Angesichts von Putins Angriffskrieg in der Ukraine rückt die Nato-Mitgliedschaft für beide Länder in greifbare Nähe. So geht es in den nächsten Wochen weiter.
Magdalena Andersson (links) und Sanna Marin
Die Regierungscheffinnen von Schweden und Finnland bereiten sich auf einen Nato-Beitritt ihrer Länder vor.
Bild: IMAGO/Lehtikuva
Stockholm Jonas Gahr Støre versprühte Optimismus. Der Aufnahmeprozess von Finnland und Schweden, so prognostizierte der Regierungschef des Nato-Landes Norwegen am Mittwoch, könne drastisch beschleunigt werden. Und die norwegische Zeitung „VG“ will sogar aus Nato-Kreisen erfahren haben, dass beide Länder „innerhalb weniger Wochen“ Zutritt zum Kreis des Verteidigungsbündnis erhalten könnten.
Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg stellte ein „sehr zügiges Verfahren“ in Aussicht. Normalerweise dauert dieser Prozess zwischen mehreren Monaten und einem Jahr.
Finnland und Schweden streben in die Nato. Es ist eine Kehrtwende, die vor wenigen Monaten noch als undenkbar galt. Wie weit geht Russlands Präsident Wladimir Putin? Belässt er es bei seinem Angriff auf die Ukraine? Es sind die unberechenbaren Gefahren aus dem Osten, die beide Länder Schutz suchen lassen unter dem Dach des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses.
Obwohl die finnische Regierungschefin Sanna Marin und ihre schwedische Amtskollegin Magdalena Andersson bislang nicht eindeutig für eine Nato-Mitgliedschaft plädiert haben, gilt es als nahezu sicher, dass beide Länder schon in den kommenden Wochen ihre jahrzehntelange Bündnisfreiheit aufgeben werden.
Der Fahrplan steht: Am 12. Mai wird Finnlands Präsident Sauli Niinistö seine Einstellung zu einem finnischen Nato-Beitritt verkünden. In Finnland hat der Präsident weitreichende Befugnisse in der Außen- und Sicherheitspolitik. Es wird allgemein erwartet, dass er sich für einen Beitritt Finnlands ausspricht. Zwei Tage später, am 14. Mai, wird die sozialdemokratische Partei von Ministerpräsidentin Marin ihre Position darlegen.
Auch hier wird ein Votum für eine Nord-Erweiterung der Nato erwartet. Sowohl Schweden als auch Finnland haben in den vergangenen Wochen immer wieder betont, dass ein gemeinsames Vorgehen beider Länder in der Nato-Frage wünschenswert sei. Deshalb hat sich die sozialdemokratische schwedische Minderheitsregierung dem finnischen Vorpreschen angepasst und will spätestens am 13. Mai ihre Position bekannt geben.
Sorgen bereitet beiden Ländern die Übergangsphase zwischen einem eventuellen Nato-Beitrittsgesuch und der tatsächlichen Aufnahme in das nordatlantische Verteidigungsbündnis. In dieser Zeit wäre der Paragraf 5 noch nicht wirksam. Er definiert den Bündnisfall: Ein bewaffneter Angriff gegen ein oder mehrere Mitglieder würde als Angriff auf alle Vertragspartner angesehen. Finnland und Schweden haben sich in den vergangenen Wochen allerdings bereits von den USA und anderen Nato-Ländern Sicherheitsgarantien geben lassen.
Militärübung in Finnland
Finnland würde die Nato mit 23.000 Berufssoldaten und 280.000 Wehrpflichtigen deutlich verstärken.
Bild: dpa
Das Beitrittsgesuch muss von allen 30 Nato-Mitgliedern angenommen werden. Zwar meldeten Kroatien und die Türkei Bedenken aus innenpolitischen Gründen an, doch glauben die meisten Beobachter nicht an ein Veto der beiden Länder. Auf die Unterstützung der eigenen Bevölkerung für einen Nato-Beitritt können sich die Regierungen in Helsinki und Stockholm mittlerweile verlassen: Eine klare Mehrheit der Menschen in Finnland und Schweden befürwortet heute eine Nato-Mitgliedschaft.
Ärger könnte der schwedischen Regierungschefin allenfalls innerparteilicher Widerstand bereiten. So lehnen mehrere sozialdemokratische Interessensgruppen wie der sozialdemokratische Frauenverband und die Jungsozialisten einen Nato-Beitritt ihres Landes weiterhin ab. Letztendlich wird aber nach Einschätzung von Kommentatoren die Parteiräson siegen.
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Für die Nato wäre der Beitritt der beiden Länder eine willkommene Verstärkung. Besonders Finnland würde die Nato mit 23.000 Berufssoldaten und 280.000 Wehrpflichtigen deutlich verstärken. Außerdem verfügt das Land über 870.000 Reservisten.
Schweden hat bedeutend weniger aktive Streitkräfte, kann dafür aber mit einem „unsinkbaren Flugzeugträger“ aufwarten. So wird humorvoll die größte Insel in der Ostsee, Gotland, genannt. Nur rund 300 Kilometer sind es von der Insel bis zur lettischen Hauptstadt Riga. Die Insel hat deshalb eine große strategische Bedeutung für die Kontrolle der Ostsee und einer eventuellen Verteidigung der baltischen Länder.
Größere Probleme bei der Integration in die Nato-Strukturen dürfte es nicht geben. Beide Länder nehmen schon seit Langem an gemeinsamen Nato-Manövern teil und beteiligten sich an Nato-geführten Einsätzen in Afghanistan und dem Balkan. Sie haben auch die Beschaffung von militärischer Ausrüstung mit der Nato koordiniert. Finnland hat erst kurz vor Weihnachten für zehn Milliarden Euro 64 F-35-Kampfjets des amerikanischen Rüstungsunternehmens Lockheed Martin bestellt, während Schweden US-amerikanische Patriot-Flugabwehrraketen gekauft hat. Die Nato-Kompatibilität ist also sichergestellt.
Jens Stoltenberg
Der Nato-Generalsekretär stellte Schweden und Finnland ein „sehr zügiges Verfahren“ in Aussicht.
Bild: AP
Wie schnell sich Schweden und Finnland unter dem Druck der aktuellen Entwicklungen von Prinzip der Neutralität entfernen, zeigt auch die Tatsache, dass sich beide Staaten erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg nach langen Diskussionen zu Waffenlieferungen in die Ukraine durchgerungen haben. Von „historischen Beschlüssen“ war die Rede.
Um Waffenlieferungen und Perspektiven für einen Nato-Beitritt ging es am Dienstag auch bei einer Klausurtagung des Bundeskabinetts auf Schloss Meseberg, an dem die finnische und schwedische Regierungschefinnen teilnahmen. Beide sozialdemokratischen Regierungschefinnen konnten sich über die deutsche Unterstützung für einen vermutlichen Nato-Beitritt freuen. „Wegen der neuen Sicherheitslage müssen wir noch enger zusammenarbeiten, als wir es schon getan haben“, erklärte Andersson.
Auch Marin betonte die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit der Länder. „Unser Sicherheitsumfeld wurde durch den russischen Angriff stark verändert“, sagte sie. Sie machte deutlich, dass sich Finnland mit seiner 1300 Kilometer langen Grenze zu Russland die Entscheidung für oder gegen einen Nato-Beitritt nicht von Russland vorschreiben lasse. „Russland hat kein Recht, anderen Ländern zu diktieren, welche Wahl sie treffen“, sagte sie.
Tatsächlich hatte Moskau bei einer Pro-Nato-Entscheidung beiden Ländern mit „schwerwiegenden militärischen und politischen Folgen“ gedroht und bereits Atomwaffen in der Ostsee-Exklave Kaliningrad stationiert – nur 350 Kilometer von der schwedischen Insel Gotland entfernt. Außerdem wurde der finnische und schwedische Luftraum durch russische Militärmaschinen in den vergangenen Wochen mehrfach verletzt.
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