Sie ist Brüssels Unermüdliche – und hat den Brexit-Deal und die gemeinsame EU-Impfstrategie zur Chefinnen-Sache gemacht. Doch von der Leyens Kritiker lässt das dennoch nicht verstummen.
Ursula von der Leyen
Die in Brüssel geborene Politikerin umgibt sich gern mit engen, langjährigen Vertrauten – und fällt viele ihrer wichtigen Entscheidungen im kleinen Kreis.
Bild: Xinhua / eyevine / laif
Brüssel Ein wenig Ruhe gönnt sich Ursula von der Leyen zwischen Weihnachten und Neujahr zu Hause in Beinhorn, einem 137 Einwohner großen Dörfchen bei Hannover. Doch die Arbeit lässt die EU-Kommissionspräsidentin auch in Niedersachsen nicht los. Bereits am Montagmorgen sprach sie per Video mit Parlamentspräsident David Sassoli und den Fraktionschefs über die nächsten Schritte, um den am Heiligabend erzielten Brexit-Deal auch formell unter Dach und Fach zu bringen.
Denn das Europaparlament muss dem EU-Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich noch seinen Segen geben. Nachdem die EU-Botschafter der 27 Mitgliedstaaten am Montag dem Handelspakt bereits zugestimmt haben, kann der Pakt zwar vorläufig zum 1. Januar in Kraft treten. Doch die finale Entscheidung trifft das Parlament, das im Januar über das annähernd 1300 Seiten starke Vertragswerk entscheiden wird.
Den Brexit-Deal hatte von der Leyen zur Chefinnensache gemacht und sich an den Gesprächen mit London intensiv beteiligt. Bereits Ende November hatte sie ihre Vizekabinettschefin Stephanie Riso in das Team um EU-Chefverhandler Michel Barnier für die finale Phase entsandt.
„Von der Leyen war sehr hinterher, die Dinge zu lösen und ein Abkommen zu erreichen. Sie hat sicherlich auch durch Kontakte mit Berlin, Paris und anderen Hauptstädten gerade in der Fischereifrage die EU-Position geschmeidiger gemacht“, sagte Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament, am Montag dem Handelsblatt.
Der Einsatz hat sich für Ursula von der Leyen gelohnt. Die Unermüdliche von Brüssel fährt zum Abschluss ihres ersten vollen Amtsjahres zwei zentrale Erfolge ein. Mit dem Brexit-Deal hat die 62-Jährige trotz etlicher offener Fragen wie zum Beispiel im Finanzbereich einen Meilenstein gesetzt. Dank ihres persönlichen Einsatzes wurde ein harter EU-Austritt Großbritanniens vermieden – zum Wohl beider Seiten.
Ein weiterer Meilenstein ist die europaweite Impfstrategie gegen Covid-19. Obwohl die EU-Kommission im Gesundheitsbereich kaum Kompetenzen besitzt, ist es von der Leyen gelungen, einen gemeinsamen Einkauf, synchrone Verteilung und gleichzeitiges Spritzen des Vakzins in allen 27 Mitgliedstaaten auf die Beine zu stellen. Das ist eine Premiere in der europäischen Gesundheitspolitik, an der die gelernte Ärztin entscheidenden Anteil hat.
Vergessen sind damit die Zeiten, als die Nationalstaaten im Frühjahr aus Angst vor dem Virus ohne Absprachen ihre Grenzen schlossen und beim Beschaffen von Masken und Medizintechnik panisch auf eigene Faust handelten.
„Ursula von der Leyen machte die Bekämpfung von Covid-19 in der Tat zur Chefinnensache, nachdem die EU während der ersten Welle zunächst in Schockstarre verfiel, die Grenzen geschlossen wurden und der Binnenmarkt gestört war“, sagte die Europaabgeordnete und Vorsitzende des Binnenmarktausschusses Anna Cavazzini (Grüne) anerkennend dem Handelsblatt. „Insbesondere die europaweite Koordinierung der Impfstrategie ist eines ihrer persönlichen Projekte.“
Als Ursula von der Leyen im Dezember 2019 ihr Amt in Brüssel antrat, hatte sie einen schweren Start. „Noch immer haftet der Makel an ihr, dass sie bei der Europawahl nicht zur Wahl stand und durch Gnaden des Rates unter Ausschaltung des Parlaments eingesetzt wurde“, berichtet Cavazzini. Es war Kanzlerin Angela Merkel, die ihre Verteidigungsministerin als Chefin der 32.000 Beamte umfassenden EU-Exekutive am Ende durchgesetzt hat. Das haben auch eigene Parteifreunde in Brüssel nicht vergessen.
Unter deutschen CDU/CSU-Abgeordneten hat VdL – wie sie in Europas Hauptstadt gern genannt wird – nicht nur loyale Bewunderer, sondern auch harte Kritiker. Trotz ihres zupackenden Auftretens und ihrer geschickten Rhetorik fehle es von der Leyen bisweilen an Tiefgang und Fachkompetenz, rügt mancher EU-Parlamentarier.
„Die so wichtige Detailumsetzung des Green Deal steht noch aus, und erst hier zeigt sich, ob es ihr wirklich ernst ist mit den Klimazielen oder ob sie nur eine ,Überschriftenpolitik‘ betreibt“, sagt Europaabgeordnete Cavazzini. Man merke an vielerlei Stellen, dass von der Leyen dem Rat viel mehr Gehör schenke und am Europaparlament vorbeimanövriere.
Die Kommission führt von der Leyen unterdessen vertikal. Die in Brüssel geborene Politikerin umgibt sich gern mit engen, langjährigen Vertrauten und fällt im kleinen Kreis viele ihrer wichtigen Entscheidungen.
Nicht allen Kommissaren gefällt der Stil, der sich von ihrem leutseligen Luxemburger Vorgänger Jean-Claude Juncker fundamental unterscheidet. Mit dem niederländischen Vizepräsidenten Frans Timmermans, der den für die Wirtschaft so wichtigen Green Deal verantwortet, hat sie ohnehin einen bestens verdrahteten Gegenspieler im eigenen Haus.
Mancher in Brüssel sagt der deutschen Kommissionschefin gern Humorlosigkeit nach. Doch trifft das wirklich zu? Als von der Leyen den Brexit-Deal verkündete, bewies sie ihr Gespür für feine Ironie. Im Berlaymont, dem Brüsseler Sitz der Kommission, resümierte sie den Weg zum Brexit-Deal mit den Worten: „It was a long and winding road.“ Die Anspielung auf Paul McCartneys Song auf der letzten Beatles-Platte „Let it be“ ist die Art von Humor, die eigentlich nur Briten zugetraut wird.
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