Ein 18-Jähriger stürmt bewaffnet in eine Grundschule und tötet mindestens 19 Kinder. In Texas streiten daraufhin Demokraten und Republikaner auf offener Bühne über die Waffengesetze.
Fassungslosigkeit und Verzweiflung
Angehörige der Opfer werden von Polizeikräften betreut.
Bild: IMAGO/ZUMA Press
New York Über Basketball wollte Steve Kerr, Chef-Coach der berühmten Warriors aus San Francisco, nicht mehr reden: „Wann tun wir endlich etwas?“, fragt er wütend ins Publikum, während er auf den Tisch schlägt. 650 Meilen entfernt hatte zuvor ein 18-Jähriger an einer Grundschule in der Nähe von San Antonio im US-Bundesstaat Texas 19 Kinder und mindestens zwei Erwachsene getötet.
„Ich habe genug von Schweigeminuten“, stellt Kerr klar. Es gebe 50 Senatoren, die sich derzeit weigern, dem Gesetz für Background-Checks (strafrechtliche Überprüfungen) vor einem Waffenkauf zuzustimmen, das dort seit zwei Jahren liegt. „Und der Grund dafür ist, dass sie Angst um ihre Macht haben“, klagt der Coach an.
„Ich frage Sie, Mitch McConnell, und die anderen Senatoren, die sich weigern, etwas gegen die Gewalt in Amokläufen in den Schulen und den Supermärkten zu tun: Wollen Sie Ihr eigenes Verlangen nach Macht über das Leben unserer Kinder, unserer Älteren und unserer Kirchgänger stellen? Danach sieht es nämlich aus.“
Die Amerikaner dürften nicht abstumpfen gegenüber diesem Horror. „Wir können nicht hier sitzen und sagen: Yeah, lasst uns eine Schweigeminute machen.“
Der Warrior-Coach weist darauf hin, dass 90 Prozent der Amerikaner – egal welcher Partei – Background-Checks wollen. „Aber wir werden als Geisel genommen von 50 Senatoren, die ihre eigene Macht sichern wollen! Es ist albern. Ich habe genug!“
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Mit seiner bewegenden Rede gibt Kerr wieder, was viele Amerikaner denken: Nach jedem neuen Amoklauf gibt es warme Worte, „Gedanken und Gebete“; nach jeder Bluttat gibt es Forderungen, etwas zu tun. Viele Demokraten wollen Waffen stärker kontrollieren. Die meisten Republikaner dagegen verteidigen ihr Recht auf Waffenbesitz und fordern zum Teil gar, die Lehrer zu bewaffnen. Aber immerhin bei den Background-Checks hatte zumindest das Abgeordnetenhaus einen Kompromiss gefunden.
Einige Einzelhändler wie Walmart und Dick’s Sporting Goods haben zwar seit 2015 Sturmfeuergewehre, wie sie im Krieg zum Einsatz kommen, freiwillig aus dem Sortiment genommen. Aber an den Gesetzen hat sich kaum etwas geändert.
Als Nation müssen wir uns fragen: Wann in Gottes Namen werden wir gegen die Waffenlobby aufstehen? US-Präsident Joe Biden
Auch der Coach von den texanischen Dallas Mavericks Jason Kidd mahnte, dass das „überall jedem passieren kann, der sich in einer Schule aufhält“. Der Basketball-Star LeBron James von Los Angeles Lakers twitterte: „Es muss sich einfach etwas ändern. ES MUSS!!“.
Bei einer Pressekonferenz zu dem Amoklauf kam es zu einem politischen Eklat. Der Demokrat Beto O'Rourke unterbrach eine laufende Pressekonferenz des republikanischen Gouverneurs von Texas, Greg Abbott, und kritisierte diesen für seine Haltung zu den Waffengesetzen im Land. O'Rourke, der im November bei der nächsten Gouverneurswahl in Texas als Herausforderer gegen Abbott antreten will, warf dem Republikaner vor, nichts gegen die grassierende Waffengewalt in den USA zu unternehmen. „Sie tun nichts“, kritisierte O'Rourke (hier im Video).
Eklat bei der Pressekonferenz
Beto O'Rourke (vorn im Bild) unterbricht die Pressekonferenz des texanischen Gouverneurs Greg Abbott (in der Mitte sitzend auf dem Podium).
Bild: Reuters
Abbott reagierte auf die Vorwürfe nicht, während andere Offizielle O'Rourke zur Ordnung riefen und ihn dazu aufforderten, den Saal zu verlassen. Ein Mann rief O'Rourke zu: „Sie fallen aus dem Rahmen, und Sie sind peinlich.“
Ein anderer Mann beschimpfte den Demokraten wüst und sagte: „Ich kann nicht fassen, dass Sie ein kranker Bastard sind, der aus einer Sache wie dieser ein politisches Thema machen will.“ O'Rourke verließ nach der verbalen Auseinandersetzung den Raum.
US-Präsident Joe Biden reagierte erschüttert auf den Amoklauf und forderte in einer Fernsehansprache schärfere Waffengesetze in seinem Land. „Als Nation müssen wir uns fragen: Wann in Gottes Namen werden wir gegen die Waffenlobby aufstehen?“, fragt er.
Gerade von seinem Staatsbesuch aus Asien zurückgekehrt, wandte er sich mit emotionalen Worten an die Öffentlichkeit. „Wo ist unser Rückgrat?“, fragte der US-Präsident mit Hinblick auf die politische Debatte um härtere Waffengesetze. „Die Idee, dass ein 18-jähriger Teenager in den Laden gehen kann und zwei Sturmfeuergewehre kauft, ist einfach falsch“, sagt er. „Wofür braucht man ein Sturmfeuergewehr, außer um jemanden zu töten?“
Auch der frühere US-Präsident Barack Obama (60) hat den Angehörigen sein Beileid ausgesprochen und Wut über die Waffenlobby geäußert. „Michelle und ich trauern mit den Familien in Uvalde“, schrieb Obama auf Twitter. „Sie erleben einen Schmerz, den niemand ertragen sollte.“ Er und seine Frau seien wütend, fügte der US-Demokrat hinzu und kritisierte in diesem Zusammenhang die oppositionellen US-Republikaner.
„Unser Land ist gelähmt, nicht durch Angst, sondern durch eine Waffenlobby und eine politische Partei, die keine Bereitschaft gezeigt haben, in irgendeiner Weise zu handeln, um diese Tragödien zu verhindern“, erklärte Obama.
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Erst vor einer Woche hatte in Buffalo ein Amokläufer in einem vor allem von Schwarzen besuchten Supermarkt mit einem Sturmfeuergewehr 13 Menschen getötet. In Südkalifornien hatte ein Amokläufer auf asiatische Kirchgänger geschossen.
Der demokratische Senator Chris Murphy appellierte an seine Senatskollegen beider Parteien: „Was machen wir?“, fragte er im US-Kongress. „Warum verbringen Sie so viel Zeit damit, für den Senat der Vereinigten Staaten zu kandidieren? Warum machen Sie sich die Mühe, diesen Job zu bekommen, wenn Ihre Antwort lautet, dass wir nichts tun, während diese Metzelei zunimmt und unsere Kinder um ihr Leben rennen?“, fragte er, sichtlich um Fassung ringend. „Warum sind wir hier?“
„Arbeiten Sie mit uns zusammen, um einen Weg zu finden, Gesetze zu verabschieden, die dies weniger wahrscheinlich machen“, forderte der Demokrat weiter. „Ich weiß, dass meine republikanischen Kollegen nicht mit allem einverstanden sein werden, was ich befürworte, aber wir können einen gemeinsamen Nenner finden.“
Der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, nannte den jüngsten Amoklauf „unbegreiflich“. Abbott hatte sich stets gerühmt, das Recht auf den privaten Besitz von Waffen gegen alle Widerstände verteidigt zu haben.
Ob es diesmal wirklich zu einem Umdenken kommt, ist längst nicht sicher. Die für ihre umstrittenen Äußerungen bekannte republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene etwa sieht keinen Anlass, Waffen stärker zu beschränken. „Wir brauchen nicht mehr Waffenkontrollen. Wir müssen zu Gott zurückfinden“, twitterte sie.
Greg Abbott
Der texanische Gouverneur gilt als Verfechter liberaler Waffengesetze. Von seiner Linie wird er auch durch die aktuelle Bluttat nicht abweichen.
Bild: AP
Donald Trump junior, der Sohn des ehemaligen US-Präsidenten, teilte auf dem sozialen Netzwerk seines Vaters „Truth“ einen Kommentar, der nach dem Massaker Bidens Außenpolitik kritisiert: „Statt 40 Milliarden Dollar an korrupte ausländische Länder zu schicken, sollten wir das Geld nutzen, um geeignete Sicherheit für unsere Schulen zu bekommen.“
Auch der Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, an den der Warriors-Coach Kerr appelliert hat, zeigte kein Einsehen. Er sagte lediglich: „Das ganze Land betet für die Kinder, Familien, Lehrer und Mitarbeiter und Nothelfer.“
Amokläufe kommen in den USA immer wieder vor – auch an Schulen. Vor zehn Jahren hatte vor allem das Massaker an einer Grundschule in Sandy Hook in Connecticut das Land erschüttert: Im Dezember 2012 hatte ein 20-Jähriger mit schweren psychischen Problemen in Newtown im Bundesstaat Connecticut zunächst seine Mutter erschossen und dann 27 weitere Menschen.
Biden erklärte, seit diesem Ereignis seien an mehr als 900 weiteren Schulen Menschen durch Waffengewalt ums Leben gekommen.
Im vergangenen Jahr zählte die US-Bundespolizei FBI 61 Amokläufe mit Schusswaffen in den Vereinigten Staaten. Das seien mehr als 50 Prozent mehr als im Jahr zuvor, teilte das FBI am Montagabend (Ortszeit) in Washington mit. Seit 2017 habe sich die Zahl verdoppelt. 2021 seien bei Amokläufen 103 Menschen getötet und 140 verletzt worden.
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