PremiumLuiz Inácio Lula da Silva übernimmt zum dritten Mal das höchste politische Amt Brasiliens. Die Sicherheitslage ist angespannt. Vorgänger Bolsonaro ist in die USA geflogen.
Luiz Inácio Lula da Silva
Vor seiner Amtseinführung war Lula mit seiner Ehefrau Janja sowie dem neuen Vizepräsidenten Geraldo Alckmin und dessen Frau in einem offenen Rolls Royce durch die Hauptstadt Brasília gefahren.
Bild: AP
Sao Paulo Luiz Inácio Lula da Silva ist als neuer Präsident Brasiliens vereidigt worden. Der 77-Jährige legte am Sonntag im Kongress seinen Amtseid ab. Zuvor war er mit seiner Ehefrau Janja sowie dem neuen Vizepräsidenten Geraldo Alckmin und dessen Frau in einem offenen Rolls Royce durch die Hauptstadt Brasília gefahren. Tausende Anhänger jubelten ihm zu. Mehr als ein Dutzend Staatschefs nahmen an der Amtseinführung teil, darunter auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Dass es keine Amtsübergabe nach demokratischen Gepflogenheiten sein würde, war schon vor dem Neujahrstag klar. Der vor zwei Monaten abgewählte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro flog vor Silvester kurzerhand in die USA.
Auch Bolsonaros Vizepräsident und Reservegeneral Hamilton Mourão weigerte sich, an der Amtseinführung Luiz Inácio Lula da Silvas teilzunehmen. Das hatte es zuletzt am Ende der Militärdiktatur 1985 gegeben, als sich der Juntapräsident João Figueiredo weigerte, dem demokratischen Nachfolger die Amtsschärpe zu übergeben.
Die Zeremonie zur Amtseinführung Lula da Silvas begann am späten Sonntagabend – unter massiven Sicherheitsvorkehrungen. Denn seit der Wahlniederlage vor zwei Monaten demonstrieren Anhänger Bolsonaros vor dem Hauptquartier des Heeres in Brasília gegen die Machtübergabe. Sie halten die Wahlen für gefälscht und fordern ein Eingreifen der Militärs.
Kurz vor der Vereidigung nahm die Polizei tatsächlich einen Mann fest, der sich mit einem Sprengsatz und einem Messer Zugang zur Esplanade in der Hauptstadt Brasilia verschaffen wollte. Das sagte ein Vertreter der Militärpolizei der Nachrichtenagentur Reuters.
Die Bundespolizei riet Lula vorab dringend davon ab, im offenen Wagen durch Brasília zu fahren, wie es für Präsidenten beim Amtsantritt üblich ist. Denn es war unklar, wer für die Sicherheit während der Amtsübergabe verantwortlich hätte sein sollen. Die Militärs, deren drei Waffengattungen während der Zeremonie eine wichtige Rolle spielen, sind ohne Führung. Es gibt Differenzen zwischen Heer, Marine und Luftwaffe darüber, wer am 1. Januar noch im Amt ist oder nicht. Teile der Militärs akzeptieren Lula nicht als Oberbefehlshaber.
>> Lesen Sie hier: Scheidender Präsident Bolsonaro verlässt Brasilien
Für die Sicherheitslage ist das problematisch: Denn es ist schwer einzuschätzen, wie stark die Bolsonaro-Anhänger von den Militärs unterstützt werden. Der designierte Verteidigungsminister José Múcio Monteiro steht nun als Zivilist vor der schwierigen Aufgabe, die Armee, die unter Bolsonaro auch politisch einflussreich wurde, wieder auf ihre Aufgabe der Landesverteidigung zu beschränken.
Gleich nach seiner Vereidigung unterzeichnete Lula eine Reihe von Dekreten. So ordnete er Sonderzahlungen an die ärmsten Familien an, verlängerte die Steuerbefreiung für Kraftstoffe, ließ den Kampf gegen die Abholzung des Regenwaldes wieder aufnehmen, reaktivierte den Amazonas-Fonds und verbot den Bergbau in Umweltschutzgebieten.
Auch Deutschland hofft nach dem Regierungswechsel auf einen Neustart der Beziehungen. „Es ist gut zu wissen, dass Brasilien zurück ist auf der internationalen Bühne“, sagte Bundespräsident Steinmeier. Er traf Lula bereits am Samstag zu einem Gespräch. „Wir brauchen eine brasilianische politische Führung, die ihre Rolle spielen wird - nicht nur in der wirtschaftlichen Kooperation, sondern auch beim Schutz des Weltklimas.“ Er habe mit Freude festgestellt, dass Lula gewillt sei, mit Brasilien genau diese Rolle zu erfüllen.
Das Amazonasgebiet mit seiner riesigen Artenvielfalt ist im Kampf gegen den Klimawandel von großer Bedeutung. Der Regenwald bindet immense Mengen des Treibhausgases CO2 und spielt für das Weltklima eine große Rolle. In Bolsonaros Amtszeit hatten Abholzung und Brandrodung aus Profitgier deutlich zugenommen. Lula will den Regenwald nun besser schützen.
Steinmeier teilte mit, dass Deutschland kurzfristig 35 Millionen Euro für den Amazonas-Fonds zum Schutz des Regenwaldes bereitstellen werde. Dabei handelt es sich um Geld, das in der Zeit des rechten Präsidenten Bolsonaro eingefroren war. „Es kommt uns allen darauf an, dass wir die grüne Lunge der Erde, die Regenwälder des Amazonas erhalten“, sagte Steinmeier.
Treffen in Brasilia
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht am Vorabend der feierlichen Amtseinführung mit dem neuen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (l.).
Bild: dpa
In Brasilia laufen intensive Verhandlungen über die Aufstellung der neuen Regierung. Es sei leichter, eine Wahl zu gewinnen, als ein Kabinett zusammenzustellen, stöhnte der designierte Präsident kürzlich, der bereits zwei Amtszeiten absolviert hatte, von 2003 bis 2011.
Seit zwei Monaten ist er mit der Personalauswahl für sein Kabinett beschäftigt. Hinzu kommen weitere Schlüsselpositionen in Staatskonzernen und Behörden sowie der zweiten Hierarchieebene in Politik und Verwaltung. 37 Minister hat er bereits ausgewählt. Erstmals ist mit elf Ministerinnen rund ein Drittel der Kabinettspositionen mit Frauen besetzt.
Der Grund für den Verhandlungsmarathon bis zuletzt: Lulas Arbeiterpartei und die Linke besitzen im Kongress keine Mehrheit. Deswegen muss der Präsident möglichst viele Vertreter der Rechts-Mitte-Parteien in eine Koalition einbinden. Das geht in Brasilien traditionell mit Posten- oder Budgetzuweisungen.
Gleichzeitig muss Lula jedoch seine eigene Arbeiterpartei bedenken – und deren ausufernde Ansprüche auf einflussreiche Positionen im Zaum halten, um potenzielle Alliierte nicht direkt zu verprellen. So hat Lula etwa bei Verteidigung, Justiz, Finanzen oder für das Außenministerium auf enge, langjährige Vertraute gesetzt.
Damit will er die Regierungsmaschine möglichst schnell zum Laufen bringen. Positiv wird gesehen, dass Lula vor allem erfahrende Politiker und keine linken Ideologen eingesetzt hat. Viele von ihnen sind gerade als Gouverneure, Abgeordnete oder Senatoren gewählt worden und damit auch politisch stärker legitimiert, als es Parteifunktionäre oder Technokraten wären.
Eine Schlüsselrolle in Lulas Regierung dürfte das Umweltressort spielen. Seine ehemalige Umweltministerin Marina Silva wird das Ressort erneut übernehmen. Nach dem Desaster unter Bolsonaro will Lula mit einer neuen Umwelt- und Amazonaspolitik das ramponierte Ansehen Brasiliens als Regenwaldzerstörer und Klimasünder revidieren.
Eine ähnlich wichtige Position nimmt der neue Außenminister Mauro Vieira ein: Der erfahrene Diplomat soll Brasiliens Isolation in der Weltpolitik beenden und das Land wieder geopolitisch aufwerten – so wie in Lulas ersten Amtszeiten. Er soll zudem die Kontakte zu Europa, den USA und China wiederbeleben.
>> Lesen Sie hier: In Brasilien wird immer seltener mit Bargeld gezahlt
Besorgt ist die Wirtschaft über die Ankündigungen zur künftigen Haushalts- und Wirtschaftspolitik: Denn die Regierung hat sich bereits vor Antritt massive Erhöhungen der Staatsausgaben genehmigen lassen. Lula will erneut den Staat als wichtigsten Akteur in der Wirtschaft sehen. Nach den ersten negativen Reaktionen auf den Finanzmärkten hat Lula, um die Investoren zu besänftigen, neben seinem engen Vertrauten Fernando Haddad als Finanzminister nun zwei konservative Minister an die Spitzen der Ressorts Planung sowie Industrie, wirtschaftliche Entwicklung und Handel gesetzt.
Lula weiß genau, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten Monaten für den Erfolg seiner Regierung entscheidend sein wird. Es ist offensichtlich, dass Bolsonaro darauf spekuliert, dass Lulas Popularität angesichts der schwachen Wirtschaftsentwicklung bald sinken könnte. Der liberale Politiker Tasso Jereissati prognostiziert: „Wenn Lula in der Wirtschaft scheitert, wird Bolsonaro wiederauferstehen.“
Mit Agenturmaterial.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×