Der Krieg bringt die Türkei und die USA wieder enger zusammen. Doch zu westlichen Werten kehrt die Türkei damit nicht zurück – es drohen sogar neue Auseinandersetzungen.
Joe Biden und Recep Tayyip Erdogan
Schon als US-Vizepräsident traf Biden bereits vor fast fünf Jahren auf den türkischen Staatschef – und schon damals waren die Mienen nicht freundlich.
Bild: AP
Ankara Es ist nicht lange her, da machten Joe Biden und Recep Tayyip Erdogan keinen Hehl aus ihrer gegenseitigen Abneigung. Im Jahr 2020 erklärte US-Präsident Biden offen, er wolle nun aktiv die türkische Opposition unterstützen. Der türkische Staatschef machte daraufhin seinen US-amerikanischen Amtskollegen für die Unterstützung kurdischer Rebellen in Syrien verantwortlich, die dort gegen türkische Soldaten kämpften. Biden wollte Erdogan zuletzt auch nicht mehr bilateral treffen, zu seinem Demokratiegipfel im Januar war Erdogan nicht geladen.
Doch der Ukrainekrieg bringt beide Seiten jetzt wieder vorsichtig zusammen. Beim Treffen der Nato-Außenminister in Brüssel in dieser Woche war der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu gefragter Gesprächspartner. US-Außenminister Blinken lud ihn für den 18. Mai nach Washington ein. Und beim sensiblen Thema der Rüstungsgeschäfte kündigt sich plötzlich eine Einigung an.
Mehr als drei Jahre lang hatte die US-Regierung die Türkei von Rüstungsprogrammen offiziell ausgeschlossen, nachdem die Türkei sich ein russisches Flugabwehrraketensystem vom Typ S400 beschafft hatte. Als die Türkei im Oktober des vergangenen Jahres bei den Vereinigten Staaten den Kauf von 40 F16-Kampfjets und fast 80 Modernisierungskits für ihre bestehenden Kampfflugzeuge anfragte, reagierte Washington zurückhaltend.
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Jetzt aber glaubt das US-Außenministerium, dass ein möglicher Verkauf von F-16-Kampfflugzeugen an die Türkei den nationalen Sicherheitsinteressen der USA entsprechen und der langfristigen Einheit der Nato dienen würde. So argumentiert das Außenministerium in einem Brief an den US-Kongress: Die Unterstützung der Türkei für die Ukraine sei „eine wichtige Abschreckung gegen böswillige Einflüsse in der Region“.
Nach monatelangen Verhandlungen haben beide Staaten in den vergangenen Tagen außerdem einen „strategischen Mechanismus“ ins Leben gerufen, bestehend aus regelmäßigen Treffen zwischen türkischen und amerikanischen Beamten. Sie sollen die Zusammenarbeit in Bereichen wie Wirtschaft und Verteidigung fördern.
Diese erstaunliche Annäherung erklärt sich vor allem vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges. Die Türkei liefert der Ukraine seit fast einem Jahr regelmäßig Kampfdrohnen. Diese unbemannten Flugobjekte haben bereits ganze russische Einheiten aus der Luft zerstört und gelten als wichtige Stütze der ukrainischen Streitkräfte im Kampf gegen russische Soldaten. „Die türkischen Drohnen sind sehr effizient“, erklärte unlängst der ukrainische Botschafter in der Türkei, Vasyl Bodnar.
Das ist natürlich auch im Interesse der USA – wenngleich sie es diplomatischer ausdrücken. „Unsere Beziehungen erhalten damit neue Energie“, sagte Victoria Nuland, Unterstaatssekretärin des US-Außenministeriums für politische Angelegenheiten, nach einem Treffen mit türkischen Beamten in Ankara. Auf Behördenebene sollen beide Länder jetzt besser über alle Themen sprechen können – vom Handel über Menschenrechte und Zivilgesellschaft bis hin zu regionalen Themen von Syrien oder der Ukraine, fügte sie hinzu.
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Es sei so, als wenn alte zerstrittene Freunde die Nummer des anderen wieder entsperrten, kommentierte der türkische Hochschulprofessor und Außenpolitikexperte Soner Cagaptay vom Washington Institute for Near East Policy leicht ironisch.
Dabei gibt es weiter auch klar trennende Punkte zwischen den Ländern: Die Türkei hat, anders als alle anderen Nato-Mitglieder, keine Sanktionen gegen Russland verhängt. Stattdessen hatte Ankara trotz Kritik Erdogans an der russischen Invasion stets seine engen Beziehungen zu Russland wie auch der Ukraine betont. Erdogan hatte sich als Vermittler zwischen Kiew und Moskau angeboten und war auch Gastgeber für Verhandlungen auf Delegationsebene.
„Das diplomatische Geschick der Türkei in dem Konflikt ist erstaunlich“, erklärte der Botschafter eines EU-Mitglieds in der Türkei neulich. Was er eigentlich meint: Erdogan ist in den vergangenen Jahren mächtig geworden – weil er die Opposition kleingehalten, aber auch weil er den Einfluss der Türkei international kontinuierlich ausgebaut hat. Und er schätzt seine Unabhängigkeit.
Eine Erdgaspipeline mit Israel, Annäherungen mit Saudi-Arabien und den Vereinten Arabischen Emiraten: Erdogan hat den Einfluss der Türkei in der Region ausbauen können. Imran Ali Sandano von der Middle East Technical University in Ankara macht die US-Regierung dafür mitverantwortlich. Sie habe Ostasien den Vorrang gegeben und den Nahen Osten ignoriert. „Diese politische Kehrtwende trieb die Türkei an, selbst aktiv zu werden.“
Diese Macht in der Region dürfte verhindern, dass sich Erdogan einem westlichen Wertesystem unterwerfen wird. Zudem dürfte sich seine Politik kaum mit denen Europas oder der USA überschneiden. Ankara spricht von „berechtigten Sicherheitsinteressen“ Russlands, die etwa gegen einen ukrainischen Nato-Beitritt sprechen. Im östlichen Mittelmeer besteht die Türkei weiter auf eine Neuordnung der Seegrenze und eine Beteiligung an möglichen Erdgasreserven unter dem Meer.
Und bei der Kooperation mit der EU in Sachen Flüchtlinge dringt die türkische Regierung auf mehr Kontrolle, mehr Geld und eine baldige Lösung im Syrien-Konflikt, über den in Europa derzeit niemand mehr reden möchte. Wie lange die amerikanisch-türkische Zweckliebe anhält, ist also nicht zu prognostizieren.
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