorgung mit Vakzinen abgeschnitten sind. Auch das EU-Parlament hat sich deshalb diese Woche für eine weitreichende Lockerung des Patenschutzes ausgesprochen.
Man werde den Entwicklungsländern genau zuhören, sagte Kommissionschefin von der Leyen. Gleichzeitig wisse man, dass freiwillige Lizenzvereinbarungen der beste Weg seien. Die EU will einen „dritten Weg“ jenseits von starrem Patentschutz und einer pauschalen Aufhebung der Eigentumsrechte einschlagen. Dazu will die EU Anfang Juni einen Vorschlag bei der WTO einreichen.
Den Plan hat von der Leyen schon mit der neuen Chefin der Welthandelsorganisation Ngozi Okonjo-Iweala besprochen. Es ginge darum, den „Spielraum zwischen Verpflichtung und Freiwilligkeit“ zu nutzen, heißt es aus der Kommission. Die Amerikaner wollen das Trips-Abkommen, das den Schutz geistigen Eigentums regelt, für Impfstoffe aussetzen, haben ihre Pläne aber bisher nicht näher erläutert.
Die Impfpartnerschaft für Afrika bietet der Kommission und den Pharmafirmen die Gelegenheit, aus der Defensive zu kommen. Kritiker der umfassenden Patentfreigabe loben die Initiative. „Das große Problem bei der Impfstoffversorgung sind nicht die Patente“, sagt Andreas Schwab, Europaparlamentarier der CDU. „Bei Ländern, die keine Produktion haben, helfen auch Patente nicht weiter. Man kann Impfstoffe nicht im Waschbecken herstellen.“
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, David McAllister (CDU), begrüßt den Vorstoß: „Die Beziehungen zu unserem Nachbarkontinent Afrika haben für die EU eine strategische Priorität“, sagt er. „Die verstärkte Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Pandemie ist ein weiterer Baustein für eine gemeinsame Partnerschaft mit der Afrikanischen Union.“
Ohne die USA und Großbritannien explizit zu nennen, drangen Draghi und von der Leyen noch einmal darauf, den freien Fluss von Impfstoffen und Rohstoffen über alle Grenzen hinweg zu ermöglichen. „Wir müssen pauschale Exportverbote aufheben, insbesondere in ärmere Länder“, forderte Draghi. Auch Moderna-Chef Stéphane Bancel betonte, wie wichtig es sei, dass Exporte von Rohstoffen nicht behindert würden.
Biontech/Pfizer, Johnson & Johnson und Moderna wollen Impfstoffe überwiegend in Europa produzieren. Auffällig ist, dass der britisch-schwedische Pharmakonzern Astra-Zeneca nicht Teil der neuen Impfpartnerschaft ist. Das Verhältnis zwischen der EU und dem Unternehmen ist zerrüttet, weil Astra-Zeneca nur einem Bruchteil seiner vertraglich zugesicherten Impfstofflieferung nachgekommen ist.
Klar ist: Die neuen Lieferzusagen reichen nicht aus, um die globale Unterversorgung zu überwinden – auch weil die Impfstoffe Biontech und Moderna zweimal verabreicht werden müssen. Allein in Afrika leben etwa 1,3 Milliarden Menschen. Dennoch ist das Milliardenversprechen ein wichtiger Beitrag zur Eindämmung der Pandemie. Das zeigt ein Vergleich mit dem Impffortschritt in Europa: Bisher wurden in der EU etwa 200 Millionen Dosen verabreicht.
Und klar ist auch: Die Hilfen für Afrika sind nicht nur eine humanitäre Geste, sie sind auch im Eigeninteresse der EU. „Wir müssen eine höhere Impfquote haben“, sagt die Grünen-Politikerin Viola von Cramon. „Nur so können wir uns langfristig auch selbst schützen.“
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