PremiumEU und USA werfen Peking vor, in der Region gegen Menschenrechte zu verstoßen. Für ausländische Firmen wird das immer mehr zum Problem. Ein Ortsbesuch.
Arbeiter in Xinjiang
Die Uiguren, hier ein Bild aus dem Jahr 2018, sollen Menschenrechtlern zufolge zu Zwangsarbeit verpflichtet werden.
Bild: Reuters
Korla, Urumqi (Xinjiang) Es zischt und dröhnt, Wasserdampf entweicht aus dünnen Düsen am Boden. Ein wenig erinnern die mehrstöckigen Blöcke aus Beton und Stahl auf dem weiträumigen Gelände an Parkhäuser – nur, dass statt Autos große Tanks auf den verschiedenen Etagen stehen, in denen Chemikalien lagern, und überall Rohre installiert sind.
Ein paar Hundert Meter entfernt am Horizont werden mit heller rot-orangener Flamme überschüssige Gase abgefackelt. Eigentlich sieht es im Werk des deutschen Chemiekonzerns BASF hier in der west‧chinesischen Stadt Korla so aus wie am Hauptsitz in Ludwigshafen. Und doch ist die Fabrik, die BASF gemeinsam mit seinem chinesischen Joint-Venture-Partner Markor betreibt, keine wie jede andere.
Denn sie steht in der Provinz Xinjiang. Hier werden der chinesischen Staatsführung schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die Regierung der Volksrepublik China „verübt weiterhin Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Uiguren und Angehörigen anderer ethnischer und religiöser Minderheitengruppen in der autonomen Region Xinjiang“, warnte die US-Regierung erst diese Woche in einem Bericht. Wie räumlich nah sich Produktion und Unterdrückung in Xinjiang sind, zeigt auch das Beispiel BASF.
Die Korla Economic and Development Zone, in der das BASF-Werk steht, ist ein Industriegebiet, wie es in China viele gibt. Ein paar Kilometer von dem Stadtzentrum führt eine gut ausgebaute mehrspurige Straße durch das Gelände, an den Seiten stehen riesige Industrieanlagen. Nur zehn Minuten Autofahrt entfernt betreibt die chinesische Staatsführung einer international viel beachteten Studie des renommierten australischen Thinktanks Australian Strategic Policy Institute (ASPI) zufolge mehrere Gefängnisanstalten.
Hier und in Dutzenden weiteren Lagern und Haftanstalten in Xinjiang soll die chinesische Staatsführung unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung mehr als eine Million Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren gegen ihren Willen festgehalten haben. Auslöser für die oft Monate oder Jahre dauernde Lagereinweisung oder Inhaftierung können geleakten Regierungsdokumenten zufolge schon Nichtigkeiten wie das Tragen religiöser Symbole oder der Kontakt zu Ausländern sein. Die chinesische Staatsführung bestreitet die Vorwürfe.
Stijn Brughmans, Vizepräsident für Betrieb, Technologie und Investitionen, der für alle Werke im Bereich Zwischenprodukte bei BASF im Asien-Pazifik-Raum zuständig ist, führt seine Besucher durch die Chemieanlage in Korla, zeigt auf Schautafeln, welche Produkte mit den in Xinjiang hergestellten Stoffen produziert werden: Inlineskates und Sportkleidung etwa. Und er sagt: Die Berichte darüber, was in der Region passiere, ließen ihn „nicht kalt“.
Volkswagen-Produktion in Xinjiang
Unternehmen sehen sich dem Verdacht ausgesetzt, Zwangsarbeiter zu beschäftigen.
Bild: Reuters
BASF ist mittendrin, wirtschaftet in der Region der Unterdrückung – und versucht sich von den Zwangsarbeits- und Internierungsvorwürfen komplett fernzuhalten. Und nicht nur BASF. 350 Kilometer entfernt in Xinjiangs Hauptstadt Urumqi haben neben zahlreichen chinesischen Unternehmen auch der US-Getränkekonzern Coca-Cola und der deutsche Autobauer Volkswagen Werke. Es ist nicht nur die moralische Komponente, die dabei immer wieder zu Kritik führt. Ein Engagement in Xinjiang setzt Unternehmen der Gefahr und dem Verdacht aus, dass sie Zwangsarbeiter bei sich beschäftigen – direkt oder indirekt bei ihren Zulieferern.
Da Regierungen weltweit unter dem öffentlichen Druck inzwischen genauer hinschauen, was in der Region passiert, drohen den Unternehmen, die in Xinjiang Geschäfte machen, neben dem Reputationsschaden auch hohe Strafen. Jüngst hat Deutschland ein Lieferkettengesetz verabschiedet, das Unternehmen ab 2023 unter Strafen dazu verpflichtet, die eigene Wertschöpfungskette bis hin zu den Zulieferern so zu kontrollieren, dass Menschenrechts- und Umweltstandards eingehalten werden. Auch die EU arbeitet an einer ähnlichen Regel.
„Made in Xinjiang“, das ist mittlerweile ein Makel. Nach der internationalen Textilindustrie, die etwa ein Fünftel ihrer Baumwolle aus der Region bezieht, ist jetzt die Solarbranche von US-Sanktionen gegen Hersteller in der Provinz betroffen.
BASF muss sich mehrfach absichern, um gewährleisten zu können, dass keine Beschäftigten zur Arbeit in dem Werk gezwungen werden. 2019 ordnete Konzernchef Martin Brudermüller ein internes Audit an. 2020 folgte dann ein externes Audit durch einen internationalen Wirtschaftsprüfer. Dabei sei überprüft worden, sagt BASF-Manager Brughmans, ob die internationalen Sozial- und Arbeitsstandards bei dem Unternehmen in Xinjiang eingehalten werden. „Da gab es keine Hinweise auf irgendwelche Verstöße.“
BASF achte darauf, so Brughmans, dass allein das Joint Venture entscheide, wer in dem Werk arbeitet. „Wir arbeiten nicht mit staatlichen Stellen zusammen bei der Personalbeschaffung oder generell bei dem Thema HR [Human Resources]“, stellt Brughmans klar. Eine Kontaktaufnahme durch staatliche Stellen zur Vermittlung von Mitarbeitern habe es seines Wissens nach nicht gegeben. Aufgrund der fachlichen Anforderungen kämen Mitarbeiter nicht von Ausbildungszentren, sondern von anderen Unternehmen zu BASF.
Kontrollen, ob Arbeitsstandards eingehalten werden, werden vor Ort aber immer schwieriger. „Der Versuch von ausländischen Unternehmen, die Einhaltung von Menschenrechtsstandards in China umzusetzen, etwa mithilfe von Prüfungen, wird von der chinesischen Staatsführung mittlerweile als Angriff gesehen, der dann gegebenenfalls auch sanktioniert wird“, sagt Katja Drinhausen, die bei dem Berliner Thinktank Merics zu Menschenrechten in Xinjiang forscht. Die rechtliche Grundlage dafür hat Peking in den vergangenen Wochen und Monaten geschaffen, etwa mit dem Anti-Sanktionsgesetz.
Von den insgesamt 122 Mitarbeitern, die BASF gemeinsam mit seinem Joint-Venture-Partner hier in Korla beschäftigt, sind in der sengenden Hitze auf dem weiträumigen Gelände nur wenige zu sehen. Das Handelsblatt und der ARD Hörfunk sind die ersten internationalen Medienvertreter, die das Joint-Venture-Werk von BASF in Korla besuchen dürfen.
Volkswagen hingegen lehnt trotz mehrfacher Nachfragen eine Besichtigung seines Werks in Urumqi ab. Der Autokonzern betreibt dies zusammen mit seinem chinesischen Joint-Venture-Partner SAIC. Der Besuch sei nicht möglich, weil es Probleme bei der Abstimmung mit dem Joint-Venture-Partner gebe, argumentiert Volkswagen. Der zuständige Manager von SAIC-VW könne derzeit nicht nach China einreisen. Auch Antworten auf detaillierte Fragen, wie das Unternehmen Zwangsarbeit verhindern will, lehnt das Unternehmen diesmal mit Verweis auf die baldige Vorlage der Halbjahreszahlen ab.
Das Werk sieht unscheinbar aus, ein paar graue Gebäude, von einem Zaun umgeben, ein Firmenschild. Ein Sicherheitsmann weist uns ab, selbst Fotos mit einigem Abstand von den Gebäuden sind nicht erlaubt. Wir nehmen ein Taxi zurück in die Stadt. Nach ein paar Minuten bekommt unser Fahrer einen Anruf „Jaja, zwei Ausländer“, hören wir. Offenbar werden wir beschattet.
Wer sich in Urumqi umschaut, kann nicht übersehen, dass Xinjiang längst ein Polizeistaat ist. Alle paar Hundert Meter stehen Polizeistationen, Uniformierte bewachen Kreuzungen und patrouillieren vor der großen Erdaoqiao-Moschee. Die Messer in den Läden und Restaurants sind angekettet. Sogar vor Tankstellen sind Sicherheitsposten und Schranken positioniert.
Hinzu kommt all die Überwachungstechnik. „Vieles der Überwachung ist nicht mehr sichtbar, sondern findet digital im Hintergrund statt“, sagt Merics-Expertin Drinhausen. Die chinesische Staatsführung begründet die Maßnahmen mit Terrorbekämpfung. Seit den 80er-Jahren war es immer wieder zu Zusammenstößen in der Region gekommen.
Auch wir werden während unserer Recherchen beschattet – und sollen es scheinbar auch merken. Schon am Morgen warten unsere Verfolger im Auto vor dem Eingang unseres Hotels in Urumqi. Mindestens drei Männer verfolgen uns abwechselnd, geben per Handy unsere Standorte durch. Das Vorgehen ist kein Einzelfall: Seit Jahren werden Journalisten bei ihren Recherchen in der Provinz verfolgt. An einem Polizei-Checkpoint werden wir mehr als eine halbe Stunde festgehalten. Sie müssten uns registrieren, sagten die Polizisten. Normalerweise dauert so etwas ein paar Minuten.
Beobachter, die regelmäßig in die Region reisen, beklagen, wie sehr sich die Lage verändert habe: Viele der Bewohner waren bereits in Internierungslagern oder haben Verwandte, die dort waren. Andere sind in Gefängnissen weggesperrt. Es herrscht ein Klima der Angst oder Resignation. Wie will eine deutsche oder amerikanische Firma hier wirklich sicherstellen, dass all ihre Beschäftigten aus freien Stücken bei ihr arbeiten? Wie frei können Mitarbeiter in einem solchen System überhaupt sein?
Auch in der Nähe des VW-Werks betreibt die chinesische Staatsführung dem australischen Thinktank ASPI zufolge Zwangslager, in denen Uiguren festgehalten werden. Dort, wo es sein soll, steht eine Gebäudeansammlung, die von einer hohen Mauer umgeben ist. Vor dem Eingang steht auf Chinesisch: „Ausbildungsschule für arbeitendes Personal des Stadtgebiets – Technikschule des Stadtgebiets Gaoxin (neues Stadtgebiet)“. Überall hängen Kameras.
Nachdem wir uns ein paar Minuten umgeschaut haben, wollen wir den Ort verlassen. Doch wir werden von acht Polizisten mit und ohne Uniform am Weiterfahren gehindert. Ein Uniformierter fordert uns auf, unsere Ausweise zu zeigen.
Die Internierungslager und Gefängnisse, die sich in der Nähe von BASF und Volkswagen befinden, sind laut Experten Teil des riesigen Programms der chinesischen Staatsführung, mit dem die muslimische Minderheit der Uiguren unterdrückt wird. Wie geleakte Regierungsdokumente, Studien und Augenzeugenberichte belegen, werden viele Uiguren zunächst in die Lager gesteckt, Indoktrinierungsmaßnahmen unterzogen und teilweise schwer misshandelt.
Die Lager sind als Ausbildungszentren getarnt. Im Anschluss, so der Vorwurf, werden die Betroffenen an Unternehmen weitervermittelt, wo sie zur Arbeit gezwungen werden. Auf diese Weise soll weiter Kontrolle über sie ausgeübt werden. Mehr als 80.000 Menschen sollen allein zwischen 2017 und 2019 von Zwangsarbeit betroffen gewesen sein, wie das ASPI in einer Analyse schreibt.
Für deutsche Unternehmen sind die Werke in der Region zur Belastung geworden. Hinter vorgehaltener Hand heißt es in Pekinger Wirtschaftskreisen, dass keine deutsche Firma heute noch eine Entscheidung für diesen Standort treffen würde.
Dabei war das Engagement vor ein paar Jahren durchaus etwas, worauf alle Beteiligten stolz waren. Ein gerahmtes Foto im Treppenhaus des Bürogebäudes bei BASF in Korla zeigt, wie hoch aufgehängt die Kooperation zwischen dem deutschen Chemiekonzern und seinem chinesischen Partner 2013 noch war: Darauf zu sehen ist BASF-Vorstandschef Kurt Bock mit Richard Feng, Chef des chinesischen Joint-Venture-Partners Markor, im Bundeskanzleramt bei der Unterzeichnung des Vertrags zur Errichtung der gemeinsamen Produktion in Xinjiang. Hinter ihnen stehen Chinas Premierminister Li Keqiang und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Der heutige Vorstandschef Brudermüller schaut Bock und Feng lächelnd über die Schultern. Die Entscheidung für das Werk sei allein aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen gefallen, heißt es von BASF. An dem Standort habe das Unternehmen Zugang zu Zulieferern wichtiger Chemikalien.
Doch schon bei der Unterzeichnung der Verträge für das Werk gab es Berichte über die Unterdrückung der Muslime dort. Auch Volkswagen traf dennoch ungefähr zur gleichen Zeit wie BASF die Entscheidung für sein Werk in Xinjiang. Innerhalb seines chinesisch-deutschen Joint Ventures SAIC-Volkswagen beschäftigt VW in Urumqi 600 Mitarbeiter, alle chinesische Staatsbürger. Rund zehn Prozent gehören laut früheren Angaben von Volkswagen der muslimischen Minderheit der Uiguren an.
Beobachter in Peking sagen, das Werk von SAIC-Volkswagen sei als Gefallen an die chinesische Staatsführung, die die Region promoten will, gebaut worden, denn Xinjiang ist im Vergleich zu anderen Provinzen wirtschaftlich unterentwickelt. Beweise für eine Gefälligkeitsentscheidung gibt es nicht. VW gibt an, dass die Standortentscheidung wirtschaftliche Gründe gehabt habe. Doch bis heute ist das vergleichsweise kleine Werk nicht ausgelastet. Früheren Angaben zufolge liegt die Kapazität bei 50.000 Fahrzeugen, produziert werden jedoch nur 20.000.
VW will trotz der Kritik an seinem Werk festhalten. „Wir stehen zu unserem Engagement in China, auch in Xinjiang“, sagte Konzernchef Herbert Diess jüngst in einem Interview mit der „FAS“. „Weder wir noch unsere Zulieferer beschäftigen Zwangsarbeiter“, so Diess. Experten bezweifeln jedoch, dass Unternehmen das bei ihren Zulieferern tatsächlich sicherstellen können.
BASF ist vorsichtiger mit solchen Aussagen. Alle Lieferanten hätten einen Lieferantenkodex unterschrieben. Bei der Überprüfung dessen „machen wir das, was im rechtlichen Rahmen möglich ist“, sagt Brughmans. Aber da gebe es auch „gewisse Einschränkungen“. Bei Verstößen gegen Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag spreche das Unternehmen das mit seinen Partnern an, erklärt er, „dann muss das sofort beendet werden“. „Aber wenn das alles nicht möglich ist, dann müssen wir uns alternative Geschäftsmöglichkeiten überlegen oder behalten uns dann auch das Recht vor, die Geschäftsbeziehung zu beenden.“
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (1)