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01.10.2021

13:02

Billionen-Chaos

Bidens Wirtschaftsagenda ist in Gefahr – und schuld ist seine eigene Partei

Von: Annett Meiritz

PremiumIm US-Kongress tobt ein Kampf um Billionen-Investitionen, die Flügel der Demokraten blockieren sich gegenseitig. Bidens eigene Partei könnte seine Wirtschaftspläne zum Scheitern bringen.

Linke und Moderate könnten sich in der Mitte treffen und eine Summe für das größere Billionen-Paket festlegen, mit der beide Seiten leben können DOUG MILLS/The New York Times/Re

US-Präsident Joe Biden

Linke und Moderate könnten sich in der Mitte treffen und eine Summe für das größere Billionen-Paket festlegen, mit der beide Seiten leben können

Washington Eigentlich wollte US-Präsident Joe Biden in dieser Woche den vielleicht größten Sieg seiner Amtszeit feiern. Ende August hatte sich der US-Senat, eine von zwei Kammern im US-Kongress, auf ein 1,2 Billionen Dollar schweres Infrastrukturpaket geeinigt.

Die seit Jahrzehnten überfälligen Investitionen wurden in seltener Zusammenarbeit mit der republikanischen Opposition beschlossen – auch dank Bidens Verhandlungsgeschick. Nur noch das Repräsentantenhaus, die zweite Kongresskammer, musste zustimmen. Noch im September sollte die Reform endlich auf Bidens Schreibtisch landen, fertig zur Unterschrift. 

Doch jetzt ist nicht nur das Infrastrukturpaket, sondern Bidens gesamte Wirtschaftsagenda in Gefahr. Schuld an dem Chaos sind die ultraknappen Mehrheiten im Kongress - und schuld daran ist auch Bidens eigene Partei, die ihre rivalisierenden Flügel nicht in den Griff bekommt.

In der Nacht zum Freitag wurde die finale Abstimmung zum Infrastrukturpaket bereits zum zweiten Mal in Folge verschoben. Noch gibt Nancy Pelosi, Demokratenchefin im Repräsentantenhaus und oberste Verhandlungsführerin, nicht alles verloren. „Es wird eine Abstimmung geben“, versprach die 81-Jährige.

Bis in den späten Donnerstagabend gab es auf dem Capitol Hill hektische Gespräche. Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris schalteten sich persönlich ein, führende Mitarbeiter des Weißen Hauses eilten durch die Flure des Kongresses. Am frühen Freitagmorgen soll das Ringen weitergehen.

Für Biden ist die Verzögerung ein großer Rückschlag: Sie entblößt die Spaltung zwischen linken und moderaten Demokraten, deren Vorstellungen bei zentralen Fragen auseinandergehen. Investitionen in Straßen, Brücken und Internet sind zwar Konsens - doch zusätzliche Investitionen in Klimaschutz, Sozialprogramme und Gesundheit, die Biden im Wahlkampf versprochen hatte, keinesfalls. 

Zwischen Sieg und Fiasko liegen zwei Billionen Dollar

Eigentlich sind die Demokraten in beiden Kongresskammern in der Überzahl, auf dem Papier könnte Biden also durchregieren. Doch das linke Lager will eine Zustimmung für das Infrastrukturpaket nur dann garantieren, wenn der Kongress parallel ein 3,5 Billionen teures Haushaltspaket verabschiedet - zur Not im Alleingang und ohne republikanische Stimmen.

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Dieses Mega-Paket soll über einen Zeitraum von zehn Jahren Programme für Gesundheit, Klimaschutz, Elternzeiten, Kindergärten, Bildung und Soziales bezahlen - zum Teil finanziert durch höhere Steuern für Unternehmen und Vermögende. Die Reform ist Herzstück von Bidens „Build Back Better“-Agenda, die die amerikanische Gesellschaft nicht nur wirtschaftlich stark, sondern auch gerechter machen will. Allerdings ist das Paket unter moderaten Demokraten umstritten. Sie lehnen die damit verbundenen Steuererhöhungen und hohen Schuldenlasten ab. 

Ein prominenter Gegner ist der demokratische Senator Joe Manchin. In seinem konservativen Heimatstaat West Virginia sind ausufernde Sozialprogramme unbeliebt. „Ich werde niemals ein Linker sein“, sagte Manchin. „Wenn das amerikanische Volk das will, muss es mehr Linke wählen.“ Er kann sich höhere Steuern zwar vorstellen, will aber höchstens 1,5 Billionen investieren. Die amerikanische Gesellschaft dürfe nicht „zum Selbstbedienungsladen“ werden, warnte Manchin am Donnerstag.

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In scharfem Kontrast dazu stehen Politiker wie Bernie Sanders, der die 3,5-Billionen-Reform konzipiert hat. Ursprünglich kostete das Paket sechs Billionen Dollar. „1,5 Billionen machen es absolut unmöglich, das zu tun, was getan werden muss: für Kinder, Familien, Senioren und für die Zukunft des Planeten“, sagte Sanders. 

Die Flügel der Demokraten blockieren sich zum einen im Senat, wo sich die Demokraten keinen einzigen Abweichler leisten können. Parallel macht im Repräsentantenhaus eine selbstbewusste Generation junger, überwiegend weiblicher Politikerinnen mobil. Der linke Flügel um die Abgeordneten Pramila Jayapal, Chefin der einflussreichen Linken-Vereinigung, und Alexandria Ocasio-Cortez, prominente Politikerin aus New York, will bislang nicht umschwenken.

In der Nacht zum Freitag warnte Jayapal: Mehr als 50 linke Abgeordnete sagen Nein zum Infrastrukturpaket, solange keine Einigung für das größere Billionen-Paket steht. Nicht mehr als drei Abweichler können die Demokraten im Repräsentantenhaus verkraften. „Es gibt nicht genügend Stimmen, das verspreche ich Ihnen“, drohte die Demokratin. 

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Das Weiße Haus versuchte am Freitag, trotz der festgefahrenen Situation Optimismus zu verbreiten. „Wir sind so nah an einer Einigung wie noch nie“, sagte Bidens Sprecherin Jen Psaki. Für den US-Präsidenten geht es jetzt um alles: Schon im kommenden Jahr, wenn die wichtigen Kongresswahlen anstehen, könnten die Demokraten ihre Mehrheiten verlieren. Die Zeit für große gesetzgeberische Projekte wird immer knapper. 

Es gibt ein Szenario als Ausweg

Auf dem Capitol Hill klammern sich nun viele Demokraten an ein Szenario: Linke und Moderate könnten sich in der Mitte treffen und eine Summe für das größere Billionen-Paket festlegen, mit der beide Seiten leben können. Danach, so die Hoffnung, könnte das Infrastrukturpaket doch noch am Freitag oder am Wochenende verabschiedet werden - und Biden würde zumindest diesen Erfolg in der Tasche haben.

Ob es dazu kommt, ist ungewiss. Zumindest die Linken haben signalisiert, nicht einknicken zu wollen. „Wir bleiben so lange hier, bis wir alles erledigt haben", sagte die Abgeordnete Jayapal. „Wir arbeiten zur Not 24 Stunden täglich durch und essen jeden Abend Pizza. Wir werden tun, was nötig ist.“

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