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22.08.2019

15:18

Buchkritik

Wer das Buch zur Ibiza-Affäre liest, dem wird angst und bange

Von: Hans-Peter Siebenhaar

Ein neues Buch will Innenansichten der Ibiza-Affäre bieten. Das gelingt den Autoren zwar nicht, allerdings warten sie mit teils erschreckenden Details auf.

Das Ibiza-Video hat in Österreich ein politisches Beben ausgelöst. dpa

Heinz-Christian Strache

Das Ibiza-Video hat in Österreich ein politisches Beben ausgelöst.

Wien Der Zeitpunkt hätte nicht günstiger gewählt sein können: Die Investigativreporter Frederik Obermaier und Bastian Obermayer von der „Süddeutschen Zeitung“ haben jetzt ihr Buch „Die Ibiza-Affäre“ veröffentlicht – und sorgen damit mit dafür, dass der Skandal nach der Veröffentlichung des heimlich gedrehten Videos mit dem damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache von vor drei Monaten Österreich weiter in Atem hält. Die beiden Autoren waren die ersten Journalisten, die das Video gesehen haben.

Offen ist bei dem Skandal, der die konservativ-rechtspopulistische Regierung vor einem knappen Vierteljahr aus dem Amt katapultierte, noch immer, wer die Hintermänner sind. So lässt der Untertitel „Innenansichten eines Skandals“ auf Antworten hoffen.

Die öffentlich bekannte Rahmenhandlung der Ibiza-Affäre: Innerhalb von 24 Stunden nach der Publikation des Strache-Videos durch „Süddeutsche Zeitung“ und „Spiegel“ war die österreichische Regierung unter Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz Vergangenheit. Einen solch heftigen Skandal hat das Nachkriegs-Österreich noch nicht erlebt.

Der 32 Jahre alte Kurz ging in die österreichische Geschichte als Kanzler mit der kürzesten Amtszeit ein. Und Strache verlor nicht nur sein geliebtes Amt als Vizekanzler und Sportminister, sondern auch den Vorsitz der früheren Haider-Partei.

Ihr Versprechen, Innenanschichten zu liefern, lösen die Autoren allerdings nur halbherzig ein. Minutiös beschreiben Obermaier und Obermayer das Video und die eigene aufwendige Recherche.

Frederik Obermaier und Bastian Obermayer: Die Ibiza-Affäre. Innenansichten eines Skandals
Kiepenheuer & Witsch
272 Seiten
16 Euro
ISBN-13: 9783462054071

Doch die wahren Hintermänner, die das Video mit dem damaligen Vizekanzler Strache den deutschen Journalisten mundgerecht serviert hatten, benennen auch die Autoren nicht. Das Tandem begründet das damit, die eigenen Quellen schützen zu wollen. Das ist zwar nachvollziehbar, hilft dem Leser aber nicht weiter. „Die Quelle ist König“, heißt es an einer Stelle im Buch. Der Leser möchte hinzufügen: leider.

Auch die Reporter haben bei ihrem ersten Kontakt mit der Quelle viele Fragen: „Ist das Video überhaupt echt?“, fragen sie. „Wir bekommen Antworten auf alle unsere Fragen, manche fallen länger aus, andere kürzer. Manche sehr kurz.“ Und dann kommt der Schlüsselsatz: „Aus Quellenschutz können wir die Antworten nicht wiedergeben.“ Beim Leser bleibt daher Frustration.

Auf dem Buchcover heißt es selbstbewusst: „Wie wir die geheimen Pläne von Rechtspopulisten enttarnten, und darüber die österreichische Regierung stürzte“. Diese Selbstwahrnehmung ist fragwürdig. Schließlich handelt es sich bei Veröffentlichung und Auswertung des Videos nur um „bestellte Wahrheiten“. So bezeichnete Herbert Riehl-Heyse, bekannter Autor der „Süddeutschen Zeitung“, einst inszenierte Medieninhalte.

Sprich: Nicht allein Journalisten haben die geheimen Pläne der Rechtspopulisten enttarnt, sondern bis heute unbekannte Akteure, die in der Ferienvilla auf Ibiza Strache und seinen Parteikameraden Johann Gudenus eine raffinierte Falle stellten.

Das Video mit Strache geisterte schon lange herum, immer wieder war davon in Spekulationen in Wien die Rede. Doch an der Donau werden viele erfundene und tatsächliche Geheimnisse kolportiert. Jetzt ist klar: Das heimliche Filmmaterial wurde vor der Veröffentlichung für viel Geld angeboten, beispielsweise – nach eigenen Angaben – dem Milliardär und Gründer des Baukonzerns Strabag, Hans Peter Haselsteiner.

Einblick, wie investigative Recherche funktioniert

Strache wollte in seinen Allmachtsfantasien auf Ibiza den liberalen, proeuropäischen Unternehmer von allen staatlichen Aufträgen ausschließen und stattdessen Russen mit Projekten versorgen. Doch Haselsteiner lehnte trotz der eigenen Betroffenheit ab. Das Video suchte schließlich weiter nach einem Abnehmer, bis die „Süddeutsche Zeitung“ und der „Spiegel“ zugriffen.

Die Lektüre des Buchs ist dennoch lohnenswert. Denn es gibt einen detaillierten Einblick, wie investigative Recherche funktioniert. Sie beginnt in einem Hotelzimmer irgendwo in Deutschland im Spätsommer 2018. Dort werden die Buchautoren Obermaier und Obermayer abgetastet, die Handys kommen in das benachbarte Badezimmer.

Dann die Info: Bei dem, was die beiden jetzt zu hören und zu sehen bekommen, geht es um die politische Nummer zwei in der Alpenrepublik: den Rechtspopulisten H. C. Strache.

Das alles ist zu sehen in dem Video, das heimlich in einer Villa auf Ibiza unweit des Ortes Sant Rafael de Sa Creu an einen heißen Sommertag im Jahr 2017 vor dem Start der konservativ-rechtspopulistischen Regierung unter Kurz aufgenommen wurde: Strache und Gudenus lassen sich auf ein Gespräch ohne politische Tabus mit Aljona Makarowa ein, der vermeintlichen Nichte des russischen Oligarchen Igor Makarow.

Noch immer ist die Naivität des späteren österreichischen Vizekanzlers faszinierend. Denn mit zwei Mausklicks auf dem Handy hätte er die Falle entdecken können. Denn Oligarch Makarow ist ein Einzelkind – und kann daher gar keine Nichte haben.

Doch auf diese Idee kamen der frühere Neonazi Strache und sein Russisch sprechender Adlatus Gudenus nicht. Ende 2018 sahen die Reporter schließlich das gesamte Video, informierten den Chefredakteur, schließlich stieß der „Spiegel“ dazu. Die bestellte Wahrheit wurde wenige Tage vor den Europawahlen Ende Mai publik.

Eine Reise in die Wertewelt rechtsnationaler Politiker

Der Band „Die Ibiza-Affäre“ wartet mit vielen Fakten auf, zum Beispiel wie die ersten Kontakte von Gudenus zur angeblichen Russin zustande kamen. Über Strecken ist das Buch spannend wie ein Krimi. Bitter für die Leser: Das ist keine Fiktion, sondern die politische Realität zweier rechter Politiker aus Österreich.

Die beiden Autoren haben zahlreiche Details aus der Vergangenheit zusammengetragen, die ein umfassendes Bild der verqueren politischen Welt des früheren Zahntechnikers Strache zeichnen. Das ist erschreckend und schrecklich, manchmal auch unfreiwillig komisch.

Das gut geschriebene Buch zu lesen ist zweifellos eine Reise in die Wertewelt rechtsnationaler Politiker und in den Kosmos des investigativen Journalismus. Minutiös erzählen die Autoren, wie sie mit Brillen auf den weißen Bildschirm des Laptops gestarrt haben, um über Stunden das Gerede über krumme Geschäfte, infantile Machtgelüste und bodenlose Fantasien zu verfolgen – ohne dass jemand mit dem Handy das Unglaubliche vom Bildschirm abfilmt. Das ist hintergründig und unterhaltsam.

Die Autoren warten auch mit neuen Details auf. Zum Beispiel, dass es weder Drogenkonsum noch Sex in der Ferienvilla gab oder dass Strache wegen der dreckigen Fußnägel der vermeintlichen Oligarchen-Nichte misstrauisch wurde. Doch am Ende führt das Buch nicht zu entscheidend neuen Erkenntnissen, welche die Ibiza-Affäre in ein neues Licht rücken könnten.

Wie geht es in Österreich weiter?

Österreich befindet sich im Wahlkampf, der zu einer Schlammschlacht ausarten kann. Am 29. September wird eine neue Regierung gewählt. Ex-Kanzler Kurz wird es sich aussuchen können, mit wem er die Alpenrepublik regiert. Seine Partei liegt in allen Wahlumfragen weit vorne.

Die FPÖ unter ihrem designierten neuen Parteichef und früheren Verkehrsminister Norbert Hofer bietet sich der ÖVP und Kurz unablässig als alter neuer Partner an. Die frühere Haider-Partei will nur wenige Monate nach der Ibiza-Affäre zurück an die Macht. Offen ist, ob sich Kurz auf eine Neuauflage der Koalition mit den Rechtspopulisten einlässt.

Wer das Buch zur Ibiza-Affäre liest, dem wird angst und bange, was in diesem Fall aus Österreich im Herzen Europas in den nächsten Jahren werden könnte.

Die wahre und komplette Geschichte der Ibiza-Affäre muss erst noch geschrieben werden. Die Staatsanwaltschaft Wien und die Korruptionsstaatsanwaltschaft sind gerade dabei, diese Recherche und Aufklärungsarbeit zu leisten. Noch dauert die Auswertung von beschlagnahmten Notebooks und Mobiltelefonen.

Vor der Wahl Ende September werden die Behörden aber wohl kaum Ergebnisse präsentieren. Daher müssen sich die Bürger weiter gedulden. Das ist angesichts der politischen Sprengkraft der Ibiza-Affäre nicht einfach.

Strache selbst ist übrigens zufrieden mit dem Buch. Er sieht in der Dokumentation eine Entlastung seiner Person. „Das Buch stellt zutreffend dar, dass ich mich weder an dem Abend auf Ibiza, noch davor oder danach auf einen ,Deal¦ eingelassen habe, also keine Handlungen oder Leistungen zugesagt und keine Gegenleistung gefordert oder in Aussicht gestellt bekommen habe“, schreibt der FPÖ-Politiker unter anderem.

So konstruiert er seine ganz eigene Realität von den Geschehnissen auf der Baleareninsel. Zu seinen Aussagen zu illegaler Parteienfinanzierung schweigt der frühere FPÖ-Chef allerdings lieber.

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